„Viele wissen nicht, dass die Region einmal zu Deutschland gehörte“

„Viele wissen nicht, dass die Region einmal zu Deutschland gehörte“

Museumsdirektor Metoděj Chrástecký über die Menschen im Hultschiner Ländchen und den Wandel der Identität

27. 5. 2015 - Interview: Josef Füllenbach, Foto: Muzeum Hlučínska

Herr Chrástecký, im Januar 2014 wurde im Museum des Hultschiner Ländchens die Dauerausstellung unter dem Titel „Wer sind die Menschen im Hultschiner Ländchen?“ eröffnet. Können Sie erläutern, worin eigentlich die spezifische Identität der Hultschiner liegt?

Metoděj Chrástecký: Der Ausstellungstitel birgt eine zweifache Bedeutung in sich: Entweder können wir ihn als eine Frage verstehen, die die Position desjenigen wiedergibt, der darauf eine Antwort oder vielmehr mehrere Antworten sucht, oder als eine Feststellung, die implizit eine Anregung zum Besuch enthält: „kommen Sie, hören Sie zu, schauen Sie, lesen Sie – wer eigentlich die Menschen im Hultschiner Ländchen sind“. Jedenfalls ist es nicht leicht, die Identität oder Seele des Hultschiners mit einem einfachen Begriff zu erfassen. Die Hultschiner stellen in dieser Region die ursprüngliche Bevölkerung dar, die in sich eine sehr verschlungene geschichtliche Erfahrung konserviert hat, welche auch ihnen selbst eine eindeutige Definition der eigenen Identität in keiner Weise erleichtert hat. Nach meiner Auffassung ist es keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sich in einem Zeitraum von nahezu zweihundert Jahren in einem national und religiös andersartigen Umfeld seine Sprachzugehörigkeit und seine katholische konfessionelle Eindeutigkeit zu bewahren.

Der wiederholte Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit, der die nationale Desorientierung zu fördern geeignet ist, lässt eine Verankerung eher in Kategorien wie „Familie, Heimat …“ vermuten als in Kategorien wie etwa „Vaterland, Nation …“ oder ähnliches. Die nicht gelungene Integration in der Ersten Republik, die direkte Beteiligung als Soldaten im Zweiten Weltkrieg und die Verheerung der Region im Rahmen der hier abgelaufenen harten Befreiungskämpfe gegen Kriegsende, das an den Krieg anschließende Judas-Stigma der auf Seiten des Feindes Kämpfenden, die Unzuverlässigkeit in den Augen der „Partei und des Volkes“ – dies alles sind historische Attribute, welche die Hultschiner Identität geformt haben. Mir persönlich kommt das Wort Zähigkeit in den Sinn – als Fähigkeit, starken Druck und Einfluss aus der Welt ringsum zu absorbieren und sich gleichzeitig den eigenen Charakter zu bewahren.

Wie beurteilen Sie den Wandel der Hultschiner Identität seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Hat sich besonders die junge Generation damit abgefunden, dass es nun scheint, dass das Hultschiner Ländchen auf Dauer ein fester Teil der Tschechischen Republik geworden ist und die Hultschiner in die tschechische Gesellschaft integriert sind?

Chrástecký: Die heutige Jugend beschäftigt sich in ihrer großen Mehrheit nicht mit der Frage der Zugehörigkeit der Region, viele wissen nicht einmal, dass ihre Region einmal zu Deutschland gehörte. Andererseits, wenn sie von zu Hause irgendein Bewusstsein über die deutsch-tschechische Vergangenheit haben, dann stellen sie sich eher die Frage, ob sie sich als Tschechen oder als Deutsche fühlen, worüber sie sich überwiegend im Unklaren sind. Dies verknüpfen sie aber nicht notwendigerweise mit dem Erfordernis, geographisch zu Deutschland zu gehören. Ob es nun die vierzig Jahre währenden Integrationsbemühungen der herrschenden Kreise „der einen Partei und Regierung“ im Zeichen der verdrehten historischen Fakten oder der tabuisierten Themen waren, welche die hiesige Bevölkerung in ihrem Wesen berührt haben, oder die Integration der neuen Zeit im Geiste demokratischer Prinzipien – es scheint, dass sich insbesondere die heutige junge Generation mit dem tschechischen Umfeld eher mehrheitlich identifiziert. Aber in keinem Fall ist die Region von antideutschen Ressentiments befallen.

