Blick in die Presse

Blick in die Presse

Pressekommentare zum Erbe der Samtenen Revolution, zur Haltung der Tschechen gegenüber Russland, zur Flüchtlingspolitik und zu Premier Bohuslav Sobotka

7. 1. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Maulende Kunden | Die „Süddeutsche Zeitung“ blickt auf die 25 Jahre seit der Wende in Osteuropa zurück: „Havels Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten, Václav Klaus und Miloš Zeman, tun sich als Verächter des Aufbruchs von 1989 hervor. Zeman ist dafür jüngst am Jahrestag der ‚Samtenen Revolution’ ausgepfiffen worden, zu Recht. (…) Es gäbe Anlass, dass die Bürger der EU im Westen wie im Osten gemeinsam die demokratische Lebensqualität diskutieren. Sie lässt zu wünschen übrig. Was Václav Havel schon vor 20 Jahren für Tschechien bemängelte, gilt heute für die ganze EU: Die meisten Menschen betrachten sich nicht als aktive Bürger, sondern als Kunden der Demokratie. Sie meinen, sie könnten bestellen, und maulen, wenn nicht geliefert wird – animiert von neuen Medien, die immer oberflächlicher berichten und immer hysterischer die Politik als Entertainment inszenieren.“

Absurde Kritik | Auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ blickte zum Jahresende skeptisch nach Prag: „Václav Klaus, der bereits das Eingreifen der Nato im Jugoslawien-Krieg kritisiert hatte, zeigt sogar noch mehr Verständnis für Putin als Zeman. Er meint, dass die Krise in der Ukraine von den Gegnern Russlands zum Vorwand genommen werde, um eine neue Ost-West-Konfrontation zu provozieren. (…) Populismus ist es nicht, was die tschechischen Putin-Versteher motiviert. Eine Umfrage ergab, dass nur 20 Prozent der Tschechen Moskaus Politik gegenüber der Ukraine unterstützen. Mehr als 40 Prozent meinen, dass die größte Gefahr für den Frieden in Europa von Russland und dem Islamismus ausgehe. Die Popularität Zemans ist auf einem Tiefpunkt. (…) Bei Zeman und der sozialdemokratischen Regierung mögen die Anziehungskraft des staatskapitalistischen Modells und das Interesse der tschechischen Industrie am russischen Markt eine große Rolle spielen, bei Klaus die ins Absurde entglittene Kritik an der EU und die Bewunderung des Putinschen Dezisionismus. Aber reicht das aus, um solche Äußerungen führender Politiker eines Landes zu erklären, das mehr als 20 Jahre lang von russischen Truppen besetzt war?“

Zerstörte Welt | Mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen erinnert das Wochenblatt „Respekt“ an die „Erbsünde des Kolonialismus“: Im Vergleich zu den Massakern zur Zeit des Kolonialismus habe „die Deformierung der lokalen Gesellschaften durch die Kolonialisten tiefere und längerfristige Folgen gehabt. (…) Die Befürworter der Kolonialreiche argumentieren häufig mit dem Zerfall, den Afrika nach dem Weggang der Europäer durchmachte. Der Misserfolg der Mehrzahl der afrikanischen Staaten in den ersten Jahrzehnten der Unabhängigkeit ist freilich kein Grund zur Verteidigung des Kolonialismus – er ist umgekehrt die Hauptanklage gegen ihn. Er vernichtete die alten politischen Systeme, aber ersetzte sie nicht durch etwas Funktionierendes. Dieser Geschichte sollten wir uns immer bewusst sein, wenn wir Berichte über Flüchtlinge hören, die in Booten über das Mittelmeer kommen. Hunderte von Jahren zogen die Europäer in die Welt hinaus. Jetzt kommt diese in hohem Maße zerstörte Welt zu uns.“

Anständiger Mensch | Mit Spott übergießt die Prager „Literární noviny“ Premier Sobotka, der Dan Ťok Anfang Dezember zum Verkehrsminister machte, obwohl er noch vor kurzem Chef von Skanska war, einer der größten Baufirmen im Lande, die sich auf Verkehrsinfrastruktur spezialisiert: „Es entspann sich eine interessante und wichtige Diskussion darüber, (…) wie man Interessenkonflikte vermeiden kann. Es schien eher so, dass dies im Falle von Dan Ťok nicht möglich sei. Aber der Premier bewertete die Situation wie folgt: ‚Er ist ein anständiger Mensch und wird sich zu keinem Interessenkonflikt herablassen.’ Der Premier hat Recht – größere Sicherheiten gibt es nicht.“