Vom heiligen Aufzug und anderen Fantasiewelten

Vom heiligen Aufzug  und anderen Fantasiewelten

Die besonderen Kinderbücher der Prager Verlegerin Iva Pecháčková

16. 4. 2014 - Text: Maria SilenyText und Foto: Maria Sileny

Was ist ein schönes Buch? Das weiß die Verlegerin Iva Pecháčková ganz genau: „Ein schönes Buch ist schön geschrieben, schön illustriert. Es ist ein Buch, das Leser in ihrem Bücherregal haben möchten. Eines, um das ihre Kinder und Enkelkinder später einmal feilschen werden. Und im nächsten Jahrhundert werden danach Sammler in Antiquariaten suchen.“

Die blonde Mittfünfzigerin sitzt in einem Prager Literaturcafé, nur ein paar Schritte von ihrer Wohnung entfernt, die zugleich ihr Verlag ist. „Meander“ hat sie ihn genannt. Dort entstehen seit 1995 eigenwillige Kinderbücher, geschrieben von tschechischen Autoren. Iva Pecháčková hat ein Glas mit Holunderlimonade vor sich, daneben liegt ihr Handy, das sie stets im Auge hat. Es gibt viel zu erzählen und ihre Zeit ist knapp. Deswegen redet sie schnell.

Vor Kurzem wurde einer ihrer neuesten Titel als „Entdeckung des Jahres“ für einen literarischen Preis nominiert. Es handelt sich um das Märchen „Dědeček“ („Großvater“), geschrieben von Tomáš Zahrádka, einem 22-jährigen Musikstudenten. Als sie das Manuskript in die Hand bekam, war Pecháčková sofort angetan von der poetischen Erzählung und entschied sich, das Erstlingswerk herauszugeben. Sie bat den angesehenen Fotografen Jiří Stach, es zu illustrieren. Für den Umschlag wählte sie edles Leinen. Ein Buch, ein Kunstwerk, ist entstanden.
Anders als große Verlage leistet sich Iva Pecháčková solche Experimente. Für Bücher, die kurzfristig auf der Erfolgswelle eines Films oder Videospiels mitschwimmen, hat sie nicht viel  übrig. Auch nicht für solche, die eine Geschichte erzählen, die, einmal durchgelesen, abgelegt und vergessen wird.

Anfang Adventskalender
Sie möchte Bücher von bleibendem Wert schaffen, welche die Fantasie der Kinder anregen, sich aber dem kindlichen Gemüt nicht sofort erschließen. Wie das Buch „Cesta svatým Vít-ahem“ (etwa: „Die Reise mit dem heiligen Aufzug“), geschrieben von der Schauspielerin Eva Prchalová: Ein magischer Aufzug bringt zwei Jungen in Fantasiewelten, in denen sie dem griechischen Philosophen Platon, aber auch der Bibel begegnen. „Das Buch ist als Familienlektüre gedacht. Klugen, gebildeten Eltern fällt die Aufgabe zu, die tiefgründige Geschichte nachzuerzählen, umzuerzählen, zu erklären“, so Iva Pecháčková, selbst vierfache Mutter. Es ist ihr wichtig, dass auch Erwachsene an ihren Titeln Freude haben. Beim gemeinsamen Lesen entstehe in Kindern etwas, das die Verlegerin „Liebe zur Literatur“ nennt.

Um dieser Sache zu dienen, scheut sie weder Kosten noch Mühe. Denn Literatur ist in ihren Augen die Grundlage, auf der andere Künste aufbauen, seien es Filme, Theaterstücke oder Opern. Umso trauriger findet Iva Pecháčková, dass die Lesefähigkeit heutzutage allgemein nachlässt. „Wenn Kinder ein Buch in die Hände bekommen, lesen sie häufig nur die Worte, ohne ihren Sinn zu erfassen, ohne sich länger konzentrieren zu können“, beklagt die ausgebildete Wirtschaftsingenieurin. Ihre Laufbahn als Verlegerin startete mit einem Auftrag, der ihr missfiel. Sie sollte einen amerikanischen Adventskalender übersetzen. „Was können tschechische Kinder mit Santa Claus anfangen?“, dachte sie damals. „Zu ihnen kommt doch das Christkind“. Und so entwarf und schrieb sie einen echt tschechischen Adventskalender.

