„Vage formuliert und inhaltsleer“

„Vage formuliert und inhaltsleer“

Politologe und Parteienforscher Lubomír Kopeček über den Koalitionsvertrag zwischen ČSSD, ANO und KDU-ČSL

19. 12. 2013 - Interview: Ivan Dramlitsch

Der Koalitionsvertrag steht. Der größte Schritt auf dem Weg zu einer neuen Regierung ist getan. Doch glaubt man dem Parteienforscher Lubomír Kopeček von der Masaryk-Universität Brünn, wird die Dreierkoalition damit nicht in ruhiges Fahrwasser kommen. Im Gespräch mit der „Prager Zeitung“ erklärt er die Gründe für seine pessimistische Prognose.

Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag?

Lubomír Kopeček: Koalitionsverträge sind selten besonders konkret, sondern geben eher einen bestimmten Rahmen vor. Dieser Vertrag gehört sicher zu den eher vage formulierten, an vielen Stellen ist er relativ inhaltsleer. Beim Baurecht verspricht man man beispielsweise „klare und transparente Regeln“, die Baugenehmigungsverfahren zu vereinfachen und gleichzeitig das Korruptionspotential deutlich zu verringern. Angesichts der jahrelangen Diskussionen zu diesem Thema handelt es sich hier offenbar um eine nichtssagende Proklamation. Anderes Beispiel: Man will das „Studium naturwissenschaftlicher und technischer Fächer unterstützen“. Das ist wieder nichts Neues – und es wird offengelassen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Es gibt zwar auch konkretere Punkte, aber der Gesamteindruck ist recht schwammig. Es gibt keine klare Richtung, keine starke Vision. Außerdem ist relativ unklar, wie einige Projekte finanziert werden sollen.

Hat sich eine Partei besonders durchsetzen können?

Kopeček: Die zahlreichen vagen Formulierungen zeigen, dass an vielen Stellen Kompromisse gesucht wurden. Das sieht man insbesondere bei der ČSSD. Ihre Hauptziele wurden aufgeweicht, einige sind ganz verschwunden – zum Beispiel die Forderung nach einer radikalen Beschneidung der Kirchenentschädigung. Das ist ein klares Zugeständnis an die Christdemokraten, die ansonsten nicht in die Koalition gehen würden. In einigen Punkten kann man sehen, dass einer der Parteien entgegengekommen worden ist – wenn die anderen keine größeren Probleme damit haben. Im Kapitel Landwirtschaft ist zum Beispiel deutlich sichtbar, dass ANO-Chef Andrej Babiš in dieser Branche tätig ist. Insgesamt fehlt aber eine klare Richtung; das zeigt, dass hier drei sehr unterschiedliche Parteien zusammenkommen.

Wo gibt es Konfliktpotential?

Kopeček: Davon gibt es ziemlich viel. Schwer zu sagen, wo es am meisten knirschen wird. Aber auch angesichts der personellen Heterogenität von ANO und der inneren Konflikte bei den Sozialdemokraten gehe ich nicht von ruhigen Regierungszeiten aus.

Was verrät der Koalitionsvertrag über das politische Profil von ANO?

Kopeček: Ich wäre da vorerst sehr vorsichtig. Aus den Koalitionsverhandlungen wurden zwar gewisse Tendenzen deutlich, beispielsweise bei der Kontrolle der Staatsfinanzen oder auch die Tendenz, einige deutlich linke Projekte der ČSSD zu bremsen, aber für eine tiefer gehende Analyse ist es noch zu früh.

Welche Rolle wird die kleinste Koalitionspartei, die KDU-ČSL spielen?

Kopeček: Sie wird wahrscheinlich nur ein Anhängsel sein. Das belegt schon die Tatsache, dass sie an einem Großteil der Verhandlungen zwischen ČSSD und ANO gar nicht beteiligt war. Aus den bisherigen Reaktionen der beiden größeren Parteien geht außerdem hervor, dass man die Christdemokraten als einen im Zweifelsfall entbehrlichen Partner betrachtet, auch deshalb, weil ihre Ministerforderungen als überzogen wahrgenommen werden.

Wird nicht eher der konkrete Minister entscheiden, welche Themen und welche Inhalte forciert werden?

Kopeček: Ja, bei einer solch vagen Koalitionsvereinbarung – und ich nehme an, dass die Regierungserklärung kaum konkreter ausfällt –, kommt es dann vor allem auf die Minister an, welche Politik durchgesetzt wird.

Kann diese Regierung die gesamte Legislaturperiode durchhalten?

Kopeček: Die durchschnittliche Lebensdauer einer tschechischen Regierung beträgt eineinhalb bis zwei Jahre. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die offensichtlich heterogenste Regierung der letzten zwanzig Jahre vier ganze Jahre übersteht. Aber auch in der Politik geschehen manchmal Wunder.