Worin besteht das Hauptziel des Museums des Hultschiner Ländchens: in der hiesigen Bevölkerung das Bewusstsein der Andersartigkeit zu erhalten oder eher verhindern zu helfen, dass eine außergewöhnliche und interessante Geschichte einer kleinen Region und seiner Bewohner nicht der Vergessenheit anheimfällt?

Chrástecký: Das heutige Hultschiner Ländchen hat sich bis in unsere Tage seine Eigenart bewahrt, seine eigentümliche Mentalität, die den Besuchern, die hierher kommen, auf den ersten Blick offensichtlich ist. Für die heutigen Hultschiner sind Fleiß, Ordnungsliebe, ein verhältnismäßig hohes Maß an Religiosität, praktischer Sinn bezeichnend … Das alles sind Eigenschaften, welche die Leute hier geformt haben und immer noch formen. Der starke Einfluss der Globalisierung, die pauschalisiert und eine Relativierung der althergebrachten Werte mit sich bringt, setzt sich auch hier durch. Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Von vielen Seiten kann man heute hören, dass unsere Zivilisation der Erschöpfung nahe ist und ihrem Ende entgegengeht. Auf die eigenen Wurzeln zu verweisen, die uns tragen, und die innere Ordnung, die uns davor schützt, uns in der gestaltlosen Uferlosigkeit zu verlieren, ist heute eine ganz unerlässliche praktische Aufgabe, statt sich in der Sentimentalität der Folklore zu wiegen, die ich ansonsten sehr wertschätze.

Wie stark wird Ihr Museum von der Hultschiner Jugend besucht? Veranstalten Sie auch Besichtigungen speziell für Klassen von Grund- und Sekundarschulen?

Chrástecký: Vom ersten Augenblick an, als wir begannen, die Ausstellung zu planen, war es das Ziel ihrer Autoren, sie so zu gestalten, dass sich daraus ein Ansporn für wiederholte Besuche ergibt. Derzeit arbeiten wir systematisch an der Erstellung von Animationsprogrammen für Schüler und Studenten, damit sich deren Besuch der Ausstellung harmonisch in die schulischen Bildungsprogramme einfügt. Gleichzeitig bereiten wir eine Reihe von begleitenden Aktivitäten vor, etwa Konferenzen, Vorlesungen, Gesprächsabende, Ausstellungen und dergleichen, die das Thema der Dauerausstellung weiterentwickeln. Die begeisterten und positiven Reaktionen sind der beste Lohn für unsere Arbeit.

Seit 2011 geben Sie auch die Zeitschrift für Heimatforschung „Hlučínsko“ (Hultschiner Ländchen) heraus, welche die Kenntnisse über die Geschichte der Region vertieft. Kann man an der Verbreitung der Zeitschrift und vielleicht auch an der Zusammensetzung der Museumsbesucher ablesen, in welchem Maße sich die Tschechen aus dem Binnenland für die Geschichte des Hultschiner Ländchens interessieren?

Chrástecký: Wir haben schon eine Reihe regelmäßiger Abnehmer unserer heimatkundlichen Zeitschrift „Hlučínsko“ aus allen Ecken unserer Republik. Einstweilen geht es noch um einzelne Personen. Wir bemühen uns darum, zu einem breiteren Bewusstsein über diese spezifische Region nicht nur im Rahmen der Tschechischen Republik, sondern auch jenseits ihrer Grenzen beizutragen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Wege ist es, dass unser Museum in diesem Jahr im Rahmen des nationalen und hochangesehenen Wettbewerbs „Gloria musaealis“ mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde.

Welche Unterstützung erhalten Sie für Ihre Arbeit seitens des Staates oder der EU? Oder werden die Kosten überwiegend aus lokalen Mitteln gedeckt?

Chrástecký: Das Museum des Hultschiner Ländchens ist eine Zuwendungsorganisation der Stadt Hlučín. Tätigkeit und Betrieb des Museums werden also durchweg aus deren Haushalt finanziert. Die Einnahmen des Museums decken die Kosten nur zu einem geringen Teil. Ferner erhält das Museum Zuschüsse und Subventionen vom Kreis. Große und insbesondere ideelle Unterstützung ist für uns die Tätigkeit des Vereins „Gesellschaft der Freunde des Museums des Hultschiner Ländchens“. Das Projekt der Dauerausstellung konnten wir nur dank der Unterstützung aus den Strukturfonds der EU verwirklichen.