… und auch Tschechen fiebern mit
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… und auch Tschechen fiebern mit

In Deutschland beginnt die neue Bundesliga-Saison. Spiele und Ergebnisse werden im Nachbarland von Fanclubs verfolgt

18. 9. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Emilio Garcia

Sein Herz schlägt für die Bohemians. Bei jedem Heimspiel sitzt Robert im Ďolíček-Stadion. Immer auf seinem Stammplatz in der Mitte der schmalen Gegengerade. Schon lange vor Spielbeginn. „Siehst du den dort, ganz links?“, fragt er, als sich die Spieler in den grün-weißen Trikots aufwärmen. „Das ist Till Schumacher.“ Robert deutet mit dem Zeigefinger auf den Abwehrspieler nahe am Tor. „Ein guter Mann!“

Der Prager freut sich spürbar, dass ein Deutscher in den Reihen „seiner“ Jungs steht. Denn ihn verbindet nicht nur große Leidenschaft mit dem Traditionsklub aus Vršovice. Er ist auch Fan der Bundesliga. „Ich bin fast bei jedem Heimspiel von Dynamo in Dresden“, erklärt Robert, „bereits seit vielen Jahren. Dresden liegt von hier aus ja nicht weit entfernt.“

Mehr Kilometer muss er machen, wenn Robert eine Erstliga-Partie besuchen will. Dafür fährt er nach Berlin. Auch regelmäßig. „In Dresden“, sagt der Endfünfziger, „ist es ja erstmal vorbei mit Bundesliga-Fußball.“ Jetzt, wo sie auch noch aus der Zweiten Liga abgestiegen sind, müsse er eben öfter in die deutsche Hauptstadt.

Und warum nicht nach Leipzig? Auch Heimstatt einer Bundesliga-Elf, sogar mit Anspruch auf einen Spitzenplatz in der Tabelle und auf die Champions League. „Ach nein“, Robert winkt heftig ab, „auf keinen Fall.“ Als langjähriger Begleiter des Dresdner Fußballs verspüre er keinerlei Lust, zum „Klub des Milliardärs“ überzuschwenken. „Von der Mentalität her“, bekräftigt Robert, „stehen sich Dynamo und wir Bohemians deutlich näher.“

Nach Berlin kutschiert ihn sein Sohn. Er sitzt auch im Ďolíček neben ihm. „Früher war nur Hertha, doch jetzt kann ich wählen“, freut sich Robert auf die neue Saison. Denn nun könnte er auch zu Heimspielen von Union gehen. Robert schlägt mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel. „Eigentlich sollte ich nur noch bei Union sein, die liegen uns deutlich mehr.“ Von der Mentalität her. Zumal Hertha BSC nun ebenfalls über viele Millionen verfügt, die ein Investor bereitgestellt hat.

Stadtderby: Bohemians gegen Sparta (2016) | © Lokomotive74, CC BY 3.0

Ein Tscheche, der sich für Vereine in Berlin begeistert – damit ist Robert eine Ausnahme unter tschechischen Fans der Bundesliga. Dagegen steht der FC Bayern München auch hier hoch im Kurs. Besonders bei jenen, die sich sogar zu einem Fanclub zusammengeschlossen haben. „Red Dogs CZ&SK“ ist keine Organisation oder Vereinigung, sondern nur eine Gruppe guter Freunde, die zusammen zu Spielen gehen“, stellt der Klub auf seiner Homepage klar. Und er ist stolz darauf, dass der deutsche Rekordmeister „mit uns als sehr aktive Vertreter der tschechischen oder slowakischen Seite“ kooperiere.

Seine Mitglieder fehlen bei keinem Heimspiel in der Allianz Arena, kennen daher auch Mitarbeiter des Klubs persönlich. Durch die Zusammenarbeit ergeben sich für die Tschechen einige Vorteile: „Neben der Möglichkeit, aktuelle Spieler oder Spieler aus der Bayern-Geschichte zu treffen, haben wir auch das schriftlich bestätigte Recht, unsere Flagge während der Spiele von Bayern in der Allianz Arena zu platzieren“, erklären sie mit breiter Brust.

