Blick in die Presse

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Tschechische Pressekommentare zur Interimsregierung unter Jiří Rusnok und zum Umgang der Justiz mit dem kommunistischen Erbe

23. 10. 2013 - Text: PZText: PZ

Erlaubt, was nicht verboten | Die Prager Tageszeitung „Hospodářské noviny“ versucht eine Bilanz der ersten 100 Tage der von Zeman eingesetzten „Expertenregierung“ unter Premier Rusnok zu ziehen. Diese sei deshalb von besonderer Bedeutung, weil „sie uns zeigt, wie ein Präsidialsystem, falls es sich durchsetzt, unter hiesigen Rahmenbedingungen funktionieren kann. Es hat drei grundlegende Merkmale. Begrenzte Macht des Premiers, Missachtung des Hergebrachten, Formalismus in Verfassungs- und Rechtsfragen. Premier Rusnok leitet seine Minister nicht wirklich. Als Verkehrsminister Žák die Führung der Tschechischen Bahn, der Verwaltung des Schienennetzes und die Manager anderer staatlicher Unternehmen austauschte, rang sich Rusnok bloß zu einem matten Ausdruck der Missbilligung durch. (…) Der Präsident ist nicht nur der derzeitige alleinige Machthaber, sondern er gibt auch den Ton an beim neuen Umgang mit der Verfassung. Nach 100 Tagen der Rusnok-Regierung gilt, dass erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist. Die Verfassung ist zu einer Ansammlung von Buchstaben degeneriert; was man in der politischen Theorie ‚Verfassungsmäßigkeit’ nennt, ging verloren. Ein Beispiel ist die Durchsetzung von Einfällen des Präsidenten im Wege ‚gesetzlicher Maßnahmen des Senats’, was nichts anderes ist als der Missbrauch der Artikel, die in der Verfassung für den Fall von Naturkatastrophen oder kriegerischen Konflikten enthalten sind. Die Präsidialregierung kann nach den Wahlen noch lange fortbestehen. Ein Patt wie im Jahre 2006 ist nicht ausgeschlossen, und formal zwingt Zeman nichts dazu, rasch einen neuen Regierungschef zu ernennen. Gewonnen aber hat er noch nicht. Wie auch immer die Wahlen ausgehen, unterschwelliges Motiv der folgenden Verhandlungen wird die Frage sein, ob man die parlamentarische Demokratie bewahren soll, in der die politischen Parteien die Hauptrolle spielen (wie es letztlich die tschechische Verfassung voraussetzt), oder fortfahren soll im Übergang zum Präsidialsystem, dessen praktische Ausformung uns die 100 Tage der Rusnok-Regierung vorgeführt haben.“

Hinkende Gerechtigkeit | Aus Anlass des Freispruchs (aus Mangel an Beweisen) für den ehemaligen StB-Agenten, Gefängniswärter und mutmaßlichen Peiniger politischer Gefangener Josef Vondruška beklagt die Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ das tschechische Unvermögen, die kommunistische Vergangenheit aufzuarbeiten: „Die Gerechtigkeit ist zwar nicht blind, aber in Tschechien hinkt sie stark. Vondruška hat allen Grund für sein siegreiches Lächeln. (…) ‚Man brauchte wohl einen Knüppel für die Kommunisten’, kommentierte er den Prozess. Die politischen Gefangenen haben eher gegenteilige Gefühle. ‚Ist das nicht ein Schlag gegen die Gerechtigkeit?’ mögen sie fragen. Wir wissen, dass die tschechische Justiz mit dem kommunistischen Erbe ein Problem hat. Wir wissen, wie schwierig es war, bis sich die Öffentlichkeit wenigstens die Bekanntgabe der Listen der kommunistischen Richter erstritt. Wir wissen auch, welche Verhältnisse in den kommunistischen Gefängnissen herrschten. (…) Während die deutsche Justiz den Druck zur Bestrafung der letzten noch lebenden KZ-Wächter deutlich steigerte und um eine redliche Aufarbeitung seiner totalitären Vergangenheit bemüht ist, scheint die tschechische Justiz aufs Gegenteil zu setzen. Langsamkeit und mangelnde Überzeugungskraft, das sind die Eindrücke derjenigen, die die Entscheidungsfindung der tschechischen Gerichte aus einigem Abstand verfolgen. Wie aber mögen die Gefühle der Geschädigten sein, der Verwandten der Opfer, all derer, die von der Urteilsfindung unmittelbar betroffen sind?“

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