Zeigen und zeigen lassen

Zeigen und zeigen lassen

Prag anders entdecken? Die PZ hat die aufregendsten und sonderbarsten Stadtführungen getestet

3. 7. 2013 - Text: PZ


Die Internationale Tour

Mein Reiseführer Michael kann bis heute nicht sagen, welcher Nationalität er angehört. Bei der „Free City Tour“ möchte er einen echten „Czechxperten“ aus mir machen. Die Bezahlung ist freiwillig. Sagt mir die Tour nicht zu, kann ich einfach gehen. Hat sie mir gefallen, soll ich so viel geben, wie ich möchte. Die Führung findet in englischer Sprache statt, so dass Menschen aus der ganzen Welt teilnehmen. In meiner 30-köpfigen Gruppe befinden sich Reisende aus Kanada, den USA , China und vielen anderen Ländern. Die Führung beginnt am Altstädter Ring, an der Kreuzung zur Pařížská-Straße. In drei Stunden laufen wir fast die komplette Alt- und Neustadt ab. Michael erzählt viel Wissenswertes, zum Beispiel, dass Hitler plante, das Jüdische Viertel in ein Museum einer vernichteten Rasse zu verwandeln. Auf dem Wenzelsplatz bemerkt er, dass es im Kommunismus weder Obdach- noch Arbeitslose gab. Michael bringt mich zum Lachen, er scherzt über Bedřich „Schlagsahne“ Smetana. Außerdem erklärt er, wie man den schwierigsten tschechischen Buchstaben „ř“ richtig ausspricht. Wer eine originelle und amüsante Stadtführung sucht, ist hier an der richtigen Adresse.   Jakob Mathe

Free City Tour, Startpunkt Altstädter Ring/Ecke Pařížská, täglich 10.45 und 14 Uhr, Dauer: 3 Stunden, Kosten: freiwillig, Infos: www.newpraguetours.com

Die Dynamische Tour
Für die Macher von „Bikecentric“ ist Radfahren ein Glaubensbekenntnis. Ihre Räder haben dicke Reifen und ein flaches Profil, sie machen die Stöße des Prager Kopfsteinpflasters sanfter und erlauben Ausflüge in entlegenes Terrain voller Perspektivenwechsel: die Industriestadt Prag, deren Herz das Viertel Karlín ist. Karel, mein Stadtführer, wohnt dort, er kennt den besten Weg. Nördlich der Autobahnbrücke beginnt die unaufgeräumte Stadt: Bürobauten der Neunziger, neue Appartements, Schrotthaufen, ein Busdepot und Industrieruinen, in denen Obdachlose leben. Wir gleiten durch die „streets“ und „avenues“ des alten Karlín, reißbrettmäßig wie Manhattan wurde dieser Arbeiterstadtteil einst angelegt. Die Flut 2002 war hier die Zäsur, berichtet Karel. Danach kamen die Developer und machten die Gegend schöner und teurer. Wir strampeln hinauf nach Žižkov. Auf einer lauten Straße gelangen wir auf ein Gelände, wo plötzlich Stille herrscht: der alte Güter- und Umladebahnhof, riesige Aufzüge zum Verladen, funktionalistische Architektur von unheimlicher Eleganz. Nach drei Stunden bin ich missioniert und beschließe, mir ein Rad zu kaufen.   Nancy Waldmann

Bikecentric Prague, Startpunkt und Fahrradausleihe: Bajkazyl (Rašínovo nábřeží, Prag 2), Touren täglich: 10 Uhr
(„The Historic Prague“), 13 Uhr („Communist Era“) und 17 Uhr („The Industrial Prague“), Englisch, Spanisch oder Tschechisch, Dauer: 3 Stunden oder nach Absprache, Kosten: freiwillig, Infos: www.facebook.com/PragueBikecentric oder Tel. 723 923 519 (Karel)

Die Soziale Tour
Bahnhöfe, Altpapier-Container, Stricher-Kneipen. Auf den Touren von „Pragulic“ führen Obdachlose durch ihr Leben auf den Straßen Prags. Die sieben Tourguides sind oder waren obdachlos. Mit ihren Führungen geben sie Einblick in eine verborgene Welt, sammeln Selbstvertrauen und ein wenig Kleingeld für ein Leben nach dem Absturz. Wer wie ich eine Tour mit Honza Badalec bucht, der lernt, wie man Müll zu Geld macht. Badalec führt unsere Gruppe durch die Gassen von Karlín, Žižkov und der Innenstadt. Sein kleiner Handkoffer rattert dabei unentwegt über Kopfsteinpflaster. Zusammen mit der sechsköpfigen Gruppe füllt er ihn mit Büchern, die er aus dem Altpapier fischt. Die Beute bringt er dann zu seinen Kunden in schummrige Antiquariate. Unentwegt zitiert er aus Gedichten und erzählt aus seinem bewegten Leben. Jede der sieben Touren ist dem individuellen Schicksal des Guides entlehnt. Ein Blick auf die Webseiten lohnt, um in etwa zu wissen, womit man rechnen muss. Wer aufpolierte Sehenswürdigkeiten sehen will, der ist hier fehl am Platz. „Pragulic“ zeigt die Goldene Stadt von unten.   Martin Nejezchleba

