„Über Pilsen sind die Toten Hosen noch heute sehr empört“

„Über Pilsen sind die Toten Hosen noch heute sehr empört“

PZ-Gespräch mit Philipp Oehmke über seinen Band-Bestseller „Die Toten Hosen: Am Anfang war der Lärm“

15. 1. 2015 - Text: Klaus Hanisch

Er durfte sogar aus dem Tagebuch des Sängers Campino zitieren: Philipp Oehmke (40) schöpfte für seine Biographie über die „Toten Hosen“ aus vielen Quellen. Trotzdem wurde sein Buch keine kritiklose Lobschrift auf die deutsche Kultband, sondern bleibt in angemessener Distanz und damit auf Seiten der Leser. Zugute kam Oehmke auch seine lange Bekanntschaft mit den Bandmitgliedern. Sein erstes Interview führte er 1992, damals noch für eine Schülerzeitung. Ein weiteres folgte 1995 für die Zeitschrift „Tempo“. 2008 schrieb er ein langes Porträt über Campino für den „Spiegel“, für den er seit 2006 als Kulturredakteur arbeitet. Für sein Buch führte Oehmke mehr als 50 Stunden lang Gespräche mit Musikern, Verwandten, Freunden und Gegnern. Was er damit erreichen wollte und welche Erlebnisse die Bandmitglieder mit Tschechien und dem ehemaligen Ostblock verbinden, verriet er nun PZ-Autor Klaus Hanisch.

Ihr Buch gibt es seit 21. November, zwei Wochen später bekam ich schon ein Exemplar aus der 5. Auflage. Wie wichtig ist den Toten Hosen selbst der Erfolg dieser Biographie?

Philipp Oehmke: Der ist ihnen natürlich nicht unwichtig. Sie sind seit 20 Jahren daran gewöhnt, erfolgreich zu sein, mit allem was sie machen. Ich war anfangs skeptisch, ob tatsächlich so viele Leute das Buch kaufen werden. Denn man weiß ja nie bei Rock-Biographien, ob es den Leuten nicht genügt, nur die Musik zu hören. Doch am Anfang haben gerade die Fans wie verrückt gekauft. Und die Hosen haben das im Grunde erwartet. Ich glaube, sie wären echt enttäuscht gewesen, wenn das Buch versumpft wäre und sich keiner für ihr Leben und ihre Karriere interessiert hätte. Das ist Teil ihres Ehrgeizes, meines übrigens auch. Deshalb haben sie sich auch sehr bei seiner Entstehung engagiert, waren immer hilfsbereit, wenn ich etwas gebraucht habe, ein altes Dokument zum Beispiel oder nochmals zwei Stunden für ein Interview.

Im Kapitel „Grenzbereich“ schildern Sie ausführlich illegale Konzerte im damaligen Ostblock. Die Band kam mit Anfang 20 in den Osten und absolvierte über 20 Auftritte. War der Hauptgrund für die Affinität zu den Ost-Staaten, dass sie in der DDR oder ČSSR manchmal vor mehr Menschen spielte als im Westen und die Fans sie dort auch dringender sehen wollten, wie Sie schreiben?

Oehmke: Der Hauptgrund war Abenteuerlust! Für Jungs aus dem westdeutschesten Westdeutschland – einem Vorort von Düsseldorf – war das eine völlig fremde Welt, die ganz komisch aussah. Die Konzerte waren verboten, verströmten also eine gewisse Gefahr, die gleichzeitig überschaubar war, weil sie ja wussten, dass ihnen als Bundesbürger nicht so viel passieren konnte außer vielleicht ein oder zwei Nächte im Knast. Sie mussten sich verkleiden, über die Grenze schleichen, die Instrumente schmuggeln, sich Tarngeschichten ausdenken – das kam der Grund-DNA der Toten Hosen schon sehr entgegen. So etwas haben die immer geliebt.

Es ging also nicht so sehr um die Euphorie, die sie dort erlebten?

