Warum dieses 0:5 in Olmütz?

Warum dieses 0:5 in Olmütz?

Offene Fragen an Horst Hrubesch vor dem Beginn der U21-EM

9. 6. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Ralf Roletschek, CC BY-SA 3.0 (Ander-Stadion, Olmütz)

Lieber Horst Hrubesch,

Sie galten stets als Mensch mit Ecken und Kanten, aber auch als ehrliche Haut. Deshalb meldet sich auf Ihrem Handy derzeit die hinlänglich bekannte anonyme Stimme mit dem höflichen Hinweis, dass Sie „zur Zeit keine Gespräche annehmen möchten“ und man dafür „bitte Verständnis haben“ möge.

Nicht unlogisch. Jetzt, da viele einen Tip von Ihnen wollen, ob Ihr Nachfolger Stefan Kuntz mit „Ihrer“ langjährigen U21 ab Mitte Juni den Europameister-Titel in Italien und San Marino verteidigen kann. Und welche Ratschläge Sie Ihrer Nachfolgerin Martina Voss-Tecklenburg geben, damit sie das Finale bei der Frauen-WM in Frankreich am 7. Juli erreicht, zu der Sie die deutsche Nationalelf im letzten Jahr führten. Auch ich hätte Sie danach gefragt, wenn Sie sich in dem Kaff in Schleswig-Holstein gemeldet hätten, in das Sie sich als Rentner zurückgezogen haben. Ist schließlich journalistische Pflicht. Mindestens genauso interessiert mich jedoch heute noch, warum Ihre letzte EM als Trainer der deutschen U21 vor vier Jahren in Tschechien in die Hose ging.

Horst Hrubesch nach dem WM-Quali-Spiel gegen Tschechien (April 2018) | © Steven Schaap, CC BY-SA 4.0

Zuerst das Zitter-Unentschieden gegen die Tschechen im letzten Gruppenspiel im Prager Slavia-Stadion, dann das Halbfinale gegen Portugal – und ein unfassbares 0:5! „Solche Spiele gibt es eben“, urteilten Sie danach lapidar bei der Pressekonferenz in Olmütz. Wobei Sie weder sonderlich zerknirscht noch überrascht wirkten, sondern das Ergebnis augenscheinlich einfach hinnahmen. Obwohl dies die höchste Niederlage einer deutschen U21 in ihrer Geschichte war.

Zwar standen in den Reihen der Portugiesen begnadete Fußballer wie William Carvalho – ein Jahr später Europameister mit der A-Elf – und Bernardo Silva – bei Manchester City in der letzten Saison eine Rakete. Trotzdem sucht mancher noch immer nach einer Erklärung für diese Ohrfeige. Zum Beispiel ich.

Denn oft genug hatten Sie vor und während dieser U21-EM die hohe Qualität in Ihrem Kader gerühmt und den Titel als Ziel ausgegeben. Und darin werden Sie nun vollauf bestätigt. Während von den U21-Europameistern des Jahres 2017 derzeit nur Kehrer und Gnabry bei Joachim Löw eine ernsthafte Rolle spielen, sind aus Ihrer 15er Stammelf bereits Ginter, Schulz und Kimmich Stützpfeiler der Nationalelf. Ter Stegen und Leno werden in Zukunft sicher ebenfalls gebraucht. Vielleicht auch noch andere. Wählten Sie damals in Olmütz eine falsche Taktik, eine falsche Aufstellung? Oder gab es innerhalb des Kaders mehr Probleme, als bekannt wurde, zu viele Stars mit zu viel Egoismus?

Horst Hrubesch und Karel Gott während der U21-EM in Tschechien. | © ZDF

Möglicherweise tröstete Sie Ihr Gesangsduett mit Karel Gott in Prag ein wenig über diese Klatsche in Mähren hinweg. Mit ihm schmetterten Sie während des Turniers 2015 seinen Hit „Babička“. Dabei war Ihnen völlig egal, dass damals nicht wenige über die „Stimmungskanone Hrubesch“ schmunzelten und feixten. „Ja, das ist meine Musik“, ließen sie stattdessen die Zuhörer ungeniert wissen. Recht so!