Doch es fand sich kein Verlag, der das verspielte Werk publizieren wollte. Daraufhin entschied Iva Pecháčková, es selbst herauszugeben. Mit Erfolg. Das war der Startschuss für „Meander“, den Kinderbuchverlag, der seit fast 20 Jahren die literarische Szene Tschechiens bereichert und regelmäßig Literaturpreise abräumt. Die Kinderbücher, die in „Meander“ erscheinen, stammen meist von Autoren, die für Erwachsene schreiben. Damit führt Verlegerin Pecháčková eine Tradition weiter, die zu Zeiten der kommunistischen Diktatur in Tschechien Fuß fasste: Viele Künstler, die damals nicht publizieren durften, schrieben zumindest Kinderbücher, denn das wurde vom Regime geduldet. So entstand hochwertige Literatur für Kinder, die jedoch nach dem politischen Umbruch 1989 kommerziellen Werken wich. Bis Kleinverlage wie „Meander“ den Mut hatten, den Faden wieder aufzugreifen.

Gemeinsam schmökern
In der Zwischenzeit gab es auf dem Kinderbuchmarkt in Tschechien lediglich Übersetzungen ausländischer Bestseller. „Es war, als ob die Tschechen ihre eigenen Autoren vergessen hätten“, sagt Iva Pecháčková. Jeder der Titel, die sie herausgibt, ist ein sorgfältig durchkomponiertes Kunstwerk und ein Wagnis. „Ich suche nach interessanten literarischen Werken. Die Texte lasse ich von Künstlern illus­trieren, die keine Illustratoren sind“, sagt sie. Fotografen sind dabei, Theaterkünstler, Maler, die sonst auf großen Leinwänden arbeiten. Manche der Künstler sind so vielseitig, dass sie schreiben und illustrieren, wie der Performancekünstler Petr Nikl. Seine „Lingvistické pohádky“ („Linguistische Märchen“), die hemmungslos mit der Sprache spielen, verkauften sich am Anfang schlecht. Inzwischen jedoch sind sie so gefragt, dass Iva Pecháčková kaum mit dem Nachdrucken hinterherkommt. Denn die Verlegerin hat es geschafft, ihre Leser zu erziehen, diese Art von Bücher zu lesen.

Jeden ersten Donnerstag im Monat bietet sie im Café des Švanda-Theaters (Švandovo divadlo) im Prager Viertel Smíchov einen literarischen Nachmittag an. Dort können Eltern mit Kindern in neuen Büchern schmökern, an Wettbewerben teilnehmen, Musik hören. Die Kinder lernen dabei, wie sie mit einem „interaktiven Buch“ kreativ umgehen können. Das Buch kann etwa durchgeschnittene Seiten haben. Und überlässt so den Lesern, Anfang, Mitte und Ende der Geschichte selbst zu bestimmen. Einmal im Jahr veranstaltet Iva Pecháčková zudem das Festival „Děti čtete?“ („Kinder, lest ihr?“) Dieses Jahr findet es am 30. Mai in der Hauptfiliale der Prager Stadtbücherei statt.

Da Kinder das Gefühl für die Kunst erst entwickeln, ist es der Verlegerin wichtig, ihnen Bücher in höchster Qualität an die Hand zu geben. Text, Design, Material, alles soll vom Feinsten sein. Meist kann die Auflage, im Schnitt 1.500 Exemplare, die Entstehungskosten eines Buchs nicht decken. „Meander“ ist deswegen chronisch verschuldet. Und die Verlegerin klagt über mangelnde staatliche Unterstützung. Ihre Leidenschaft für das schöne Buch, das Generationen zusammenbringt, lässt Iva Pecháčková trotzdem nicht los. Mit vorsichtigem Optimismus schätzt sie, dass wertvolle, künstlerische Bücher, anders als billige Massenware, auch in der Zukunft ihre Leser finden werden.