Oehmke: Doch, natürlich auch. Wenn ein Auftritt einer solchen Band so kostbar ist und so selten, dann feiern die Fans das ganz anders ab und gehen dafür auch Risiken ein. Und es hat der Band natürlich imponiert, dass Leute Festnahmen riskierten, nur um die Toten Hosen zu sehen. Das war etwas anderes als 20 Mark zu bezahlen, das Konzert anzusehen und dann wieder nach Hause zu gehen.

„Das in Pilsen war hart“, sagt selbst der Schlägerei-gestählte Campino im Rückblick auf das sogenannte Friedensfestival im September 1987. Damals wurden Fans von tschechischen Polizisten reihenweise verprügelt und verhaftet. Welchen Eindruck machte die Band auf Sie, als Sie diesen legendären Auftritt in Erinnerung riefen?

Oehmke: Fraglos ein Meilenstein in der Toten-Hosen-Geschichte! Der Auftritt war erst damit gelungen, es waren viele Leute aus dem ganzen Ostblock da und diese ganz besondere Stimmung haben auch die Hosen von Anfang an bemerkt. Plötzlich kippte der zweite Teil des Abends, das Festival wurde gestürmt. Da hatten die Toten Hosen aber schon gespielt.

Aus Ihren Zeilen kann man noch 28 Jahre später das Erschrecken der Band über die damaligen Ereignisse herauslesen.

Oehmke: Die Band war damals absolut geschockt und ist auch heute noch zumindest sehr empört, wenn sie darüber redet. Sie wurde ja selbst mit Stöcken in einen Bus geprügelt: Und das, obwohl sie nichts Böses wollte, sich bei ihrem Auftritt die größte Mühe gegeben hatte, um die Leute zu begeistern und plötzlich aus völlig unverständlichen Gründen von der Polizei abgeholt und mitten in der Nacht an der bayerischen Grenze rausgeworfen wurde.

Allein schon wegen ihrer bunten Haare wurde der Band öfter die Einreise in den Osten verwehrt. In Pilsen war sie jedoch auf Einladung der Behörde. Wusste Campino noch, mit welcher Haarfarbe er dort auftrat – feuerrot oder eher gelblich?

Oehmke: Ich glaube, es war so orange-gelblich. Als sie einmal nach Ungarn wollten, wurden sie ja tatsächlich zurückgeschickt und mussten ihre Haare in so ein ekliges Braun umfärben. Der einzige, der durchgelassen wurde, war damals ein Roadie – und der trug eine Jacke, auf der riesig groß „USA“ stand.

Sie schreiben, die Toten Hosen verstehen sich als linke Band und wollten auch politische Zeichen setzen. Das Ereignis von Pilsen galt bald schon als eine große Manifestation gegen das damalige Regime. Hat der Auftritt dort das politische Weltbild der Hosen verändert oder zumindest erschüttert?

Oehmke: Ja, vor allem Campino kam zurück und sagte, wenn das ein linker Staat und guter Sozialismus sein soll, dann ohne mich! Das war schon eine gewisse Desillusionierung gegenüber den linken Idealen. Als sie allerdings in die Bundesrepublik zurückkehrten und gerade Freiheit und Demokratie bejubeln wollten, wurden sie noch einmal zwei Stunden lang vom Bundesgrenzschutz auseinandergenommen.

Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš berichtet über den Auftritt in seinem Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“. Pilsen habe das Ende des kommunistischen Systems vorweggenommen, sagte er in einem Gespräch mit Ihnen. Können die Toten Hosen mit dieser Einschätzung etwas anfangen?

Oehmke: Das sagte mir auch Mark Reeder, der die illegalen Konzerte der Toten Hosen in der DDR organisiert hatte. Er und Rudiš glauben, dass die Hosen tatsächlich Jahre vorher schon die Stimmung zumindest angetippt haben, die später zum Untergang des Regimes führte. Die Toten Hosen sagen, das sei zu hoch gegriffen. Ich hatte diesen Aspekt in einer früheren Fassung des Buches expliziter formuliert, als These, dass in diesen Konzerten schon Anfang der Achtziger der erste Schritt für 1989 war. Doch die Hosen sagen, sie hätten vor allem Lust gehabt, dort für die Menschen zu spielen, und weniger die Absicht, das System zu beerdigen.

