„Quasi eine Hotline“
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„Quasi eine Hotline“

In der Corona-Krise muss das deutsch-tschechische Zentrum in Schwandorf und Petrovice auch unkonventionelle Hilfe leisten

27. 4. 2021 - Interview: Klaus Hanisch

PZ: In der TV-Krimiserie „Polizeiruf 110“ heißt der Hund im deutsch-polnischen Zentrum „Speedy“. Wie heißt der Hund im realen deutsch-tschechischen Zentrum in Schwandorf?
Markus Leitl: (lacht) Wir haben kein Tier als Maskottchen. Zwar gibt es Mitarbeiter, die Haustiere und auch Hunde haben, aber nicht bei uns im Zentrum. Wir haben ein gemeinsames Logo, das wir für Auftritte in der Öffentlichkeit nutzen.

Sie sind seit Jahresbeginn dort der deutsche Koordinator. Das Schwandorfer Zentrum hat genau 101 Mitarbeiter und ist damit das personalstärkste Zentrum in Europa. Ist die deutsch-tschechische Grenze so unsicher?
Nein, Grund dafür sind die beiden Arbeitsstellen mit zwei 24-Stunden-Diensten. Eine in Schwandorf, 65 Kilometer von der Grenze entfernt – schon das ist etwas Besonderes, denn in der Regel sind alle Zentren unmittelbar an der Grenze. Die zweite in Petrovice liegt auf tschechischem Gebiet unmittelbar an der Grenze zu Sachsen. Das Zentrum ist für die gesamte deutsch-tschechische Grenze zuständig, mit zwei Landespolizeien, die involviert sind, nämlich der bayerischen und der sächsischen, sowie der Bundespolizei an beiden Standorten – ein Novum innerhalb Europas.

Woran bemessen Sie die Effizienz dieser vielen Mitarbeiter?
Ich bemesse sie an der Zufriedenheit unserer Kollegen, die bei uns anfragen. Wenn wir diesen Kollegen helfen konnten und dies auch noch mit einem Fahndungserfolg verbunden ist, freuen wir uns natürlich darüber. Dazu ein konkretes Beispiel: Ein Kollege aus Regensburg kontrolliert einen tschechischen Fahrer, der eine Waffe mitführt. Deshalb will er wissen, ob der Tscheche über eine Waffenbesitzkarte verfügt und ob er ihn weiterfahren lassen darf. Dies erfährt er von uns innerhalb von fünf Minuten. Das gibt dem Kollegen Rechtssicherheit. Früher musste er den Fahrer mit auf die Dienststelle nehmen und die Überprüfung kostete viel Zeit.

Markus Leitl koordiniert die Arbeit des „GZ PET/SAD“. | © Polizei

Sie gehörten schon zum Aufbaustab des Schwandorfer Zentrums im Jahr 2007. Wie hat sich die Arbeit seitdem verändert?
In den Anfangsjahren hat sich unsere Arbeit auf das unmittelbare Grenzgebiet konzentriert. Es gab damals keine Anfragen etwa aus Hamburg. Stattdessen haben wir uns darauf beschränkt, unsere Kollegen beidseits der Grenze mit Informationen zu versorgen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich auch eine Zusammenarbeit mit Zentralstellen wie etwa dem Bundeskriminalamt (BKA). Dazu kamen dann Anfragen aus anderen Bundesländern. Zu unserer täglichen Arbeit gehört nun zum Beispiel auch die Hilfe für einen Polizeibeamten aus Niedersachsen, der auf einem Parkplatz ein Auto mit tschechischen Kennzeichen entdeckt hat, aus dem Öl ausläuft. Nun will er wissen, wen er benachrichtigen muss. Das wäre früher überhaupt nicht möglich gewesen, weil es keine Straftat ist, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Erst ein neuer deutsch-tschechischer Polizeivertrag eröffnete uns Befugnisse auch für ganz Tschechien und ganz Deutschland. Und wir arbeiten mittlerweile intensiv mit europäischen Agenturen wie Frontex und Europol zusammen. Dafür ist Schwandorf-Petrovice ein Vorreiter in Europa.

