Umbau zur Festung

Umbau zur Festung

Tschechien will 1.500 Flüchtlinge aufnehmen. Wichtiger als Solidarität und Hilfsbereitschaft ist führenden Politikern aber der Schutz des Landes vor Asylsuchenden

16. 7. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Premier Bohuslav Sobotka und Innenminister Milan Chovanec/Vlada ČR

Man sollte gelegentlich zum Taschenrechner greifen. Gut 10,5 Millionen Einwohner hat Tschechien derzeit; 1.500 Flüchtlinge will es dieses und in den kommenden beiden Jahren insgesamt aufnehmen – das hat das Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen. 10,5 Millionen geteilt durch 1.500 ergibt einen Asylbewerber pro 7.000 Einwohner. Eine Mutter mit Kind für eine mittelgroße Kleinstadt.

Verfolgt man dagegen Diskussionen auf der Straße, im Internet und auf der politischen Bühne, gerät dieses Verhältnis schnell in Vergessenheit. So erklärte Staatspräsident Miloš Zeman am Montag, es werde die Zeit kommen, „in der wir der Armee erlauben müssen, unsere Staatsgrenzen vor Einwanderern zu schützen“. Für Zeman gibt es jedoch zwei Klassen von Asylsuchenden. Flüchtlinge aus der Ukraine bezeichnete er als „Menschen, die uns kulturell nahestehen, die bereit sind zu arbeiten und nicht auf Sozialleistungen aus sind“. Zugleich warnte er vor einer „Welle von Islamisten“, unter denen seinen Worten zufolge auch „Kämpfer des sogenannten Heiligen Krieges“ sein könnten.

Nun ist Zeman bekannt für seine populistischen Aussagen, die an den Stammtischen der Republik gut ankommen. Seine Bedenken teilt aber – obgleich mit gemäßigten Worten – auch Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD). Tschechien wolle ein Vetorecht haben, falls es bei einzelnen Asylbewerbern Sorge um die Sicherheit des Landes gebe, sagte der Sozialdemokrat in der vergangenen Woche, nachdem er mit Vertretern der anderen Parlamentsparteien über das Thema gesprochen hatte. „Wir wollen die Möglichkeit haben, so jemanden nicht aufzunehmen“. Mit der Bereitschaft, nun Flüchtlinge unterzubringen, werde das Problem nicht gelöst, betonte Sobotka. Die EU müsse „in erster Linie sicherstellen, dass die Grenzen des Schengen-Raums funktionieren und eine Rückführungspolitik bei illegalen Wirtschaftsmigranten umsetzen“. Finanzminister Andrej Babiš (ANO) sprach davon, dass man den Schengen-Raum schließen und systematische Maßnahmen ergreifen müsse.

Wie am Montag bekannt wurde, rechnet das Innenministerium damit, dass im kommenden Jahr 5.000 bis 7.000 Menschen illegal nach Tschechien einwandern werden – unabhängig von den Flüchtlingen, die Tschechien freiwillig aufnehmen will. Das Kabinett genehmigte am selben Tag mehr als 230 Millionen Kronen (8,5 Millionen Euro), die Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) wegen der Flüchtlingskrise zusätzlich zur Verfügung stehen. Damit soll zum Beispiel die Zahl der Polizisten und der Beamten im Ministerium erhöht werden. Außerdem beschloss die Regierung, zwei Hafteinrichtungen wiederzueröffnen. Insgesamt sollen dann 550 statt bisher 120 Plätze für festgenommene illegale Einwanderer zur Verfügung stehen. Derzeit betreibt das Innenministerium eine solche Anstalt nur in Bělá pod Bezdězem nahe Mladá Boleslav sowie vier Unterkünfte für Asylbewerber mit etwa 700 Plätzen. Eine davon befindet sich am Flughafen in Prag-Ruzyně, die anderen in Zastávka bei Brünn, Kostelec nad Orlicí in der Nähe von Hradec Králové und Havířov bei Ostrava.

Wenn schon die höchsten Repräsentanten des Staates im Zusammenhang mit Flüchtlingen fast ausschließlich von Gefahren, Polizisten und Grenzschutz sprechen, verwundert es kaum, dass die Menschen in Vyšní Lhoty, einer gut 800 Einwohner zählenden Gemeinde im Kreis Mährisch-Schlesien verunsichert sind. Ende Juni wurde bekannt, dass im Ort ein Flüchtlingslager entstehen soll. „Auf jeden Fall sollte es keine Wohnanlage werden, sondern eine abgeschlossene Einrichtung. Davor haben die Menschen weniger Angst“, kommentierte Bürgermeisterin Dana Nováková die Nachricht, dass das Gelände, auf dem bereits in den neunziger Jahren bis zu 580 Flüchtlinge untergebracht waren, nun wieder für diesen Zweck genutzt werden soll. Willkommenskultur klingt anders. Doch es gibt auch Stimmen, die sich für Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft aussprechen. So haben bisher gut 2.000 Menschen einen offenen Brief an den Premierminister unterzeichnet, in dem sie die Aufnahme syrischer Flüchtlinge fordern. Ebenso viele wollen am kommenden Samstag um 14 Uhr auf dem Wenzelsplatz gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass demonstrieren – während eine Stunde später eine Kundgebung gegen Immigration und Islam angekündigt ist.

Zahlenspiele
Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) war mit einem klaren Mandat der Regierung angereist, als er sich am Donnerstag vergangener Woche mit seinen europäischen Amtskollegen in Luxemburg traf. Er stellte dort den tschechischen Plan vor, bis 2017 insgesamt 1.500 Flüchtlinge aufzunehmen. Das hatte die Regierung am Tag vor dem Treffen beschlossen. Vorgesehen ist, noch in diesem Jahr 400 Menschen Schutz zu gewähren, im kommenden 700 und im Jahr darauf noch einmal 400. Darunter sollen 1.100 Menschen sein, die sich schon in der EU befinden und gerade in Italien oder Griechenland auf Asyl hoffen; 400 sollen aus Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien und aus kurdischem Gebiet kommen. An der Auswahl der Asylbewerber soll unter anderem der Geheimdienst beteiligt werden.

Beim EU-Gipfel im Juni hatten einige Mitgliedstaaten – darunter Tschechien – den Vorschlag der Europäischen Kommission abgelehnt, verbindliche Quoten einzuführen, nach denen in den kommenden zwei Jahren 40.000 Syrier und Eritreer aus Italien und Griechenland auf die anderen EU-Länder verteilt werden sollten. Tschechien sollte nach den geplanten Quoten 1.320 von ihnen aufnehmen. Bei den Gesprächen in der vergangenen Woche kam wieder keine Einigung zustande. Allerdings erklärten sich nun mehrere Länder bereit, freiwillig zu helfen. Über die Verteilung wollen die Minister am 20. Juli erneut beraten.   (ca/čtk)