„Die Nähe zur Heimat ist mir wichtig“
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„Die Nähe zur Heimat ist mir wichtig“

Markéta Jeřábková (24) ist derzeit die beste Handballerin Tschechiens. Sie spielt seit Saisonbeginn für den Thüringer HC – mit großen Zielen

5. 10. 2020 - Interview: Klaus Hanisch

PZ: Sie suchten nach eigenen Angaben für die neue Saison ein starkes Team mit hohen Zielen. Der THC spielte mit Platz 4 seine schwächste Bundesliga-Saison seit zehn Jahren und verpasste die Champions League. Warum wechselten Sie vom ungarischen Verein Érd NK trotzdem nach Thüringen?
Markéta Jeřábková: Ich spiele gerne in einer Mannschaft, die die größten Ziele verfolgt – und das ist weiterhin auch für den THC wichtig. Ich weiß, dass Trainer Herbert Müller seit vielen Jahren dafür steht und schon große Erfolge feierte, auch wenn ich ihn vor meinem Wechsel nach Thüringen nicht gesprochen hatte und kaum kannte. Im Team stehen zudem zwei Spielerinnen, die mir bei der Eingewöhnung sehr geholfen haben und immer noch helfen: Lýdia Jakubisová aus der Slowakei, die schon seit 2011 für den THC spielt und eine der Besten ihres Landes ist, und meine tschechische Landsfrau Iveta Korešová, auch schon seit 2013 beim THC.

Sie nennen Handballerin als Ihren Beruf, sind also Profi und können davon leben. Spielte beim Wechsel auch Geld eine entscheidende Rolle?
Ich fühle ich mich jetzt einfach wohler. Ich stamme aus Pilsen und Thüringen ist näher an meinem Zuhause. Das ist wichtig für meine Psyche. In den letzten beiden Jahren in Ungarn war es schwierig für mich. Vielleicht auch, weil ich dort meinen ersten Vertrag im Ausland unterschrieben hatte. Für mich zählt die Nähe zur Heimat mehr als Geld.

Markéta Jeřábková ist „Tschechiens Handballerin 2020“. | © Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0

Sie kommen aus einer sehr sportlichen Familie. Ihr Vater Jaroslav Jeřábek spielte als Fußballer unter anderem für Bohemians Prag. Hat er Sie beeinflusst, Leistungssportlerin zu werden?
Ja, das kann gut sein. Als wir jung waren – mein Bruder Jakub und ich – haben wir nur Sport gemacht. Unsere Eltern unterstützten uns darin, wann immer sie konnten. In meiner Familie steht Sport tatsächlich an erster Stelle.

Der THC spielte seit 2011 ununterbrochen in der Champions League und weist auf seiner Homepage darauf hin, dass er mehrfach unter den zehn besten Klubs in Europa war. Nun geht es im Oktober lediglich um die Qualifikation zur EHF European League gegen WAT Atzgersdorf aus Wien. Wie weit kann der THC kommen, was ist international Ihr Ziel?
Ich bin sicher, dass wir die Gruppenphase spielen können. Und wenn wir eine gute Form haben, können wir ganz lange in der European League mitspielen und sehr weit kommen. Das ist mein Ziel und ich glaube ganz fest an unsere Mannschaft.

Ihr Bruder Jakub ist professioneller Eishockey-Spieler. Mit den Washington Capitals gewann er 2018 sogar den Stanley-Cup. Haben Sie auch seinen Ehrgeiz, ist Ihr Ziel letztlich auch der Gewinn der Champions League im Frauen-Handball?
Nein, ich kann auch damit leben, nicht die höchsten Ziele in meiner Karriere zu verfolgen. Aber ohne Frage wäre es ein tolles Gefühl, solche Ziele zu erreichen. Doch zunächst würde ich gerne überhaupt einmal Champions League spielen.

In der Bundesliga glückte der Start mit drei Siegen und einem Remis in den ersten vier Spielen. Der THC gewann von 2011 bis 2016 sechs Mal hintereinander die Deutsche Meisterschaft, 2018 erneut. Doch nun gab es einen großen Umbruch im Team. Ist der Titel trotzdem das Ziel?
Die Veränderungen waren in der Tat gewaltig. Acht neue Spielerinnen kamen und sehr gute verließen den Verein. Wir haben viele Spiele in der Vorbereitung absolviert und müssen uns in Training und Spiel noch besser finden. Doch es sieht schon sehr gut aus. Wir werden in jedem Fall unser Bestes geben und müssen dann eben sehen, was möglich ist. Das ist für uns alle jedoch auch eine große Chance zu zeigen, was wir leisten können und was wir draufhaben.