Dieser deutsch-tschechische Polizeivertrag wird als einer der modernsten in Europa bezeichnet. Aus welchem Grund?
Weil unsere Zuständigkeiten eben nicht mehr nur das Grenzgebiet umfassen, sondern auf deutscher Seite ganz Bayern und ganz Sachsen. Auf tschechischer Seite sind es die Gebietsdirektionen Liberec, Ústí nad Labem, Karlsbad, Pilsen und Südböhmen – ebenfalls ein riesengroßes Gebiet. Und: In diesem Vertrag steht, dass in Eilfällen auch Anfragen darüber hinaus beantwortet werden, ob aus Mecklenburg-Vorpommern oder aus Ostrava und Brünn.

Mitte März wurde Beschuldigten die bandenmäßige Einfuhr und der Handel mit Crystal Speed zur Last gelegt. Mehr als ein Dutzend Haftbefehle wurden ausgestellt, nach zwei Jahren grenzüberschreitende Ermittlungen von Amberger Kriminalpolizei, tschechischen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft Cheb sowie der Antidrogenbehörde in Prag. Wie stark ist das Zentrum in konkrete Fälle wie diesen einbezogen?
Grundsätzlich machen wir keine operativen Einsätze draußen, also Observationen und ähnliches. Vielmehr unterstützen wir Ermittlungen durch Informationsaustausch. Bevor Kriminaldienststellen ihre Ermittlungen aufnehmen, ist es durchaus üblich, dass sie allgemeine Anfragen an unser Zentrum stellen, zum Beispiel über Alter, Wohnort oder Kontakte von Verdächtigen. Immer wieder fragen auch Staatsanwaltschaften direkt bei uns an, weil dies schneller geht, keine Sprachbarrieren bestehen und Partner direkt vor Ort sind. Dabei geht es in der Regel um Auskünfte aus den polizeilichen Datensystemen.

Im Januar 2021 wurde bei Reisenden Bargeld in niedriger sechsstelliger Höhe gefunden. Es bestand der Verdacht auf Geldwäsche. Und im März 2021 hatte ein Fahrer aus Richtung Tschechien vermutlich Falschgeld dabei. Werden solche Verdächtigen auch von Ihnen registriert?
Wir haben keine eigene Datenspeicherung. Das macht die Kriminaldienststelle, die bei uns anfragt. Sie speichert auch die Informationen ein, die sie durch uns erhält. Wir dokumentieren lediglich den Vorgang in einer Datei. Damit können wir Anfragen etwa von einer Kriminaldienststelle oder der Bundespolizei zur selben Person verknüpfen. Das ist wichtig, wenn eine bayerische und eine sächsische Dienststelle parallel ermitteln, denn sie haben keinen Zugriff auf die jeweils andere Landesdatei. Wir sehen diese Dateien zwar auch nicht, aber wir machen den Brückenschlag und teilen etwa den Bayern mit, dass die Sachsen schon bei uns eine Anfrage zur selben Person gestellt haben.

Ist es in Tschechien ebenfalls so föderativ geregelt wie in Deutschland?
Nein, dort gibt es zwar 14 Gebietsdirektionen – sozusagen kleine Polizeipräsidien. Aber sie haben landesweiten Zugriff auf die Daten.

Dienstsitz des Gemeinsamen Zentrums in Schwandorf | © Polizei

Schwandorf ist eines von wenigen Zentren, das direkte Anfragen von den durch Frontex eingesetzten europäischen Polizeibeamten bearbeitet. Welche Vorteile hat das?
Dazu ebenfalls ein Beispiel: Ein portugiesischer Frontex-Beamter kontrolliert an der polnisch-ukrainischen Grenze ein Fahrzeug mit deutschem Kennzeichen und will wissen, ob es gestohlen oder unterschlagen wurde. Für ihn ist es eine wesentliche Arbeitserleichterung, wenn er mit Hilfe unseres Recherchesystems eine Auskunft erhält und dann entscheiden kann, ob er das Fahrzeug beschlagnahmen muss oder nicht.