Mensch, der Sie sind, blieb Ihnen vielleicht auch Ihr Besuch in der Deutschen Schule in Prag in Erinnerung, wo Sie vor Beginn jener EM mit einer Schar von Nationalspielern auftauchten. „Das ist ja Ter Stegen“, brüllte plötzlich ein etwa Zehnjähriger in einem deutschen „Schweinsteiger“-Trikot. Dann erstarrte er aus Ehrfurcht vor dem frischgebackenen Champions-League-Sieger vom FC Barcelona auf seinem Platz. Ja, damit haben Sie viele Augen in jungen Gesichtern strahlen lassen.

Dass „jeder meiner Spieler mitkommen wollte“, wie Sie sagten, war sicher nicht nur Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber. Denn Ihre Gruppe machte nicht den Eindruck, diesen Treff als reine Pflichtaufgabe zu absolvieren. In der Schule wurde auch eines der letzten Rätsel der Fußball-Geschichte gelöst, nämlich warum Sie während Ihrer aktiven Zeit den wenig schmeichelhaften Ruf eines „Kopfball-Ungeheuers“ genossen.

„Stimmt es, dass Sie so erfolgreich waren, weil Sie im Gegensatz zu anderen Stürmern bei einem Kopfball immer die Augen offen hatten?“, wollte eine Lehrerin wissen. „Stimmt tatsächlich“, staunten Sie über soviel Fußball-Sachverstand. Weil Sie seit als Handballer gelernt hatten, immer den Ball zu beobachten, sahen und trafen Sie ihn früher und besser als andere. So Ihre Erklärung damals.

Horst Hrubesch und Kevin Volland in der Deutschen Schule Prag | © khan

Spätestens seit Sie 2008 mit der deutschen U19-Auswahl zunächst im Halbfinale gegen die Tschechen und dann im Finale von Gablonz (Jablonec nad Nisou) gegen Italien die EM gewannen, besaßen Sie den Ruf, ein Händchen für Talente zu haben. Immerhin beendeten Sie damit eine fast zwei Jahrzehnte andauernde Erfolglosigkeit deutscher Nachwuchsmannschaften. Er wurde geradezu legendär, als Sie ein Jahr später auch noch die U21 zum EM-Triumph führten und diese „goldene Generation“ um Neuer, Hummels und vier andere Spieler 2014 gar Weltmeister mit Löws Team wurde. Wie übrigens auch Zieler, Ihr Torhüter beim Erfolg im Juli 2008 in Tschechien.

Als bester „Jugendversteher“ im deutschen Fußball beobachten Sie sicher gerade den „Kampf“ um Davie Selke. Kurz bevor Sie Ende 2018 nach vielen Jahren als Trainer beim DFB aufhörten, drückten Sie Ihre Sorge über die deutsche Nachwuchsarbeit aus. Dass es im deutschen Fußball an guten Mittelstürmern mangelt, führten Sie – der klassische Mittelstürmer schlechthin – darauf zurück, dass solche Spielertypen heute nicht mehr gefragt seien.

Olympischer Jubel: Davie Selke nach seinem Tor im Viertelfinale gegen Portugal | © Andre Borges/Agência Brasília, CC BY 2.0

Davie Selke ist ein Mittelstürmer. Er hat zwar eine tschechische Mutter und besucht gerne seinen tschechischen Großvater. Während seiner Zeit bei RB Leipzig erzählte er mir aber, dass er trotzdem sein Glück im deutschen Trikot suchen wolle. Nicht umsonst habe er die deutschen Nachwuchsmannschaften durchlaufen, wurde mit der U19 wie der U21 Europameister. Doch es kommt einfach keine Einladung von Löw. Für ihn besitze Selke nicht genug Konstanz mit 12 bis 15 Treffern in einer Saison, bemängelte Löw jüngst im „kicker sportmagazin“. Nun bemühen sich tschechische Trainer und Spieler intensiv um ihn für die tschechische Nationalelf.