Seit dem Beginn von Corona ist dies nicht mehr möglich. Zumindest vorläufig nicht. „Entsetzlich“ sei dies, so Miroslav Klaban, Vorsitzender des tschechoslowakischen Red-Dogs-Fanclubs. Und er wählt – lächelnd – einen drastischen Vergleich: „Es ist, als würde man einem Alkoholiker seinen Alkohol abnehmen …“ Klaban hatte im März noch Tickets für das Champions-League-Spiel gegen Chelsea erworben, dann aber „im Interesse meiner Familie“ auf die Fahrt nach München verzichtet, weil sich das Virus auch in Deutschland immer stärker ausbreitete.

Sein Fanclub informiert detailliert über die Vereinsarbeit. Etwa über einen Besuch des deutschen „El Clásico“ gegen Borussia Dortmund im April 2019, das Bayern mit 5:0 gewann. Die Red Dogs waren nicht nur vom Spiel begeistert, sondern auch weil sie im Klub-Museum Martín Demichelis trafen, einen verdienten Bayern-Spieler von früher.

Laufend ergänzt der Fanclub seine Website mit aktuellen Informationen. So auch über eine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Mia san Red Dogs“, angelehnt an den Slogan des Vereins „Mia san mia“ (frei übersetzt: „Wir sind, wer wir sind – und wir sind einfach gut.“) Das Magazin wurde gestartet, weil in tschechischen und slowakischen Medien nur wenige Informationen über die Bundesliga zu finden seien, „nicht einmal über einen großen Verein wie Bayern München“. Man habe sich dazu aber vor allem auch „aus Liebe zum Klub“ entschlossen, erklärt Vorsitzender Klaban.

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Die Zeitschrift soll Bayern allen Fans und Interessierten „näherbringen“. Nachdem schreibende Mitarbeiter gefunden waren, wurde eine Vorausgabe erstellt und zur Genehmigung an die Bayern-Abteilung gesandt. „Wir brauchten die Erlaubnis des Klubs, um das Magazin in den tschechoslowakischen Ländern veröffentlichen zu können“, schiebt Miroslav Klaban nach, „die Bayern mochten unser Design und gaben uns die Erlaubnis.“ So erschien die erste Ausgabe am 10. Januar in elektronischer Form mit über 100 Seiten. Das Konzept: „Wir möchten, dass sich Fans nicht nur im Internet über die Bayern informieren müssen.“ So gebe es auch Interviews mit Spielern, die im offiziellen Magazin der Bayern veröffentlicht werden und normalerweise nur Mitgliedern des Klubs zugänglich sind. Auch dafür gab der FC Bayern laut Website die Erlaubnis.

Wie viele Leser er damit erreicht, weiß Klaban nicht. Aber er geht davon aus, dass die Red Dogs durch verschiedene Werbeaktionen etwa 200.000 Personen angesprochen haben. „Wobei natürlich nicht alle unser Magazin lesen werden …“

In Diskussionsrunden stellen Vertreter den Fanclub sowie neue Projekte vor und geben Einschätzungen über Spieler des FC Bayern ab. Für die neue Saison sind die tschechoslowakischen Fans sehr zuversichtlich. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Bayern hätten in Bezug auf Einnahmen und Ausgaben für gesunde Verhältnisse gesorgt und dafür auch Kritik in Kauf genommen, meint Klaban. Das zahle sich nun aus.

Und Hansi Flick hielt er schon im März für den richtigen Trainer. „Mit ihm stieg das Spielniveau unglaublich an, wir dominieren in den Spielen, womit sich der FC Bayern immer ausgezeichnet hat.“ Selbst Alphonso Davies, den erst 19-jährigen Shooting-Star, hat Klaban als Edel-Fan schon lange im Blick. „Ich verfolge ihn, seit er im Januar 2019 zu uns wechselte. Ich habe auch seine Leistungen in unteren Bayern-Teams gesehen, als nicht viel darüber gesprochen wurde und war gleich nach seiner Ankunft begeistert von seinem großen Potenzial.“

Doch nicht nur Bayern München hat Fans in Tschechien und der Slowakei. Auch Borussia Dortmund besitzt hier eine Fanbase. Sie bestand laut Homepage anfangs nur aus wenigen, wuchs im Laufe der Zeit aber „zu einer immer größeren Gruppe“ an. Immer häufiger besuchen sie nun Spiele des BVB. Computer-affine Mitstreiter geben per Website und Facebook Nachrichten aus dem Klub weiter und teilen Erfahrungen mit. Laut Homepage wurde beantragt, dass der „Borussia Dortmund-Fanclub CZ/SK“ vom Verein als „amtlich“ anerkannt wird.