Bei Amtsantritt gaben Sie an, den internationalen Datenaustausch zwischen Deutschland und Tschechien fördern zu wollen. Woran mangelt es noch?
Dazu noch einmal dieses Beispiel: Der Beamte aus Portugal, der an der polnisch-ukrainischen Grenze kontrolliert, ist für eine europäische Agentur, also Frontex, im Einsatz. Er muss von uns aber sehr schnell Infos über das Auto mit deutschen Kennzeichen bekommen – unter Einhaltung aller Datenschutzbestimmungen. Doch Eigentümer dieser Daten ist eigentlich der Staat Polen. Das macht es schwierig.

Warum fragt er bei einem Fahrzeug an der polnisch-ukrainischen Grenze überhaupt beim deutsch-tschechischen Zentrum nach und nicht gleich beim deutsch-polnischen Zentrum in Frankfurt/Oder?
Die Tatsache, dass die Überprüfung an der polnischen Grenze stattfindet, impliziert nicht zwangsläufig, dass die Anfrage an ein Zentrum mit polnischer Beteiligung gestellt werden muss. Grundsätzlich sind diese „Guest Officer“ (GO) nicht an ein bestimmtes Zentrum gebunden, vielmehr ist wichtig, welche Daten benötigt werden. Und in diesem Fall, war es eben erforderlich, auf deutsche Datensysteme zugreifen zu können. Zudem ist nicht jedes Zentrum in den europäischen Datenaustausch mit Frontex eingebunden.

Schwandorf-Petrovice kooperiert unter anderem mit Europol und Frontex.

Müsste Schwandorf daher nicht längst europäisches Zentrum statt deutsch-tschechisches Zentrum genannt werden?
(lacht) Wir fühlen uns tatsächlich als eine europäische Dienststelle, auch wenn der Begriff vielleicht nicht ganz zutrifft und wir natürlich wissen, für welche Entsendebehörde wir tätig werden. Die Zusammenarbeit der Gemeinsamen Zentren wurde 2015 im Rahmen eines Pilotprojekts eingeleitet, an dem auch wir beteiligt waren. Damals waren die Mitgliedstaaten sehr skeptisch, weil für sie die originäre Aufgabe eines Zentrums war, bilateral Informationen auszutauschen, nicht aber Daten über mehrere Länder weiterzugeben. Bald wurde aber klar, dass Kollegen auf diese Weise sehr schnell und effektiv arbeiten können. Dazu ein aktuelles Beispiel: Letztes Jahr wurde ein Auto mit Kennzeichen für Frankfurt/Main von einem 22-Jährigen aus der Ukraine an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine gefahren. Das erschien einem Kollegen verdächtig. Er wollte wissen, wer der Eigentümer war und benötigte dafür Informationen aus Deutschland. Die konnten wir liefern.

Wie sehr hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit verändert?
Davor war es so, dass die Tür zwischen meinem tschechischen Partner und mir immer offen stand. Dann konnten wir nur mit Maske ins andere Büro, dann überhaupt nicht mehr. Die direkte kollegiale Arbeitsweise, die das Zentrum bisher auszeichnete, wurde stark beeinträchtigt.

Auf die externe Arbeit blieb dies aber sicher ohne Folgen, da Daten ja auch im Homeoffice bearbeitet werden können.
Nein, auch die externe Arbeit hat sich verändert. Mitte Februar wurden das tschechische Kontingent in Schwandorf und das deutsche in Petrovice abgezogen, die Partner waren nicht mehr in der gemeinsamen Arbeitsstelle. Da wurde augenfällig, wie wichtig es ist, stets unmittelbar Rücksprache halten zu können und wie viel man von der Arbeit des anderen erfährt, wenn man sich täglich unterhält.

Und dann kamen die Grenzkontrollen, letztes Jahr durch Tschechien, dieses Jahr durch Deutschland.
Plötzlich waren die Grenzen nicht mehr so durchlässig. Regelmäßige operative Maßnahmen wie die sogenannte Nacheile bei einer Flucht über die Grenze oder grenzüberschreitende Observationen wurden obsolet, weil gegenüber ja sowieso kontrolliert wurde. Dadurch änderten sich Art und Aufkommen unserer Arbeit komplett. Anfragen wurden nun vermehrt durch Bürger, Unternehmer oder von Landwirten gestellt, die wissen wollten, ob sie ihre Felder jenseits der Grenze noch anfahren konnten. Ebenso gab es Fragen zu Tests oder elektronischen Reiseanmeldungen – wir wurden zu einer Art Servicestelle.

