Stadtführer in Not
Protest

Stadtführer in Not

Massiver Rückgang ausländischer Touristen: Prager Fremdenführer geraten in finanzielle Schwierigkeiten und fordern mehr Unterstützung

3. 9. 2020 - Text: Aleš Krupa, Titelbild: Rich Martello

Seit Monaten bestimmt das Corona-Virus das Leben weltweit. Aus diesem Grund besuchen auch weitaus weniger Touristen die tschechische Hauptstadt. Schätzungen zufolge ging die Zahl der Prag-Besucher seit Mitte März um 75 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres zurück. Dementsprechend gering fiel das Einkommen der Fremdenführer aus, die Gäste aus aller Herren Länder in normalen Zeiten Tag für Tag auf die Burg, den Altstädter Ring und zu den vielen anderen Sehenswürdigkeiten begleiten.

In Prag gibt es etwa 3.000 Stadtführer. Das vermutet zumindest Stanislav Voleman, der Vorsitzende der Reiseleiter-Vereinigung in Tschechien (Asociace průvodců ČR). Zu ihnen gehört auch Zuzana Manová (58), die vor allem Deutsche seit fast 30 Jahren mit großer Sachkenntnis und Leidenschaft durch die alten Gassen der Moldaumetropole führt. Ihre Saison beginnt normalerweise im März und dauert bis in den Herbst an. In jener Zeit betreut sie jährlich etwa 50 Gruppen, „ihre“ Besucher reisen vor allem aus Berlin, Franken, dem Saarland und Hamburg nach Tschechien an. Dafür erhält sie individuelle Aufträge über langjährige persönliche Kontakte. Gruppenreisende betreut sie im Auftrag von Reisebüros und -agenturen.

Zuzana Manová bei einer Václav-Havel-Führung | © PZ

Im Jahr 2019 besuchten noch über zwei Millionen Deutsche die Goldene Stadt. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Aus Furcht vor einer Ansteckung mit Covid-19 sagen viele Reisende ihren Prag-Besuch ab oder verschieben ihn auf unbestimmte Zeit. Zuzana Manová führte ihre letzte Gruppe am 12. März, dann brach der Tourismus in Prag plötzlich zusammen. Das Statistikamt (ČSÚ) meldete, dass die Zahl der Übernachtungsgäste in Prag zwischen April und Juni um 94 Prozent zurückging. Viele Hotels sind geschlossen, weil Urlauber meist in Ferienwohnungen übernachten, sofern sie überhaupt nach Prag kommen. Deshalb verkünden etwa die Verantwortlichen eines Hotels im fünften Stadtbezirk auf einer Tafel am Eingang, dass sie frühestens im April 2021 wieder öffnen werden.

Zuzana Manová bekam vom 12. März bis 8. Juni staatliche Hilfe, umgerechnet etwa 20 Euro am Tag. Insgesamt belief sich der „Kompensationsbonus für Solo-Selbstständige“ auf 44.500 Kronen, auf den Monat gerechnet sind das 15.000 Kronen. Gerade genug, um ihre Miete in Prag und laufende Kosten zu begleichen. Daher lebt Manová nun von ihren Ersparnissen. Die vielen freien Wochen im Frühjahr und Sommer nutzte sie dafür, Gedichte und moderne Märchen ihrer Tochter Jana (22) für ein neues Buch zu sichten. Schon mit 14 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes deutsch-tschechisches Buch mit dem Titel „Miteinander/Spolu“. Außerdem versucht Zuzana Manová nun, sich in ihrem langjährigen Hobby Yoga verstärkt als Lehrerin zu etablieren. Entsprechende Fortbildungskurse hat sie bereits besucht.

Auch Kolleginnen suchen nach Auswegen aus der Krise. Einige haben sich in den vergangenen Wochen bereits neue Jobs gesucht. Manche arbeiten jetzt an den Kassen von Supermärkten, weil ihre Konten leer sind. Zuzana Manová flatterte vor wenigen Tagen zumindest ein neuer Auftrag ins Haus, sie führte Besucher aus Berlin durch Prag – nach fünf Monaten ihre erste Reisegruppe.

Stadtführung in der Vor-Corona-Zeit | © PZ

Weil die Lage der Gästeführer immer prekärer wird, nahmen Vertreter des Reiseleiter-Verbandes Kontakt mit der Regierung auf. Zwar wurden sie von Premier Babiš (ANO) und Finanzministerin Schillerová (für ANO) empfangen, doch das Gespräch führte zu keinem Ergebnis. Die Kabinettsmitglieder führten lediglich aus, dass der Staat eine konkrete Berufsgruppe nicht bevorzugen könne. Zudem sei kein Geld mehr verfügbar.