THC-Trainer Herbert Müller | © Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0

In einem Interview mit der „Prager Zeitung“ zum Saisonende im April fürchtete Pavel Horák trotz seiner Deutschen Meisterschaft mit dem THW Kiel um die Zukunft des Handballs wegen Corona. Machen auch Sie sich Sorgen?
Jeder weiß, dass diese Zeit ganz außergewöhnlich ist. Alle müssen in allen Branchen eine neue und wirklich schwierige Situation meistern. Auch wir Handballer müssen einfach unser Bestes geben. Ich hoffe sehr, dass es bald wieder besser wird und vielleicht schon in einigen Wochen wieder so sein kann wie zur gleichen Zeit in der letzten Saison.

Vor Saisonbeginn gab es ein Trainingslager in Most. Die neu formierte Mannschaft habe sportlich einen riesigen Schritt nach vorn gemacht, sagte Trainer Müller. Sie spielten von 2013 bis 2018 für Baník Most, wurden dreimal tschechischer Meister. Was ist der Unterschied zwischen dem Frauen-Handball in Tschechien und Deutschland?
Es ist für den THC schon Tradition, jedes Jahr in Most ein Trainingslager zu absolvieren. Das fand ich natürlich toll, weil ich dort einige Jahre gespielt habe. Es besteht ein sehr großer Unterschied zwischen beiden Ländern. In der Tschechischen Republik gibt es eigentlich nur eine Sportart Nummer eins und eine Nummer zwei: Eishockey und Fußball. In Deutschland ebenso, nämlich Fußball und Handball. Das zu wissen ist sehr wichtig! Gerade auch für den Frauen-Handball. Denn viele Vereine in Tschechien arbeiten unprofessionell. Und deshalb haben sich viele Spielerinnen unserer Nationalmannschaft europäischen Klubs angeschlossen. In der tschechischen Liga spielen meist sehr junge Frauen.

Der THC vermisst Iveta Korešová, die beste Handballerin der Bundesliga 2018 und 2019. Sie trug zu den großen Erfolgen der vergangenen Jahre wesentlich bei. Im August bekam sie ein Kind. Hat sie Ihnen erzählt, ob und wann sie zurückkommt?
Sollte sie mir etwas Neues erzählen, werde ich es sicher nicht öffentlich preisgeben. Sie genießt jetzt die Zeit mit ihrem Baby und ihrer Familie zu Hause in Tschechien. Wenn sie wieder spielen will, wird sie es tun.

Jeřábková spielt seit 2014 für Tschechiens Nationalteam. | © APZ

Die Tschechoslowakei war 1957 der erste Handball-Weltmeister bei den Frauen. Sie spielten bei mehreren Welt- und Europameisterschaften. Wie hoch ist derzeit das Niveau des tschechischen Frauen-Handballs?
Ich denke, wir sollten und können auch unsere Partien ohne allzu großen Druck spielen. Natürlich wollen wir immer gewinnen und wir können manches erreichen. Aber dafür muss jede aus unserem Team zu 100 Prozent konzentriert sein. Und in Bestform. Dann können wir überraschen.

Die Niederländerinnen sind amtierende Weltmeisterinnen. Im Frauen-Handball sind zudem Nationen wie Rumänien und Brasilien führend. Ebenso Ungarn, wo Sie zuletzt spielten. Sie sind erst 24 Jahre alt und haben nur einen Vertrag für zwei Jahre unterschrieben. Das klingt danach, dass Sie erst einmal abwarten, wie es mit dem THC weitergeht?
Das hat nichts damit zu tun, dass ich der weiteren Entwicklung des THC etwa misstrauen würde. Ich ziehe prinzipiell Zwei-Jahres-Verträge vor, das ist gut für mich. Es gibt mir einfach das Gefühl, freier zu sein, als wenn ich gleich einen Vertrag über fünf Jahre unterzeichnen würde.

Der THC spielt in Bad Langensalza, einer Kurstadt mit kaum 20.000 Einwohnern. Wie lebt und spielt es sich für Tschechiens Handballerin des Jahres 2020 in der Provinz?
Ich mag kleinere Städte. Und über Bad Langensalza hatte ich nur positive Dinge gehört, über die Atmosphäre dort und über die Fans. Tatsächlich war unser erste Heimspiel Ende September phänomenal. 500 Zuschauer waren dabei – und sie waren großartig! Ich kann die nächsten Heimspiele kaum erwarten.

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