Als wesentliches Anliegen nennt die Organisation, möglichst viele Dortmund-Fans zu gewinnen und zu vereinen, quasi eine „schwarz-gelbe Wand“ auch im Nachbarland zu formieren. Und gemeinsame Reisen zu BVB-Spielen zu veranstalten – sowie „mindestens einmal im Jahr ein Fan-Meeting, das durch viele sportliche Aktivitäten bereichert wird“. Mitglied kann jeder Fan von Borussia Dortmund werden. Kostenlos. Dafür muss er nur ein Anmeldeformular ausfüllen. Auf Facebook verweist der „Borussia Dortmund-Fanclub CZ/SK“ auf immerhin mehr als 11.600 Abonnenten.

Deutlich weniger, nämlich nur knapp 3.000 Leute, umfasst die Community der Schalke-Fans in Tschechien und der Slowakei auf Facebook. Auf der Fanseite ist ebenfalls ein Formular aufgeführt, mit dessen Hilfe Interessierte Kontakt zu diesem Fanclub aufnehmen können.

Umgekehrt ist das Interesse deutscher Fußball-Fans an tschechischen Vereinen deutlich geringer ausgeprägt. Möglicherweise auch deshalb, weil die Spitzenklubs in Prag oder Pilsen auf eine deutsche Übersetzung ihrer Homepage verzichten.

Anders als Slovan Liberec. Der Klub aus Nordböhmen informiert brandaktuell auf Deutsch – und dies seit Jahren. Denn Liberec hat auch Fans im nahen Grenzgebiet. Speziell aus dem Raum Zittau hätten „einige sogar eine Dauerkarte“, erzählte Jan Nezmar bereits im November 2015. Er war damals Sportdirektor bei Slovan und zugleich Spieler des Regionalligisten FC Oberlausitz Neugersdorf, der in jenen Jahren auf zahlreiche ältere Spieler aus Tschechien setzte. Wie Nezmar, der 2012 mit Liberec tschechischer Meister geworden war und als 38-Jähriger noch auf Torejagd in Deutschland ging.

Der FK Teplice beschäftigte früher sogar einen Deutschland-Beauftragten, nachdem sich in Dresden ein Fanclub gegründet hatte. Bei Top-Spielen pilgerten zuweilen gar 100 deutsche Fans über die Grenze, vor allem aus dem nahen Altenberg. Wobei die tschechischen Klubs allerdings nicht nur auf lautstarke Unterstützung aus deutschen Kehlen hofften, sondern auch auf Verträge mit deutschen Sponsoren. Denen fehlte jedoch eine entsprechende Zielgruppe. Eine Marktstudie besagte, dass ein „Werben um deutsche Fans und Firmen kaum Aussicht auf Erfolg“ verspreche, wie das Sportmagazin „Kicker“ im Juni 2019 berichtete.

Auch in dieser Hinsicht schien Corona alles zu verändern. Im Frühsommer 2020 wurden die Pressesprecher tschechischer Zweitligisten (!) plötzlich von Anfragen aus Hamburg, Stuttgart und anderen deutschen Städten überhäuft. Deutsche Fans und Blogger wünschten Tickets, Journalisten eine Akkreditierung. Selbst Punktspiele in Pardubice, Žižkov oder Hradec Králové wurden offenbar zu wertvollen Events, nachdem der Spielbetrieb in den meisten anderen Ländern und Fußball-Ligen wegen des Virus ausgesetzt war.

Den tschechischen Medien-Profis schien dieser Rummel nicht geheuer. Sie forschten nach und versagten den selbsternannten Berichterstattern die Ausweise. Die Nachfrage setzte nämlich genau in jenen Tagen ein, da man für eine Reise von Deutschland nach Tschechien noch einen triftigen Grund brauchte. Weshalb die Pressesprecher die Anschreiben eher als Ansinnen für einen Wochendausflug mit der Freundin nach Prag werteten und nicht für eine Berichterstattung über die Partie zwischen Viktoria Žižkov und den FC Hradec Králové.

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