Literatur

Wie aus der Weißen Frau das kleine Gespenst wurde

Wie aus der Weißen Frau das kleine Gespenst wurde

Vor 50 Jahren erschien Otfried Preußlers Kinderbuch über den sympathischen Geist. Seinen Ursprung hat es in Böhmen

15. 12. 2016 - Text: Petr Jerabek, Titelbild: Radek Bartoš, CC BY 2.5

Wie das kleine Gespenst seinen Geburtstag feiert, verrät Otfried Preußler seinen Lesern nicht. Lange Partys sind es sicher nicht, schließlich ist es nur eine Stunde am Tag wach, von Mitternacht bis eins: Kurz vor Ende der Geisterstunde wird es „sterbensmüde“ und legt sich in seiner Truhe aus Eichenholz schlafen. Würde man ihm zum 50. Geburtstag gratulieren, wäre der sonst so freundliche Geist aber sicher ungehalten. Zwar machte Preußler „Das kleine Gespenst“ vor 50 Jahren mit seinem Kinderbuch berühmt. Doch als richtiges Schlossgespenst ist es viel älter.

Im Buch erfährt der Leser, dass es „seit uralten Zeiten“ auf Burg Eulenstein haust und vor 325 Jahren den schwedischen General Torstenson samt Reiterei, Kanonieren und Fußsoldaten in die Flucht geschlagen hat. Preußler war Volksschullehrer im Landkreis Rosenheim, als er 1966 das Buch veröffentlichte. Ihren Ursprung aber haben die Geschichte wie auch die Abenteuer des Räubers Hotzenplotz in der böhmischen Heimat des Autors, in die der Sudetendeutsche nach seiner Entlassung aus sowjetischer Gefangenschaft 1949 nicht zurückkehren konnte.

Preußler wuchs als Lehrersohn im nordböhmischen Reichenberg (Liberec) auf. Schon in jungen Jahren stöberte er in der großen Bibliothek seines Vaters, vor allem aber lauschte er den Geschichten, die seine tschechische Großmutter Dora so spannend erzählen konnte. Sie schilderte gern auch die gespenstische Weiße Frau.

„Einmal, so hat uns die Großmutter erzählt, habe die Weiße Frau sogar den gefürchteten schwedischen General Torstenson aus dem Schloss ihrer Väter verjagt, wo er gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs Quartier bezogen hatte. Zu diesem Zweck habe sie ihn um Mitternacht aus dem Bett gescheucht und ihm eine fürchterliche Standpauke gehalten“, berichtete der Schriftsteller. Das Bild „des gefürchteten Kriegshelden, der im Nachthemd vor der Weißen Frau auf den Knien liegt und sie hände­ringend um Gnade anfleht“, machte auf Preußler nachhaltig Eindruck. Um diese Szene herum entwickelte er später ein ganzes Buch – „auch wenn dabei unversehens aus Großmutters Weißer Frau ein kleines Gespenst geworden ist“, so der Autor.

Die Liste der Burgen und Schlösser in Tschechien, in denen so eine Weiße Frau gesichtet worden sein soll, umfasst 120 Orte, darunter die Burgen des Rosenberg-Geschlechts in Südböhmen, insbesondere in Český Krumlov (Krumau) und Rožmberk (Rosenberg): Den Legenden zufolge spukte die 1476 verstorbene Perchta von Rosenberg im wallenden weißen Gewand sowie mit großem Schlüsselbund am Gürtel in den Burgen und beschützte ihre Verwandten. Zeigte sie sich dagegen ganz in Schwarz, prophezeite sie damit ein tragisches Ereignis.

Auch Preußlers Gespenst ist nie ohne seine 13 Schlüssel unterwegs. Und nachdem es von Sonnenstrahlen getroffen wird, geistert es ganz in Schwarz durch das Städtchen Eulenberg unterhalb der Burg Eulenstein. Ein Dorf mit dem Namen Eulenberg (Sovinec) gibt es in Tschechien tatsächlich, in Nordmähren. Über dem Ort liegt malerisch die ehemalige Deutschherren-Burg Sovinec. Auch dort soll eine Weiße Frau gesichtet worden sein, ebenso wie eine schwarz gekleidete. 1643 nahmen die Truppen von General Lennart Torstensson die Festung ein. Wie die Motive aus den böhmischen Legenden variierte Preußler auch den Namen des Generals: Er heißt im Buch Torsten Torstenson.

Zum Jubiläum erlebt das kleine Gespenst jetzt ein neues Abenteuer – dank Susanne Preußler-Bitsch, der jüngsten Tochter des 2013 verstorbenen Autors. „Das kleine Gespenst feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag, und so kam die Idee auf, diese liebenswerte Figur in einem Bilderbuch auch Kindern im Vorlesealter nahezubringen“, sagte sie dazu. „Da ich mich in dem Kleinen-Gespenst-Kosmos bestens auskenne, war es keine allzu große Schwierigkeit, diese Geschichte zu entwickeln.“
In „Tohuwabohu auf Burg Eulenstein“ macht das kleine Gespenst das Burgmuseum unsicher – räumt die Ausstellungs­stücke um und sorgt so für helle Aufregung. Die Idee zu der Geschichte begleitete Preußler-Bitsch schon seit Kindertagen. Denn bei ungeliebten Museums­besuchen hielt der Vater seine Töchter mit einem Spiel bei Laune: „Wir malten uns aus, was man als Gespenst in den ehrwürdigen Hallen alles anstellen könnte“, so Preußler-Bitsch. Die 58-Jährige trifft im Buch ausgezeichnet den Erzählton ihres Vaters, der auf dem Umschlag auch als Autor genannt wird. Illustrator Daniel Napp steuerte Bilder bei, auf denen es viele Details zu entdecken gibt.

Otfried Preußler, Susanne Preußler-Bitsch, Daniel Napp: „Das kleine Gespenst – Tohuwabohu auf Burg Eulenstein“, Thienemann Verlag, 32 Seiten, 12, 99 Euro, ISBN 978-3-522-45809-2


Grenzenloser Spuk
Otfried Preußlers sympathischer Geist spukt in aller Welt: Der Kinderbuchklassiker „Das kleine Gespenst“ wurde mittlerweile in 33 Sprachen übersetzt – von Italienisch und Tschechisch über Indonesisch und Japanisch bis hin zu Brasilianisch-Portugiesisch. Auch im Film feierte das Burggespenst Erfolge: Auf einen Zeichentrickfilm (1992) folgte zum 90. Geburtstag des Autors 2013 eine preisgekrönte Realfilmadaption. Preußler starb wenige Monate vor der Filmpremiere.

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