Zwei Fässer Bier für eine Bibel

Zwei Fässer Bier für eine Bibel

Vor 400 Jahren entstand die Kralitzer Bibel. Die Schrift gilt heute als bedeutende Grundlage für die tschechische Schriftsprache

9. 10. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; kathprag.cz

In seiner Schrift „Historia Bohemica“ von 1457 berichtet der päpstliche Legat und spätere Papst Pius II. über die profunde Bibelkenntnis der Hussiten: Er schäme sich, dass in seiner italienischen Heimat kaum ein katholischer Geistlicher die Bibel gründlich gelesen habe. Dagegen sei er im südböhmischen Tábor Frauen begegnet, die mit Zitaten aus der Bibel ihren Glauben begründeten.

Die zentrale Rolle der Bibel während der böhmischen Reformation führte schließlich dazu, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der kleinen hussitischen Gemeinschaft der Brüderunität die erste tschechische Übersetzung der Heiligen Schrift aus der hebräischen und griechischen Ursprungssprache entstand. Diese sogenannte Kralitzer Bibel wurde von einer Gruppe Gelehrter auf der Burg Kralitz, etwa 30 Kilometer  westlich von Brünn, erarbeitet und gedruckt. Nun jährt sich die Herausgabe der weit verbreiteten dritten Auflage der bedeutenden Schrift zum 400. Mal.

Als Initiator des Bibelprojekts gilt der Bischof der Böhmischen Brüder Jan Blahoslav (1523–1571), der 1564 das Neue Testament unter Berücksichtigung des griechischen Urtextes ins Tschechische übersetzt hatte. Sein früher Tod verhinderte, dass er auch an der tschechischen Übertragung des Alten Testaments mitwirken konnte. Aber Blahoslav hatte die wesentlichen Voraussetzungen dafür geschaffen: Gegen den Widerstand führender Mitglieder der Brüderunität setzte er sich als Anhänger eines reformatorischen Humanismus für eine wissenschaftliche Ausbildung der Theologen ein. Er entsandte seine begabtesten Studenten zum Sprachenstudium an die Universitäten in Basel und Wittenberg;  aus der Gruppe rekrutierte sich später ein großer Teil des Übersetzungsteams für die Kralitzer Bibel.

Außerdem verfasste Blahoslav die bedeutendste und umfangreichste tschechische Grammatik des 16. Jahrhunderts, die bei der Bibelübersetzung herangezogen wurde. Schließlich richtete er in der Brüderschule von Ivančice eine Druckerei ein, die wenig später auf die nahegelegene Feste Kralitz verlegt wurde, wo man vor einem Zugriff des katholischen Erzbischofs von Olmütz sicherer war.

Eine Ketzerschrift wird Norm
Der Adelige und mährische Landeshauptmann Johann von Zierotin, selbst Mitglied der Brüderunität, stellte den Übersetzern die Burg als Treffpunkt zur Verfügung und sorgte für deren Unterhalt. In 15-jähriger Arbeit schufen sie von 1579 bis 1594 in Kralitz die vollständige tschechische Übersetzung der Bibel. Eine revidierte Fassung des Neuen Testaments von Blahoslav inbegriffen, umfasste die Erstausgabe in sechs Bänden ganze 4.500 Seiten. Diese Ausgabe war vor allem für die Prediger angedacht, für die die biblischen Texte mit ausführlichen Erklärungen versehen wurden.

Ohne wissenschaftlichen Kommentar, in einem Band veröffentlicht, stellte die dritte Auflage der Kralitzer Bibel im Jahr 1613 eine weniger kostspielige Laienbibel dar. Ihr Preis entsprach etwa dem Wert von zwei Fässern Bier oder fünf Schafen.

Nach der Niederlage der evangelischen Stände von 1620 setzte die Gegenreformation ein, fortan zählte die Bibel der Brüderunität zu den verbotenen Werken. Lediglich im Ausland konnte sie nachgedruckt werden. So zum Beispiel in Halle, wo man 1722 etwa 5.000 Exemplare für die im Untergrund lebenden Gemeinden der Brüderunität in den böhmischen Ländern anfertigte. Mit ihrem eleganten Sprachstil beeindruckte die Kralitzer Bibel sogar die Jesuiten, die sich in ihrer 1715 erschienenen tschechischen Bibel, der Wenzel-Bibel, mehrfach auf Übersetzungen der „Ketzer-Bibel“ bezogen.

Im 19. Jahrhundert erlangte die Kralitzer Bibel im Zuge der tschechischen nationalen Wiedergeburt unter Linguistikern die Bedeutung eines nationalen Sprachdenkmals. Josef Jungmann, der die Erneuerung der tschechischen Schriftsprache einleitete, bezog sich in seiner tschechischen Grammatik vor allem auf den Text und den Wortschatz der Kralitzer Bibel. Ähnlich wie die Lutherbibel zur Norm für die gehobene deutsche Sprache wurde, prägte die Kralitzer Bibel die tschechische Literatursprache maßgeblich mit.

Ausstellung „Kralitzer Bibel 1613–2013“

Anlässlich des 400. Jubiläums der Herausgabe der Kralitzer Bibel informiert eine Ausstellung  im Prager Klementinum über die Geschichte der Schrift von ihrer Entstehung bis zur Gegenwart. Wertvolle Originaldrucke sowie weitere Exponate belegen eindrucksvoll, dass die Kralitzer Bibel zu den großen kulturellen Leistungen der tschechischen Geschichte gehört. Die Ausstellung kann bis 3.November besucht werden, sie ist dienstags bis sonntags von 10.30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet.

Weitere Informationen unter www.nkp.cz