Blick in die Presse

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Tschechische Pressekommentare zur EU-Mitgliedschaft, die zukünftige Regierung und zur Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren

8. 1. 2014 - Text: PZText: PZ

Erstaunliche Entwicklung | Die Tageszeitung „MF Dnes“ blickt auf die drei runden Jahrestage für Tschechien im Jahr 2014: zehn Jahre Mitgliedschaft in der EU, 15 Jahre in der NATO und 25 Jahre Samtene Revolution: „Wenn wir vor einem Vierteljahrhundert jemandem gesagt hätten (…), dass unser Land nach 25 Jahren schon das achte frei gewählte Parlament haben werde, dass wir die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik durch die Wahl von Oppositionsparteien ausdrücken könnten, dass wir ein respektierter Partner der freien westlichen Länder in verschiedenen Auslandseinsätzen sein oder dass wir politische Bündnisse mit Großbritannien in diversen Organen der EU bilden würden, – dann zeigte man uns wohl ungläubig einen Vogel. Und mehr noch – wenn wir ihm sagten, dass uns nach alledem schlechte Stimmung plagt, dass wir dauernd verärgert und unzufrieden sind, dass wir die Ergebnisse dieses Vierteljahrhunderts gering schätzen, dass sich sogar ein nicht geringer Teil der Bevölkerung zurücksehnt nach den alten Zeiten des Lebens in Fesseln, in Abhängigkeit vom bolschewistischen Russland, im Land hinter Stacheldraht, mit dem sowjetischen Atomwaffenarsenal auf unserem Boden, dann würde er wohl gar nichts begreifen.“

Augen auf ANO gerichtet | Das Wochenmagazin „Respekt“ will zwar nicht ausschließen, „dass die Regierung aus ČSSD, ANO und Volkspartei für Tschechien sehr förderlich sein kann. Die Kraftmeierei, wie alles anders, moderner, besser gemacht werden muss, passt freilich nicht mit der Mannschaft zusammen, die Bohuslav Sobotka in sein Kabinett schickt. Ähnlich langweilig wirkt die Riege der Volkspartei. Man kann also erwarten, dass die Bewegung ANO die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, und das nicht bloß deshalb, weil sie auf zwei von fünf Plätzen Frauen nominierte. (…) Grundlegende Erwartungen und die meiste Publizität werden aber an das Wirken von Andrej Babiš geknüpft sein. Seine Anwesenheit in der Regierung wird damit zum interessantesten Ereignis. Grund dafür sind sein politischer Nonkonformismus, der Unwille, die zweite Geige zu spielen, und auch eine gute Agenda des Kampfes gegen die Korruption sowie für ein besseres Funktionieren der Behörden. Sobotka wird zulegen müssen, um zu beweisen, dass er zu Recht der Premier ist. Vielleicht liegt darin das größte Versprechen der sich bildenden Regierung.“

Warten auf die Macht | Die Prager Tageszeitung „Hospodářské noviny“ glossiert die Situation Sobotkas vor seinem Gang zum Präsidenten: „Jetzt liege alles an Sobotkas Charisma, sagte Andrej Babiš bei der Präsentation der künftigen Regierung und lächelte dabei aus den Augen in dem Bewusstsein, dass Sobotka es mit Präsident Zeman nicht leicht haben wird. Im Wettstreit der Charismen hat der Fast-Premier keine Chance, und zwar auch deshalb, weil er und die Koalition lange Zeit zu verstehen gaben, wie sie sich vor dem Staatsoberhaupt fürchten, und Zeman weiß das gut. Nein – Sobotka wird nicht mit seinem persönlichen Zauber gewinnen, sondern ausschließlich dank der unpersönlichen Macht des Gesetzes. Dessen Kraft gilt nämlich auch gegenüber der Majestät des Präsidenten, der kein verfassungsmäßiges Recht hat, einen Minister aus eitlen und dünkelhaften Gründen nicht zu ernennen. Sobotka muss auf seinem Standpunkt beharren, eben auch um den Preis einer gerichtlichen Klärung und des Wartens auf die Macht. Anders versteht Zeman nicht, dass er nur Präsident ist und keineswegs ein unbeschränkter König ‚Willkür‘.“

Übermäßige Hysterie | Die „Lidové noviny“ befasst sich mit den zunehmenden Befürchtungen vor der Armutswanderung in die reicheren EU-Staaten. In dieser Debatte, „in welcher sich Hysterie mit begründeten Bedenken mischen“, werde ein Aspekt oft übersehen: „Falls es irgendeinen neuen Exodus von Rumänen und Bulgaren geben wird, dann wird es zum großen Teil eher um jüngere, besser ausgebildete und somit mobilere Arbeitskräfte gehen. Und verlieren werden hauptsächlich ihre Ursprungsländer, die dann umso länger ein Klotz am Bein der übrigen EU bleiben.“

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