Presseschau
Über Misstrauen gegenüber der Regierung und den Ausgangi der deutschen Bundestagswahl
18. 9. 2013 - Text: PZText und Foto: PZ
Vertrauensverlust | In der Prager Literaturzeitung „Literární Noviny“ schildert der Soziologe Antonín Rašek, wie die an seinem Wochenendhaus vorbeiführende Straße wegen einer Baustelle vorübergehend zu einer Sackgasse wurde. Obwohl ein Hinweisschild ebenso wie die Worte und Gesten des Autors die Straße als unpassierbar bezeichnen, lassen sich die meisten Fahrer nicht davon abhalten, die Durchfahrt dennoch zu versuchen, natürlich vergeblich. Daran knüpft Rašek grundsätzliche Überlegungen: „Die Menschen hören wohl allmählich auf, überhaupt noch jemandem zu vertrauen. (…) Institutionen glaubt man schon generell nicht. Der Nečas-Regierung vertraute am Ende nur noch jeder zehnte Bürger, dem Senat oder der Abgeordnetenkammer meist nur jeder Fünfte. (…) In den letzten elf Jahren wechselten bei uns elf Regierungen mit neun verschiedenen Regierungschefs ab. Jetzt wird daraus schon ein Dutzend (…).Das zeugt keineswegs von Regierungs- oder gar politischer Stabilität. Danach sehen auch die Ergebnisse des Regierungshandelns aus. Soziologen halten die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen und politischen Systems für eine Voraussetzung der nationalen und persönlichen Integrität. Für den Bürger ist das an erster Stelle die Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung. Die ist vom Ideal weit entfernt. Transparency International spricht sogar von ihrer Verschlechterung (…). Die Annahme eines wirksamen Gesetzes über den öffentlichen Dienst steht in den Sternen. Und das trotz der Warnung der EU, dass sie dies zur Bedingung für die Bewilligung von Zuschüssen aus ihren Fonds macht. Aber das erklärt die Situation nur zum Teil. Die Leute haben auch aufgehört, sich gegenseitig zu vertrauen. Sie fürchten sich davor, vom Nächsten übers Ohr gehauen zu werden. Am meisten fühlen sich Alte und Behinderte bedroht. Es bildet sich eine allgemeine Atmosphäre des Misstrauens heraus.“
Schützenhilfe für Tschechien | Die Tageszeitung „Lidové Noviny“ macht sich Gedanken über den Ausgang der Bundestagswahlen und erhofft sich indirekte Schützenhilfe von einer möglichen Großen Koalition für die tschechische Wirtschaft. „Die deutschen Sozialdemokraten sind nämlich etwas offener als die gegenwärtige Koalition nicht nur hinsichtlich einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik im Rahmen der Eurozone (…). Sie sind auch nachgiebiger bei Sparmaßnahmen und bei der Anwendung von fiskalischen Anreizen zur Förderung des Wachstums. Falls also wirklich eine Große Koalition entstehen sollte, wird die deutsche Wirtschaftspolitik spürbarer als heute auf die Unterstützung der Binnennachfrage gerichtet sein. Und wenn der deutsche Verbraucher ‚in Schwung kommt‘, dann auch der Rest der europäischen Volkswirtschaften einschließlich der tschechischen, die ja bekanntermaßen außenwirtschaftlich in hohem Maße mit Deutschland verbunden ist. Ein Wechsel in der Zusammensetzung der deutschen Koalition wird, kurz gesagt, die tschechische Volkswirtschaft ziemlich wahrscheinlich stärker anstoßen als irgendetwas anderes. (…) Ohne große Übertreibung lässt sich also feststellen, dass sich die Unterstützung der deutschen Euroskeptiker jetzt als die beste Maßnahme zur Stimulierung der tschechischen Wirtschaft herausstellt. Je stärker diese nämlich werden, umso mehr Stimmen gewinnen sie zusätzlich auf Kosten der jetzigen Regierungsparteien (…). Und umso wahrscheinlicher wird die Bildung einer Großen Koalition, die mit ihren Wachstumsförderungsmaßnahmen dann nicht nur die deutsche Volkswirtschaft, sondern indirekt auch die tschechische anstoßen würde.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“