Für viele Tschechen wie Rudiš sind die Hosen seit Pilsen eine Kultband. Musiker wie sie galten den kommunistischen Machthabern als subversiv. Nach Subversion strebten die Hosen nach Ihren Schilderungen tatsächlich von Anfang an. Wie groß war tatsächlich deren Einfluss auf die Musik und damit auch die Jugend hinter dem Eisernen Vorhang?

Oehmke: Mir wurde von einem Tschechen, der damals als junger Punk bei dem Festival in Pilsen dabei war, bestätigt, dass westliche Musik für die Ostblock-Jugend super-wichtig war. Die Toten Hosen waren darin ein sehr wichtiger Baustein, weil sie versucht haben, überall hinzukommen und für die Leute zu spielen. Wenn sie gehört haben, da gibt es 100 Leute, die sie hören wollen, dann sind sie dahin gefahren. Das haben viele den Toten Hosen bis heute nicht vergessen, ob das in der Tschechoslowakei war, in Ungarn, Polen oder auch im Baltikum.

In einem Fernseh-Interview schwärmte Campino vor einigen Jahren von der Club-Szene in Prag und wie gerne er in der Stadt sei. 2001 spielten die Hosen tatsächlich im Prager „Palác Akropolis“. Über all das fand ich nichts im Buch. War das nur eine der üblichen Verbeugungen vor dem Gastgeber?

Oehmke: Es gab natürlich noch viel mehr Material, aber man musste sich irgendwo beschränken. Dann haben wir uns dazu entschlossen, lieber Pilsen ausführlich und in allen Einzelheiten zu erzählen und andere Konzerte dafür wegzulassen.

Auch im Sommer 2005 kam die Band zu einem Open-Air ins mittelböhmische Český Brod mit Tausenden Besuchern. Jetzt sind die Bandmitglieder über 50 und Familienväter, Tschechien mittlerweile ein normaler Staat in Mitteleuropa, EU- und Nato-Mitglied. Erklärt sich daraus nun möglicherweise ein gewisses gegenseitiges Desinteresse?

Oehmke: Klar, die Aufregung und der Abenteuer-Gedanke sind jetzt nicht mehr so da. Aber durch die Historie ist nach wie vor schon noch eine recht große Verbundenheit mit diesen Ländern vorhanden.

Sie beschreiben die Hosen als anfangs saufende Chaostruppe, die immer auch politisch provozieren wollte. Wie politisch sind die Toten Hosen tatsächlich? Waren ihre Auftritte bei Konzerten gegen Atomkraft oder für Asylrecht letztlich nicht auch Teil der eigenen Imagepflege?

Oehmke: Mit Imagepflege hatte das nichts zu tun. Sie waren politische Menschen und haben in verschiedenen Phasen unterschiedliche Wege ausprobiert, um Politisches in Rock-Musik zu äußern. Das ist nicht einfach und kann schnell peinlich werden. Anfangs waren sie indirekt politisch und haben anders als andere deutsche Punk-Bands nicht konkret über das „Schweine-System“ und „die Bullen“ gesungen. Bei Anlässen wie Wackersdorf 1986, die ihnen sinnvoll und wichtig erschienen, haben sie dann ihre Popularität gezielt eingesetzt. In den neunziger Jahren sind sie in ihren Songs direkter geworden, wenn sie politisch werden wollten, weil sie Angst hatten, missverstanden zu werden.

Bundeskanzlerin Merkel rief kürzlich bei den Hosen an. Und die Band ist auf dem Weg zu einer Staatsband, wie Sie schreiben. Verbindet die Mehrheit der Deutschen den Namen Campino tatsächlich mittlerweile eher mit dem Sänger der Hosen als mit einem Fruchtbonbon?

