Weder nachhaltig noch fair

Weder nachhaltig noch fair

Tschechische Outdoor-Hersteller produzieren in Fernost

11. 8. 2016 - Text: Jan NechanickýText: Jan Nechanický; Foto: Will Baxter

Wie ein Traumurlaub aussieht, darüber können die Meinungen auseinandergehen. Für die einen bedeutet es, am Strand zu liegen. Andere dagegen suchen das Abenteuer. Mit Rucksack, Wanderschuhen und Regen­jacke brechen sie in ferne Länder auf. Dass ihre Ausrüstung womöglich auch dort hergestellt wurde, ist nur wenigen bewusst. Und dass ein Teil der Armut in diesen Ländern mit der Herstellung ihrer Bekleidung zusammenhängt, wollen sie vielleicht gar nicht erst wissen.

In einem Land wie Tschechien, in dem lange Zeit exotische Länder ein utopisches Ziel und Sport­ausrüstung Mangelware waren, sind sowohl Abenteuerreisen als auch die dafür nötige Ausrüstung dementsprechend beliebt. Trekking-Sandalen und Fleecejacken sind nicht nur praktisch, sondern auch Mode. Laut der Initiative „NaZemi“ investieren Tschechen durchschnittlich 180 Euro im Jahr in sportliche Kleidung und Outdoor-Ausrüstung. Ihre deutschen Nachbarn geben nur etwa die Hälfte dafür aus.

Auf dem hiesigen Markt haben sich in den vergangenen 25 Jahren zahlreiche Firmen etabliert, die Outdoor-Ausrüstung herstellen. Über 50 Unternehmen spezialisieren sich hierzulande auf die Herstellung von Ruck­säcken, Sportkleidung, Schlaf­säcken und Zelten. Viele von ihnen haben auch auf dem internationalen Markt Erfolg. Die Firma Tilak verkauft ihre Jacken in Japan, Kleidung von Unternehmen wie Husky oder Bushman kann man auch in deutschen Geschäften kaufen, genauso wie die Kletterausrüstung der Firma Ocún. Das Unternehmen Alpine Pro kleidet das tschechische Olympia-Team ein; einige Firmen erhalten auch öffentliche Aufträge und versorgen mit ihrer Ausrüstung etwa den Bergrettungsdienst oder die Armee.

Etikett täuscht
Viele Kunden legen Wert darauf, bei einheimischen Unternehmen zu kaufen. Und viele Outdoor-Hersteller versuchen sie damit zu gewinnen, indem sie sich als „tschechisches Unternehmen“ mit Produkten „Made in Czech Republic“ präsentieren. Doch wie viele Firmen stellen ihre Ware tatsächlich in Tschechien her?

Entsprechende Informationen zu finden, sei ein „richtiges Abenteuer“, meint Anna Lazorová von „NaZemi“. Die gemeinnützige Organisation setzt sich hierzulande unter anderem für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie ein. Laut Gesetz genügt es, wenn die Produktionskette – etwa das Annähen eines Reißverschlusses – in Tschechien endet, damit ein Artikel die Aufschrift „Made in Czech Republic“ tragen darf. Über Produktionsorte und Arbeitsbedingungen geben die meisten Firmen weder auf ihren Internetseiten noch in den Jahresberichten Auskunft.

Laut einer 2014 erschienenen Studie von „NaZemi“ haben nur zwei der insgesamt 47 befragten tschechischen Outdoor-Hersteller einen Verhaltenskodex veröffentlicht. Die meisten Firmen versuchen nicht einmal, an ihrem öffentlichen Bild zu arbeiten und sich als nachhaltig und fair zu präsentieren. Nachweislich produzierte etwa die Hälfte der Unternehmen und nahezu jeder der umsatzstärksten tschechischen Hersteller in Ländern wie China, Bangladesch oder Indien.

Der Verbraucher entscheidet
Dass die Produktionsbedingungen in diesen Ländern problematisch sind, wurde in den vergangenen Jahren von den Medien wiederholt thematisiert. Kritisiert werden etwa 16-Stunden-Schichten an sechs Tagen der Woche, Lohnvorenthaltungen und die Unterdrückung der Gewerkschaften. Laut den Analysen von „NaZemi“ verdienten die Näherinnen in vietnamesischen Textilfabriken im Jahr 2010 durchschnittlich 14 Eurocent pro Stunde.

Auf der anderen Seite gilt die Tatsache, dass eine Firma in Viet­nam oder Indien produziert, nicht als Beweis dafür, dass in ihren Fabriken Menschenrechte verletzt werden. Auch in diesen Ländern gibt es ein modernes Arbeitsrecht und Produktionsstätten, in denen die Vorschriften eingehalten werden. Viele euro­päische Firmen schicken ihre Mitarbeiter ins Ausland, um ihre dortige Produktion regelmäßig zu kontrollieren. Dass viele Unternehmen ihre Herstellung ins Ausland verlegen, liegt nicht nur daran, dass dort die Produktion kostengünstiger ist. Zum Teil müssen sie dorthin gehen, weil es in Europa an Maschinen und an entsprechend ausgebildeten Arbeitskräften fehlt. Genauso ist die Marke „Made in Europe“ keine Garantie für eine nachhaltige Produktion. Den Analysen der Initiative „Clean Clothes Campaign“ zufolge werden in der Textilindustrie auch in Ländern wie Bulgarien, Kroatien, Polen und Tschechien keine existenz­sichernden Löhne gezahlt. Laut der Studie betrug der Bruttodurchschnittslohn in der tschechischen Textilindustrie rund 550 Euro. Dabei schätzt die Studie das Existenzminimum einer vierköpfigen Familie auf rund 990 Euro.

Wie lässt sich also herausfinden, ob eine Firma tatsächlich in dem Land produziert, das sie auf dem Etikett angibt? Kann man herausfinden, ob sie faire Bedingungen für ihre Mitarbeiter garantiert? „Die einfache Antwort auf beide Fragen lautet: Man kann es nicht, jedenfalls nicht so einfach“, meint Anna Lazorová. „Man kann jedoch mit der Firma offen kommunizieren und Fragen stellen. Falls sie mit der Antwort zögerlich ist, ist es vielleicht ein schlechtes Signal.“ Auch die Tatsache, dass eine Firma etwa auf ihrer Internetseite nicht über ihre Produktionsbedingungen informiert, ist ein Indiz. Eine gewisse Garantie für faire Produktion geben Initiativen wie die internationale „Fair Wear Foundation“ – der jedoch bis heute keine tschechische Firma beigetreten ist. So bleibt der Verbraucher die letzte Instanz. Wenn er nicht anfängt, sich dafür zu interessieren, woher das von ihm gekaufte Produkt stammt, werden die Firmen ihr Verhalten nicht ändern müssen.