Waren das nicht Aufgaben von Landrats- und Gesundheitsämtern statt von einer Polizeibehörde?
Es gab die Sprachbarriere. Vor allem für Tschechen, die bei deutschen Landratsämtern anriefen. Da konnten wir oft helfen und dafür waren viele dankbar. Das war für uns ganz neu. Wir betrieben quasi eine Hotline. Kein Bürger hätte verstanden, wenn wir als Gemeinsames Zentrum in dieser besonderen Pandemie-Situation nicht geholfen hätten. Zu Beginn der Grenzkontrollen gab es allein bei uns in Schwandorf bis zu 100 Anfragen an den Wochenenden. Auch aus Deutschland, wenn zum Beispiel jemand kranke Verwandte in Tschechien besuchen oder zu einer Beerdigung dorthin fahren wollte.

Stau an der Grenze | © Gerhard G.

War das Zentrum auch direkt in die Grenzkontrollen involviert?
Da wir keine operative Einheit sind, betraf uns die Abwicklung der Grenzkontrollen nicht direkt. Aber wir haben Übersetzer für Lkw-Fahrer an die Grenze geschickt und bei Verdacht auf gefälschte Corona-Tests die Sachlage mit der ausstellenden Behörde in Tschechien abgeklärt. Wir meldeten, welche tschechischen Teststationen noch Kapazitäten freihatten, wie sich Staus vor der Grenze entwickelten.

Sie sprechen sehr gut Tschechisch. Ein wesentlicher Vorteil für Ihre Arbeit, weil dadurch gegenseitiges Vertrauen gefördert wird?
Das ist für mich eine Grundbedingung. Ich muss als Koordinator direkt mit der Polizeiführung in Pilsen, Karlsbad oder Budweis kommunizieren können, ohne Hilfe von Dritten. Man kann nicht verlangen, dass der tschechische Partner Deutsch spricht und der deutsche kein Tschechisch. Meine Mitarbeiter haben ausnahmslos gute Tschechisch-Kenntnisse, können alle tschechischen Gesuche lesen und sich mit den tschechischen Kollegen unterhalten. Das ist auch wichtig, um tschechische Kollegen bei einem Einsatz zu unterstützen und Gespräche über tschechische Leitungen verstehen und interpretieren zu können.

Gibt es auch private Kontakte zwischen deutschen und tschechischen Beamten, zum Beispiel ein sommerliches Grillfest oder eine gemeinsame Weihnachtsfeier?
Unbedingt. Es wäre fatal, wenn es nur eine dienstliche Zusammenarbeit geben und sich jeder Mitarbeiter um 16.30 Uhr ins Private zurückziehen würde. Es gibt ebenso gemeinsame Sportveranstaltungen wie einzelne Gruppen, die mit Familien gemeinsame Wochenenden verbracht haben. Private Kontakte werden auch sonst gepflegt. Nur während der Corona-Pandemie müssen wir wie alle anderen Bürger auf solche privaten Kontakte leider verzichten.

Petrovice und Schwandorf liegen 360 Kilometer voneinander entfernt. Wie teilen sich die 101 Mitarbeiter dort auf?
Mehr als ein Viertel der Mitarbeiter sind Tschechen. Auf deutscher Seite sind neben den bereits erwähnten bayerischen und sächsischen Beamten und den Bundespolizisten auch Zöllner im Einsatz. Ebenso zwei tschechische Zöllner.

Und auch diese Zöllner haben keinen Hund im Einsatz, etwa für die Suche nach Rauschgift?
Nein, auch den gibt es nicht.

Basset-Hündin Speedy aus dem „Polizeiruf“ | © rbb/Conny Klein

Weitere Informationen zur grenzüberschreitenden Polizeiarbeit auf der Website des Bundesinnenministeriums