Deutschland fehlen Stürmer. Sie kennen Selke gut, er stand in Ihrem Olympia-Aufgebot 2016. „Über Selke braucht man nicht zu diskutieren. Das sind Spieler, die ich will“, sagten Sie nach dem souveränen Einzug ins olympische Halbfinale, „er bereitet Tore vor und schießt sie selber. Was willst du mehr?“ Damals prognostizierten Sie ihm eine große Zukunft: „Er ist eine absolute Größe hier bei uns und wird seinen Weg gehen.“ Müsste Löw ihn also nicht endlich mal berufen, damit er eine Option für die Zukunft sein könnte? Dazu würde mich jetzt doch Ihre Meinung interessieren. Wobei ich Ihre Antwort zu kennen glaube: Das ist Jogis Sache, das muss er entscheiden, da mische ich mich nicht ein …

Deutschland verlor das Olympia-Finale gegen Brasilien erst nach Elfmeterschießen | © Fernando Frazão/Agência Brasil, CC BY 3.0 BR

Apropos Olympia. Dass Sie „unbedingt mal an Olympischen Spielen teilnehmen“ wollten, äußerten Sie 2015 in Prag mehrfach. Was Ihnen durch den Einzug ins Halbfinale bei der U21-EM in Tschechien auch gelang. Noch immer frage ich mich aber, warum Ihnen Olympia so wichtig war, nachdem Sie als Spieler 1980 Europameister in Rom wurden und 1982 Vizeweltmeister in Madrid. Dazu 1983 Europacupsieger – mithin hatten Sie doch die wichtigsten Fußball-Turniere allesamt bestritten.

Obwohl Sie weder mit der Nationalelf noch mit dem HSV jemals gegen eine Elf aus dem Nachbarland spielten, war Tschechien für Sie als Trainer meist ein gutes Pflaster. Und ein angenehmer Gegner. So auch bei Ihrem Debüt als Kurzzeit-Trainer der deutschen Frauen-Nationalelf, bei dem Sie letztes Jahr die Tschechinnen mit 4:0 besiegten. Nun wollen Sie das Team bei der WM vor Ort als Fan unterstützen, wie Sie nach der gelungenen Qualifikation bekundeten. Sofern Sie es sich doch noch anders überlegen, kämen auch tschechische Seen und Forellen als Reiseziel für Sie infrage. Spätestens seit der Fotomontage auf dem Cover eines Fachmagazins nach dem Gewinn der EM 1980 ist unvergesslich, dass Sie ein begeisterter Angler sind. Darauf stemmten Sie im Nationaltrikot statt des Siegerpokals einen Fisch in die Höhe.

Sie schrieben schon ein Fachbuch über „Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“. Das war jedoch vor fast 40 Jahren. Es wäre an der Zeit für ein Nachfolgeprojekt. Als Rentner hätten Sie dazu jetzt die nötige Muße. Um zum Beispiel über den tschechischen Karpfen und seine Tradition hierzulande und in der Welt zu schreiben?

Horst Hrubesch beim Angeln (1980) | © APZ

Vermute ich richtig, dass Sie den entscheidenden Elfmeter im Nerven zerfetzenden WM-Halbfinale von Sevilla 1982 gegen Frankreich deshalb so eiskalt verwandelten, weil Sie als Angler immer die Ruhe weghaben? Nicht einmal den Ball legten Sie sich damals auf dem Punkt zurecht, sondern beließen ihn so, wie ihn ein Mitspieler zuvor platziert hatte.

Richtig, Sie beantworten derzeit keine Fragen. Aber die sommerlichen Turniere in Italien und Frankreich gehen irgendwann zu Ende. So wie ich Sie vor vier Jahren in Prag und Olmütz kennengelernt habe, geben Sie dann möglicherweise Auskunft über Sevilla. Und über alles andere auch.

Herzliche Grüße
Ihr Klaus Hanisch, Prager Zeitung

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