Pragulic, Dauer: bis zu 3 Stunden, Kosten: 200 CZK (130 CZK für Studenten und Senioren), Übersetzungen ins Deutsche oder in andere Sprachen nach Absprache möglich, Infos und Buchung: www.pragulic.cz

Die Literarische Tour
Franz Kafka auf Kaffeetassen, T-Shirts und Postkarten. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihm in der Hauptstadt. Zu einer Tour auf den Spuren weniger bekannter, aber nicht minder bedeutsamer Autoren der Jahrhundertwende lädt das „Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren“ ein. Da mir nicht nach investigativer Schnitzeljagd zumute ist, wähle ich den „Literarischen Spaziergang“ anstatt der „Literarischen Rallye“. Er führt vorbei an vielen bekannten Plätzen und Bauten, die schon Dutzend Male meinen Weg gekreuzt haben – ohne, dass ich ahnte, was sich dahinter verbarg. Ich erfahre, wo Familie Kafka am Altstädter Ring wohnte, welches Gymnasium Max Brod, Franz Werfel und Lenka Reinerová besuchten und in welchem Haus Rainer Maria Rilke zur Welt kam. Nach drei Vierteln der Strecke überkommen mich erste Ermüdungserscheinungen, die eine oder andere Episode dürfte gern etwas kürzer ausfallen. Munter werde ich schnell, als ich erfahre, was sich einst hinter der schicken Fassade des „Hotel Palace“ in der Panská 12 befand: die Redaktion des „Prager Tagblatt“.   Franziska Neudert

Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren (Ječná 11, Prag 2), Dauer: ca. 3 Stunden, Kosten: 200 CZK, Touren auf Anfrage: visitors@prager-literaturhaus.com oder Tel. 222 540 536

Die Politische Tour
Korruption gilt als eines der größten Übel Tschechiens. Oft bleiben die schwarzen Schafe der Politik sowie die beteiligten Hintermänner von Justiz und Öffentlichkeit unbehelligt. Doch seit rund eineinhalb Jahren hat sich eine kleine Gruppe vorgenommen, diesem Missstand mittels unkonventionell geführter Stadtrundgänge etwas entgegenzusetzen. Mit einem Augenzwinkern führt die „CorruptTour“ Interessierte auf Tschechisch, Englisch und Deutsch unter anderem zur Baustelle des Blanka-Tunnels oder vor die Haustür von Marek Dalík, einem der größten Mafiosi der Ära Topolánek. Ich traue meinen Ohren kaum, als Tourguide Philipp erläutert, wie „öffentliche“ Ausschreibungen über die Bühne gingen oder wie Dalík überteuerte Waffenkäufe der Regierung einrührte und dafür noch Schmiergeld kassierte. Mit etwas Glück kann man einem Protagonisten über den Weg laufen: Dalík führte mit schicker Sonnenbrille und Gucci-Männertäschchen seinen Hund an unserem Tross vorbei.  Stefan Welzel

CorruptTour, Buchung: info@corrupttour.com, Tel. 739 990 080, Dauer: ca. 2,5 Stunden, Kosten: 400–750 CZK, Sondertermine nach Vereinbarung, Infos: www.corrupttour.com

Die Tour auf dem Wasser
Eine Tour im Ruderboot auf der Moldau ist wohl nicht so schwer zu finden – dachte ich. Eine „Prague Venice Tour“ auf einer Gondoliere mit Guide und Verpflegung? Mit 12.000 Kronen ein bisschen teuer. Zweiter Versuch: Bootstour mit einer Agentur, die im Internet einen „sehr angenehmen Aufenthalt“ verspricht. Ich melde mich für die Bootsfahrt an und bekomme die Bestätigung für einen Ausflug nach Karlovy Vary. Offensichtlich ein Missverständnis. Um die Sache zu klären, fahre ich beim Büro der Agentur vorbei. Unter der Adresse finde ich einen unbeschrifteten Briefkasten, verdunkelte Fenster und eine abgeschlossene Tür. Der dritte Versuch ist erfolgreich: An der Karlsbrücke steige ich in ein überdachtes, motorisiertes Boot, keines der großen Ausflugsdampfer, spartanisch, nur 32 Plätze, man sitzt in Dreierreihen auf Holzbänken. In 45 Minuten fahren wir den Standard an Sehenswürdigkeiten ab, es geht vorbei am Regierungsamt und dem Smetana-Museum. Hinter der Karlsbrücke biegen wir in einen kleinen Wasserarm der Moldau ab, den ich vorher überhaupt nicht kannte.   Christian Müller-Breitenkamp

Pražské Benátky (Platnéřská 191/4, Prag 1),geöffnet: Mo.–So. 10–20 Uhr, Dauer: 45 Minuten, Kosten: 290 CZK, Infos: www.prazskebenatky.cz oder Tel. 776 776 779

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