Beide Aussagen überraschten die Reiseführer. Umso mehr, da die Regierung kurz darauf verkündete, dass sie Rentnern – einen Monat vor den Regionalwahlen – 15 Milliarden Kronen als Geschenk zukommen lassen will: 5.000 Kronen für jeden. „Um Weihnachtsgeschenke einzukaufen“, wie die Ministerin für Arbeit und Soziales, Jana Maláčová (ČSSD), ausführte.

Für die Stadtführer klingt diese Ankündigung wie purer Hohn. Denn damit werde sehr wohl eine Klientel bevorzugt. Und allem Anschein nach sei doch noch genügend Geld vorhanden, resümiert Zuzana Manová. Sie muss seit Anfang Juni nicht nur ohne jegliche staatliche Unterstützung auskommen. Fremdenführer und andere Selbständige müssen zudem seit 1. September wieder ihre Beiträge für Kranken- und Sozialversicherung selbst bezahlen. Da viele längst im Minus sind, müssen sich immer mehr von ihnen beim Arbeitsamt melden. „Das hat zur Folge, dass sie ihren Gewerbeschein abgeben müssen“, so Zuzana Manová. Doch ohne diesen Schein dürfen sie keine Gäste durch die Stadt führen, sobald wieder welche nach Prag kommen. Ein Teufelskreis.

Menschenleere U-Bahn-Station im Stadtzentrum | © APZ

Manovás Kollegin Alena Navrátilová will es riskieren. „Mich arbeitslos zu melden, nur damit ich die Beiträge nicht zahlen muss, und dann nicht arbeiten dürfen, wenn ich könnte, wäre doch verrückt“, sagt die 56-Jährige. So denken auch andere. Inzwischen suchen sie nach jedweder Möglichkeit, um zumindest etwas Geld zu verdienen, bis sich der Tourismus in Prag wieder erholt.

Für die Haltung des Staates zeigen die Fremdenführer kein Verständnis. „Wenn wir uns arbeitslos melden, zahlt der Staat die Beiträge für uns und noch Arbeitslosengeld dazu. Also wäre es für ihn doch günstiger und sinnvoller, wenn er – wie bis Ende August der Fall – weiterhin die Pflicht aussetzt, Kranken- und Sozialversicherung selber zu zahlen und wir die wenigen Touristen führen können, die vielleicht im Herbst kommen“, fügt Navrátilová an.

Manová (links) und Navrátilová (Mitte) protestieren. | © Olga Hrušková

Genau das war auch der wichtigste Punkt bei einem Gespräch von Vertretern der Fremdenführer im Prager Magistrat. Dorthin waren sie mit ihrem Anliegen von Regierungschef Babiš verwiesen worden. Vor dem Gebäude des Neuen Rathauses warteten rund 300 Stadtführer gespannt auf das Verhandlungsergebnis. Dort berichteten Reiseführer über ihre verzweifelte Lage. Ebenso über ihren Frust darüber, dass die Stadt, die sie seit Jahrzehnten repräsentieren, bisher keinerlei Willen zeigte, ihnen zu helfen.

„Von Kollegen im Ausland wissen wir, dass sie von ihrer Stadt oder ihrem Land oft bis Ende des Jahres eine Unterstützung bekommen“, erläutert Alena Navrátilová. Es sei sehr traurig und ernüchternd zu erleben, dass die Stadtführer anscheinend jedoch allen egal seien. Dabei würden sie keinerlei Anspruch auf etwa 30.000 Kronen Hilfe pro Monat erheben, die der Staat im Rahmen der Kurzarbeit für 700.000 Beschäftigte ausgebe. Obwohl ihre Gruppe mit wenigen Tausend Reiseführern demgegenüber nicht sonderlich ins Gewicht falle. Und obwohl sie wesentlich dazu beitrugen, dass Staat und Stadt in den zurückliegenden Jahrzehnten enorme Einnahmen aus dem Tourismus verbuchen konnten, so die einhellige Meinung der Fremdenführer.

Die Verhandlungen im Rathaus blieben trotzdem ohne Erfolg. Gleichwohl sie von den Stadtvertretern mit großem Applaus empfangen wurden. „Nachdem die Hilferufe unserer Berufsverbände monatelang ignoriert wurden, haben jetzt wohl alle eingesehen, dass wir uns zusammenschließen müssen“, lautet für Zuzana Manová die einzig mögliche Konsequenz. „Es war toll zu erleben, dass jeder, der konnte, auch zur Demonstration kam – also werden wir nun gemeinsam weitermachen“, fügt Alena Navrátilová an.

Demo vor dem Rathaus (31. August 2020) | © Olga Hrušková