Oehmke: Natürlich. Ich glaube, Campino ist inzwischen einer der bekanntesten Deutschen und seine Bekanntheit hat sich in den letzten zwei Jahren noch einmal verstärkt. Die Toten Hosen wurden ja sogar auf der CDU-Wahlparty gespielt. Die Band hat sich sicherlich in den letzten 30 Jahren immer wieder verändert, aber das Land, in dem wir leben, eben auch. Deutschland hat die Toten Hosen integriert – auch wenn sie das nicht so wollen.

Und wie gehen sie damit um?

Oehmke: Früher standen die Toten Hosen und der Kern der Bundesrepublik sehr weit voneinander entfernt. Es war ein Ziel des Buches herauszufinden, warum das 30 Jahre später nicht mehr so ist. Sicherlich ist die Band älter geworden und ihre Lieder einfacher zu konsumieren, aber das Land ist auch liberaler geworden. Über Tätowierungen und gefärbte Haare regt sich heutzutage keiner mehr auf. Dagegen war es in den achtziger Jahren ein Skandal, wenn jemand mit knallroten Haaren und Ohrringen rumlief. Wahrscheinlich findet der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder heute Campino sogar cool.

Die Berufsjugendlichen sind nach 30 Jahren im Establishment angekommen, ob gewollt oder nicht. Wie lange gelingt ihnen noch der Spagat zwischen Rabaukentum und Partyband?

Oehmke: Ich glaube, dass es die Toten Hosen auch in zehn Jahren noch gibt. Sie machen sich jetzt wahrscheinlich Gedanken, wie ihre doch sehr von Jugendlichkeit geprägte Musik modifiziert werden kann, so dass man sie auch noch mit 60 machen kann. Aber ihren Kern dürfen sie nicht antasten, nämlich Wildheit, absolute Hingabe, wahnsinniger Spaß auf der Bühne. Sonst würde es nicht mehr funktionieren.

Sind die Fans dann noch die gleichen wie früher?

Oehmke: Die Fans werden ebenfalls älter. Das ist ein grundsätzliches Phänomen. Die großen Rock-Konzerte – Rolling Stones, U2, Iggy Pop – sind heute meistens Veranstaltungen für alte Leute, das Publikum ist dort mindestens über 50. Junge Leute gehen heute eher auf Hiphop-Konzerte und solche Sachen. Rock und Pop ist längst kein Privileg der Jugend mehr, wie noch in den siebziger oder achtziger Jahren. Bei den Toten Hosen ist es noch erstaunlich durchmischt, das geht von 16 bis über 60. Ich habe für das Buch mit vielen Fans gesprochen und bemerkt, dass sie ein Programm für drei Generationen sind.

George Michael sagte gerade vor Weihnachten, allein von den Tantiemen für „Last Christmas“ könne er gut leben. Ist durch den Song „Tage wie diese“, der bei der Fußball-WM und beim Oktoberfest ebenso gespielt wird wie auf Beerdigungen und Parteitagen, jetzt für die Toten Hosen quasi jeden Tag Weihnachten?

Oehmke: Man sollte das nicht überschätzen, aber sie haben mit diesem Song sicherlich gut verdient. Ebenso mit dem sehr erfolgreichen Album und der Tournee, die so viele Menschen erreicht hat wie keine andere zuvor in Deutschland. Finanzielle Sorgen müssen sie sich wahrscheinlich nicht machen. Trotzdem gibt es bestimmt reichere Musiker als die Toten Hosen.

Ihr Buch ist in allen Bestseller-Listen weit vorne platziert. Hat auch ein Autor mit einem Bestseller vom Schlage „Am Anfang war der Lärm“ finanziell ausgesorgt?

Oehmke: Nee, ausgesorgt nicht, aber natürlich ganz gut verdient. Millionär wird man damit nicht. Leider nicht, sonst würde ich nicht mehr beim „Spiegel“ sitzen, sondern längst irgendwo am Strand. Aber die Toten Hosen haben sich sehr dafür eingesetzt, dass der große Aufwand großzügig honoriert wird.