Tristesse einer digitalisierten Welt

Tristesse einer digitalisierten Welt

In Petra Hůlovás neuem Roman „Dreizimmerwohnung aus Plastik“ erzählt eine moderne Prostituierte aus ihrem Leben

25. 9. 2013 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: IKEA

 

Dieser Roman stellt in mehrerer Hinsicht eine Herausforderung dar. Eine junge Frau in den Dreißigern monologisiert über ihr Leben, das durch ihren Beruf als Prostituierte geprägt ist. In immer neuen Anläufen plaudert sie mit dem Leser über ihren Alltag, über ihre Kunden und deren Gewohnheiten. Die Frau, von der bezeichnenderweise weder ein Name, noch irgend eine Information zu ihrer Person oder Familie bekannt ist, lässt den Leser gleichsam an ihrer Lebensbeichte teilhaben. Die für eine Beichte unabdingbare Reue zeigt sich allerdings noch nicht einmal im Ansatz.

Der Lebensinhalt dieser Frau ist das große Einkaufszentrum, das ganz in der Nähe ihrer Wohnung, die zugleich ihre Arbeitsstätte ist, liegt. Dass sie sich als Single diese Form des Lebens antut, um sich mit der gut gedeckten Kreditkarte im großen Einkaufszentrum alle Wünsche erfüllen zu können, ist ihr bewusst. Ihre Monologe machen keinen Hehl aus dieser engen Beziehung zwischen ihren Dienstleistungen und der schönen Welt des Kaufrausches. Sie parliert vollkommen ungezwungen; ihre unverblümten Darstellungen überraschen in ihrer scheinbaren Distanz zu üblichen Wertvorstellungen. Fragen nach einem tieferen Sinn des Lebens scheinen sie nicht zu quälen.

Über die vorwurfsvollen Blicke der Nachbarinnen im Haus ist sie jedoch nicht glücklich: „Im Übrigen sag ich mir, dass mich die Rentnerinnen nur beneiden, wenn ich einen bösen Blick zurückschleudere auf ihr böses Häuflein, weil die mit dem Böseln angefangen haben, nicht ich; und so komm ich mit meinen bösen Gedanken, die es ohne den bösen Samen von den ihren nicht geben würde, wohl auch beim großen Abrechnen durch die Heilige Dreifaltigkeit und das Jesuskind durch“.

Einzelne Aspekte ihrer monologischen Überlegungen wie etwa „Die Dickleibigkeit alter Damen“ oder „Kalorien“ werden in der Überschrift der jeweiligen Kapitel, die hier „Fernsehserie“ genannt werden, angeführt. Überhaupt nehmen Überlegungen zur Gesundheit, zum Altern und zum eigenen Körper neben den Beschreibungen sexueller Erlebnisse einen zentralen Platz im Roman ein. Die Kapitel „Im Archiv“ oder „Im Biologiesaal“ bilden Szenarien ab, die zuweilen die Wirklichkeit mit potentiellen Möglichkeiten vertauschen. Selbstverständlich geht es auch in diesen tagtraumartigen Phantasien nur um das Eine. Derb und ohne Umschweife. Sexualität wird provokativ und schamlos ausgebreitet und man empfindet zuweilen eine gewisse Abscheu vor den schockierenden Dauerdarstellungen.

Die 1979 in Prag geborene Schriftstellerin Petra Hůlová hat das Lesepublikum bereits mit Romanen wie „Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe“(2007) oder „Endstation Taiga“(2010) überzeugt. Umso mehr verwundert, dass sie sich in diesem Buch einer thematischen Verengung unterworfen hat, der sie zwangsläufig auch ihre Sprachkraft ausliefert.

Gefühle aus der Kreditkarte
Die Berichte der jungen Frau im Roman zeichnen sich durch eine eigenartige Distanz aus. Obwohl sie über sich als Hauptakteurin erzählt, wirkt das zuweilen infantil vorgetragene Geschehen, als wäre sie gar nicht selbst beteiligt. Die ewige Spannung zwischen den Geschlechtern wird auf Begriffe wie „Reinsteckselbesitzerin“ und „Reibeiseneigentümer“ reduziert, wobei es dann tatsächlich erstaunlich ist, in welch vielfältigen und zuweilen bizarren Situationen die Begegnungen dieser Kontrahenten entfaltet werden.

Zum inszenierten naiven Augenaufschlag im Monolog fügt sich ein naiver Sprachgebrauch. Da ist vom „Niewoh“ oder „Süschee“ die Rede, vom „Amüsemang“ oder einem „Ohpärmädchen“. Gerade an der lockeren Sprache erweist sich übrigens das übersetzerische Können von Doris Kouba, der es gelungen ist, auch Wortneuschöpfungen und Slang in das Deutsche angemessen zu übertragen.

Es erschließen sich im Laufe dieses derben Monologs über die Welt der Plastikzimmer, bestehend aus den Besuchern in der Wohnung und der Kreditkarte, keinerlei weitere Perspektiven. Der Mensch ist lediglich ein Faktor. Nach dem bezahlten Sex offenbaren sich die Vorteile der Plastikwelt – sämtliche Spuren lassen sich mühelos beseitigen. Bei all der emotionslos ausgebreiteten Sexualität breitet sich die Kälte einer aseptischen digitalisierten Welt aus. Gefühle werden inszeniert und basieren auf gut gedeckten Kreditkarten. Der thematische Stillstand führt letztlich zwangsläufig zur Ratlosigkeit. Was bleibt, ist unendliche Tristesse.

Petra Hůlová: Dreizimmer-wohnung aus Plastik. Aus dem Tschechischen von Doris Kouba. Köln 2013, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 189 Seiten, 17,99 Euro, ISBN 978-3-462-04522-2