Räuber des Jahres
Glosse

Räuber des Jahres

Ein Tscheche hat sich die Auszeichnung für 2020 redlich verdient. Für den „Räuber des Jahrzehnts“ kommt er dennoch nicht infrage

7. 12. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Hans Eiskonen

Nur noch wenige Wochen bis Silvester, Zeit für Jahresrückblicke – und für Vorschauen auf 2021. Deshalb stellen wir schon jetzt die Frage: Wer wird 2021 der „Räuber des Jahres“? Der Preisträger für das Jahr 2020 steht nun endgültig fest: Es ist ein Tscheche.

Diese Auszeichnung muss mehr denn je hart verdient werden. Denn Bankräuber haben es in der Corona-Pandemie deutlich schwerer als früher. Keinem Menschen fallen sie noch auf, wenn Räuber eine Bank mit einer Maske vorm Gesicht betreten. Daher ist die Vorschrift für eine Maskenpflicht ein großes Hemmnis für den Titel 2021.

Corona sorgt zudem dafür, dass Geiselnahmen künftig ausgeschlossen sind. Schließlich will auch ein Räuber kein positives Testergebnis riskieren, nicht einmal für die Auszeichnung zum Besten des Jahres. Da sich Aerosole höchstwahrscheinlich selbst in einem Fluchtwagen halten, müssen ihn Täter vorab und hinterher gründlich desinfizieren, um sich vor Mittätern zu schützen. In Summe muss sich ein potenzieller Titelkandidat also kommendes Jahr viel einfallen lassen, um auf den Thron gehoben zu werden.

Dem tschechischen Preisträger für 2020 ist dies mustergültig gelungen. Dafür überfiel er mehrere Banken in verschiedenen deutschen Bundesländern. Schon im Juni 2015 unterstrich er seine Titelambitionen dadurch, dass er eine Filiale in Sachsen heimsuchte, in der kein Geld vorhanden war, sondern nur Kundenberater herum saßen. Somit ging der Bank kein einziger Cent aus dem Tresor verloren.

Noch vorbildlicher handelte er später in der Oberpfalz. Das Geldinstitut, das er sich dort aussuchte, war am Tag seines Überfalls geschlossen. Dadurch wurde nicht ein Mensch in Furcht und Schrecken versetzt. Weitere Meriten für den „Räuber des Jahres“ verdiente sich der 29-Jährige vor einer anderen Bank, als er die Warnblinkanlage seines Autos anschaltete, solange er dort Schmiere stand. Dadurch stellte er sicher, dass auch diese Tat auf seine Bewerbungsliste gesetzt wurde. Ein Gericht in Weiden wird nun all seine Heldentaten würdigen.

Vor drei Jahren vergab schon einmal ein Richter den Titel. Damals sicherte sich ein Räuber die Auszeichnung, weil er unvermummt und lediglich mit Sonnenbrille und Basecap in einer Sparkassen-Filiale in Sachsen erschien. Damit konnte ihn seine frühere Freundin problemlos auf einem Fahndungsbild identifizieren. Eines Preisträgers würdig verhielt er sich zuvor schon beim Überfall. Er nahm von einer Bank-Mitarbeiterin jene Blankokarte in Empfang, mit der am Geldautomaten unverzüglich ein stummer Alarm ausgelöst werden konnte.

Lange wurde überlegt, ob man nicht auch seiner Ex den Preis zur Hälfte zuerkennen sollte. Denn der Täter versicherte glaubhaft, dass er von ihr regelmäßig gekratzt und mit Ohrfeigen auf Trab gehalten wurde – was als zusätzliche Motivation für seinen Überfall zu werten war. Nach den Misshandlungen saß er meist in einer Dresdner Gartenlaube. So auch diesmal, damit ihn die Polizei ohne lange Suche festnehmen konnte.

Im Jahr 2011 gab ein Ausgezeichneter fraglos sein Letztes, um den Titel „Räuber des Jahres“ zu erhalten. Er wählte dafür extra eine Sparkassen-Filiale im Emsland aus, die schon seit 17 Jahren geschlossen war. Deshalb stand er im Schalterraum lediglich vor einem Auszugsdrucker und Geldautomaten und blickte in bunte Leuchtreklame. Anschließend hinterließ er im geklauten Auto eine Plastikpistole mit seiner DNA, um zweifelsfrei auf die Shortlist für den Räuber-Preis zu kommen. Eigentlich schon mehr als genug für die Ehrung. Doch der Mann aus dem Rheinland qualifizierte sich noch dadurch, dass er einen Anlauf von 22 Vorstrafen nahm, bis er endlich an der Reihe war.

Und das war auch dringend nötig. Denn kaum eine Auszeichnung war so hart umkämpft wie die von 2011. Infrage kam dafür auch ein Quartett, das sich den Titel in einem Berliner Juwelier-Geschäft holen wollte. Die vier rasten auf der Flucht durch einen Tunnel. Und zwar mit solch hoher Geschwindigkeit, dass ihr Fahrzeug mit falschem Kennzeichen verlässlich geblitzt wurde. Aus Furcht, bei der Wahl zum „Räuber des Jahres“ trotzdem vergessen zu werden, streckte ein Täter sicherheitshalber noch sein Gesicht in die Kamera, während er die Umweltplakette am Fahrzeug mit dem Originalkennzeichen zuhielt.

Spätestens im November 2021 werden wir wissen, wer der neue Preisträger ist. Die Statistik belegt, dass (Preis-)Richter in diesen grauen nebligen Tagen besonders häufig über die Taten von Räubern urteilen. Sollte kommendes Jahr zusätzlich der „Räuber des Jahrzehnts“ gekürt werden, ist der Tscheche jedoch aus dem Rennen. Dieser Titel ist jenem Täter nicht zu nehmen, der die Polizei im August 2010 mit großem Ehrgeiz auf seine Spur brachte. Zu diesem Zweck verschickte er E-Mails an die Fahnder und machte sie darauf aufmerksam, dass er nach dem Überfall auf eine fränkische Bankfiliale mit einem Auto und nicht zu Fuß geflohen war. Zudem nannte der 19-Jährige exakt Marke, PS-Zahl und Baujahr seines Fluchtwagens samt amtlichem Kennzeichen. Sowie dessen Standort auf der obersten Etage des Parkhauses neben einem Hauptbahnhof. Wichtig war ihm auch, seine Personenbeschreibung zu korrigieren: Größe 1,93 Meter statt nur 1,83 Meter, wie von der Polizei genannt. Außerdem, dass sich seine Beute auf 2.500 Euro und nicht nur 100 Euro belaufe.

Damit ihm der Titel nicht im letzten Moment streitig gemacht werden konnte, schickte der Bankräuber vorsichtshalber Kopien der E-Mails an mehrere Zeitungen. Darin schilderte er zudem ausführlich seinen weiteren Fluchtweg mit dem ICE, 1. Klasse, nach Berlin und dann nach Hamburg. Dank seiner genauen Angaben nahm ihn die Polizei eine Woche später auf der Reeperbahn fest.

Allerdings könnte der Tscheche die Jahrzehnt-Auszeichnung sowieso nicht entgegennehmen. Denn er sitzt bereits wegen eines anderen Vergehens in seiner Heimat in Haft. Und für eine Ehrung kommen nur aktive Räuber infrage. Gefängnis-Insassen sind von einer Teilnahme am Wettbewerb kategorisch ausgeschlossen.