Von Anfang an global denken

Von Anfang an global denken

Tschechien etabliert sich als Standort der Nanotechnologie

3. 7. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze; Foto: Mukherjee

Noch stellen sie Nischenprodukte her, aber vielleicht werden „Pardam“ oder „Elmarco“ bald in einem Atemzug genannt mit Traditionsbetrieben wie Škoda oder Pilsner Urquell. Mit Autos, Maschinen und Bier ist Tschechien berühmt geworden, doch diese Exportzweige sind sehr konjunkturabhängig. In den nächsten Jahren dürften vor allem der IT-Sektor, Biomedizin und Nanotechnologie für Aufsehen sorgen. Gerade in der Nanotechnologie ist das Land auf dem Sprung zu einem globalen Mitspieler. Schon über 140 kleine und mittelständische Unternehmen sind derzeit in der Branche aktiv.

Sie produzieren Nanopartikel zur Grundwasserreinigung, Maschinen zur Herstellung von Nanofasern oder Reinigungssysteme auf Basis der Photokatalyse. Viele haben Niederlassungen in Asien oder Nordamerika. „Der eigene Markt ist zu klein für solche Hightech-Produkte. Darum müssen die tschechischen Unternehmen von Anfang an global denken“, erklärt Vojtech Helikar, Manager für Nanotechnologie bei der staatlichen Wirtschaftsfördergesellschaft Czechinvest.

Wichtige Absatzmärkte sind Japan und Südkorea, wo Nanotechnologie im Produktionsprozess längst zum Alltag gehört. Das Pardubicer Unternehmen Pardam zum Beispiel ist Dauergast auf großen Messen in Asien. Es hat sich auf die Herstellung von Nanofasern spezialisiert und lässt in Mähren eine der ersten industriellen Produktionslinien für anorganische Nanofasermaterialien installieren.

Mehrfach preisgekrönt und selbst in der „New York Times“ erwähnt wurde Advanced Materials-JTJ aus Kamenné Žehrovice, nordwestlich von Prag. Das Unternehmen produziert Nanopartikel aus Titandioxid und photokatalytische Beschichtungen. Die schützen vor Tabakgerüchen ebenso wie vor Allergenen oder Schimmel und an Außenfassaden vor Graffiti und Verwitterung. In Spanien wird die tschechische Entwicklung bereits zur Reinigung von Schwimmbecken ohne Chlor eingesetzt. Außerdem forscht Advanced Materials-JTJ an Batterien mit Lithium-Nanomaterialien, die eine deutlich längere Lebensdauer haben sollen als herkömmliche Akkus.

Der Staat hat früh das Potenzial der Nanotechnologie als wichtige Zukunftsbranche erkannt. Czechinvest finanziert den kleinen Nanofirmen einen Aufenthalt an der Westküste der USA. Dort können sie auf Staatskosten ein halbes Jahr lang Büros anmieten, Kooperationspartner und Kapitalgeber suchen. Bislang haben 28 Unternehmen von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Zudem wurden schon fast 40 Projekte der tschechischen Nanoindustrie mit rund 50 Millionen Euro aus Brüsseler EU-Fonds kofinanziert.

Doch woher kommt Tschechiens Know-how auf dem Gebiet der kleinen Teilchen? Helikar von Czechinvest verweist auf drei Forschungscluster. Führend seien das Zentrum für fortschrittliche Technologien und Materialien an der Palacký-Universität in Olomouc und das Mitteleuropäische Technologieinstitut an der TU Brünn, CEITEC. Im Frühjahr 2013 eröffnete in Brünn zudem das neue Forschungszentrum für angewandte Mikro- und Nanotechnologie.

Außerdem hat sich an der TU Liberec ein Schwerpunkt für Nanotechnologie gebildet. „Die Region war früher stark in der Textilproduktion. Seitdem diese Branche weggebrochen ist, spezialisiert sich die Uni unter anderem auf die Entwicklung von Nanofasern für die Industrie“, sagt Helikar. Zusammen mit dem örtlichen Unternehmen Elmarco hat die TU Liberec den „Nanospider“ entwickelt, nach Firmenangaben die weltweit erste Maschine zur Massenproduktion von Nanofasern. Diese Hightech-Textilien finden Anwendung in der Textilindustrie, als Luft-, Schall- oder Flüssigkeitsfilter sowie in der Medizin bei der Wundheilung. Experten schätzen, dass sich der Weltmarkt für Nanofasern von derzeit rund 300 Millionen Euro bis 2017 verdoppelt. Bei dem Geschäft will Elmarco vorn mit dabei sein. Bereits über hundert seiner Nanospider-Maschinen hat die Firma verkauft.

Allerdings stößt die Expansion der jungen Nanotech-Pioniere zwischen Liberec und Brünn an ihre Grenzen, weil es nicht genug Fachkräfte gibt. „Tschechien steckt in einem Dilemma“, sagt Helikar. „Einerseits sollen unsere Hochschulabsolventen mehr Auslandserfahrungen sammeln. Andererseits bleiben viele der besten Spezialisten dann gleich in den USA oder in Westeuropa, weil sie dort besser bezahlt werden.“ Künftig solle versucht werden, die klügsten Köpfe über öffentlich geförderte Lohnzuschüsse im Land zu halten.

Der Autor ist Korrespondent für Tschechien und die Slowakei der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing „Germany Trade & Invest”.