„Zemans Strategie ist riskant“

„Zemans Strategie ist riskant“

Politologin Vladimíra Dvořáková hat den Überblick in einem Spiel verloren, dessen Regeln jeder zu seinen Gunsten auslegt

31. 7. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba

Vladimíra Dvořáková zählt zu den renommiertesten Politologen im Land. Ihre politischen Prognosen treffen ins Schwarze. Normalerweise. Nach dem Sturz des Kabinetts Nečas hat Präsident Miloš Zeman die verfassungsrechtlichen Gepflogenheiten der parlamentarischen Demokratie über Bord geworfen und kurzerhand eine eigene Übergangsregierung ernannt. Hauptsache, keine Fortsetzung von Mitte-Rechts und – so scheint es – Hauptsache, der Präsident kann bei allem mitreden. Spätestens am 8. August wird das Parlament über das Vertrauen der Regierung abstimmen. Was danach kommt, das traut sich Dvořáková im Gespräch mit PZ-Redakteur Martin Nejezchleba nicht vorauszusagen. Mit Zeman auf der Burg scheint alles möglich.

Frau Dvořáková, die Parteien der einstigen Regierungskoalition haben angekündigt, der Übergangsregierung von Jiří Rusnok ihr Vertrauen nicht auszusprechen. LIDEM, TOP 09 und ODS verfügen gemeinsam über eine knappe Mehrheit im Parlament. Das Ergebnis wäre somit klar. Ist die Lage wirklich so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick erscheint?
Dvořáková: Ich glaube nicht. Für mich bleiben viele Dinge im Unklaren. Als sich Zeman entschieden hat, das Parlament bei der Ernennung des Premiers zu umgehen, dachte ich, er hätte vieles bereits ausgehandelt. Ich dachte, er werde die Sozialdemokraten und die Kommunisten dazu bringen, einheitlich für Rusnok zu stimmen. Dafür spricht auch seine Ankündigung, im zweiten Versuch die Rechte mit der Zusammenstellung der Regierung zu beauftragen. Die Linke steht unter Druck, sie müsste sich vor den Wählern dafür rechtfertigen, dass sie eine sehr unpopuläre rechte Regierung zurück an die Macht lässt. Bisher gibt es aber keinerlei Spekulationen darüber, wer das Quorum bei der Vertrauensabstimmung senken könnte – wer sich enthalten wird oder wer nicht zur Abstimmung erscheint. Das ist in der tschechischen politischen Szene gängig. Und gängig ist auch, dass diese Strategien schnell an die Öffentlichkeit geraten.

Zeman ist nicht gerade für strategieloses Handeln bekannt. Worauf könnte er abzielen?
Dvořáková: Im Moment gelingt es ihm sehr gut, die Sozialdemokraten zu entzweien. Vielleicht war das sein Hauptanliegen. Die ČSSD ist in einer Zwickmühle: Zemans Regierung übernimmt Teile ihres Programms, er hat eine Regierung gestürzt, die ursprünglich die Sozialdemokraten hätten ablösen sollen. Zeman hat die ČSSD gespalten, in einen Teil, der den Präsidenten unterstützt und den der stellvertretende Vorsitzende Michal Hašek repräsentiert. Der zweite Strom folgt dem Vorsitzenden Bohuslav Sobotka. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich das Sobotka-Lager zusammenrauft und sich gegen Rusnok stellt. Bei der Vertrauensabstimmung wäre das am Ende womöglich gar nicht entscheidend, aber es hätte die Symbolik einer großen Niederlage für Zeman.

Halten Sie es für möglich, dass Zeman im zweiten Versuch den Sieger der vorangegangenen Wahlen, also die ČSSD, mit der Regierungsbildung beauftragt?
Dvořáková: Falls sie gegen ihn stimmen ganz bestimmt nicht. Er hat ja schon angekündigt, der Mitte-Rechts-Koalition den zweiten Versuch zu gewähren. Das Spiel ist in einer gewissen Art und Weise eröffnet worden und bei Miloš Zeman ist es sicher angebracht, nach einer Strategie zu suchen. Aber irgendwie geht das Ganze in meinen Augen nicht auf…

Sie wissen also nicht, was Zeman im Schilde führt?
Dvořáková: Abgesehen vom Angriff auf die ČSSD erkenne ich keine Strategie.

Geht es Zeman vielleicht auch einfach nur darum, wichtige Posten in den Ministerien zu besetzen und Entscheidungen zu forcieren, die seinen Verbündeten in Wirtschaft und Politik entgegenkommen?
Dvořáková: Das ist natürlich möglich. Falls Rusnok das Vertrauen nicht ausgesprochen wird, könnte Zeman ihn weitere fünf Monate regieren lassen. Letzten Endes hat Klaus das schon mit der ersten Topolánek-Regierung gemacht. Damit könnte Zeman einige Entscheidungen beeinflussen und sich Quellen für die Finanzierung künftiger Wahlkämpfe sichern. Betrachten wir das Ganze nur als Machtspiel, dann ist das wirklich unübersichtlich. Wir kennen die weiteren Schritte nicht. Falls sich der Präsident dazu entscheidet, einen zweiten Versuch zur Regierungsbildung zuzulassen, dann wäre das sehr riskant. Sollte dieser Versuch nicht aufgehen, dann ernennt das Abgeordnetenhaus den dritten Kandidaten direkt. Im Gegensatz zur jetzigen Regierung könnte eine zweite laut Verfassung nicht die nächsten Monate in Demission regieren. Falls Zemans beziehungsweise Rusnoks Regierung nicht eine eindeutige Unterstützung im Parlament erhält – sagen wir mindestens 101 Stimmen – oder wenn sie nicht von der gesamten Sozialdemokratie unterstützt wird, dann wäre das eine sehr große Niederlage für Zeman. Falls wir von den gängigen politischen Spielregeln ausgehen.

Gelten denn in Tschechien keine gängigen politischen Spielregeln?
Dvořáková: Bei uns ist es Usus geworden, dass Politiker aus Verlusten keine Konsequenzen ziehen. Wenn wir Politologen das politische Geschehen kommentieren, dann gehen wir davon aus, dass das Maß der eventuellen Niederlage einen entsprechenden Legitimitätsverlust für Politiker nach sich zieht. Aus dieser Prämisse lässt sich politisches Handeln in einem bestimmten Maß voraussagen. Mich beschleicht aber das Gefühl, dass bei uns die Regierung bereits Legitimität verspüren würde, auch wenn nur ein halbes Prozent der Bevölkerung sie unterstützt. Hinzu kommt, dass sich Zeman nicht an den üblichen Umgang mit der Verfassung hält. In der Vergangenheit hat er bereits angedeutet, dass er manche der vorgeschlagenen Minister einfach nicht ernennen wird.

Eigentlich sollte der Präsident aber überhaupt nicht das Recht haben, jemanden nicht zu ernennen. Die Regeln wurden hier derart verwässert, dass man die nächsten Schritte eigentlich nicht vorhersagen kann – wie sich gezeigt hat, sind auch Schritte jenseits der Verfassung möglich. Wir erleben hier eine völlige Demontage des Rechtsstaates. Das macht eine Analyse so schwer. Das ist, als wenn ich auf den Ausgang eines Fußballspiels tippen sollte, bei dem manchmal die Abseitsregel gilt, manchmal nicht, bei dem manchmal 10, manchmal 12 Spieler für das eine, vielleicht aber auch für das andere Team spielen oder bei dem nur manchmal der Schiedsrichter pfeift. Verstehen Sie? Das ist die Situation, in der sich dieser Staat befindet. Fest steht, dass Zemans Strategie unglaublich riskant und destabilisierend für das Land ist.