Prager Kneipennächte II
Nachtkneipen sind eine Prager Institution. Sie schließen sehr spät – oder nie. Und haben daher ihr eigenes Leben und spezielles Publikum
14. 8. 2018 - Text: Klaus Hanisch
Mittwoch Nacht:
Kneipe öffnet ab 16.30 Uhr. Täglich. Im Sommer um 18 Uhr. Besitzer heute selbst hinter der Theke. Wirft kritischen Blick auf jeden, der Tür passiert. Erwartet nicht nur kurzes Kopfnicken, wenn frisches Bier gewünscht wird. Wie in manch Prager Kneipe durchaus üblich. Sondern klare Ansage in vollständigem tschechischen Satz. Dazu „bitte“ am Satzende. Auch noch nach Mitternacht. Und auch von Ausländern. Zur Not auf Deutsch. Ausländer hier jedoch nur selten zu sehen.
Ist Dienstleister, will aber nicht Diener seiner Gäste sein. Hatte indes blendende Geschäftsidee. Neben Kneipe noch andere Lokale in Straße. Schließen alle gegen elf am Abend. Dann hat nur noch er Zapfhahn-Gewalt. In dieser Vorstadt.
Schließt immer, wenn glaubt, dass Zeit dafür sei. Oder wenn keiner mehr da ist, den er leiden kann. Schließt daher manchmal erstaunlich früh. Aber zuweilen auch erstaunlich spät. Laut Aushang bis zwei Uhr nachts Barbetrieb. Eher unverbindlicher Vorschlag. Wobei ab zwei allerdings kein Neuer mehr reinkommt. Nicht einmal, wenn er hier bekannt ist. Zumeist jedenfalls nicht.
Franta, sein Theker, macht dicht, wenn der Letzte geht. Und pfeif auf Öffnungszeiten. Wird wahrscheinlich nach Umsatz bezahlt. Besitzer beschäftigt zuweilen auch Aushilfsschenker. Achten stets genau auf Schließzeiten. Wie 450-Euro-Kräfte in Deutschland.
Besitzer arbeitet nur an manchen Abenden. Sieht aus wie der späte Wolfgang Neuss: dünnes Haar, hinten zu Zopf gebunden, verbrauchtes Gesicht. Allerdings ein paar Jahre jünger als der Berliner Kabarettist damals. Wie beim späten Neuss auch bei ihm nicht ganz klar, ob er noch Zähne hat. Selbst wenn er lacht.
Schlabber-Polo. Schlabber-Jeans. Leichte O-Beine. Meinungen über Chef geteilt. Für einige despotischer Herr im Haus. Für andere schüchterner Mensch. Weshalb er Gast wie Feind behandelt. Gegenüber mir sehr reserviert. Fast schon barsch. Möchte ihm deshalb immer um Hals fallen, wenn er mir trotzdem ein Bier zapft. Gibt sich jedes Mal überrascht von Bestellungen. Obwohl ich stets das Gleiche bestelle: kleines Bier, 10 Grad, etliche Krüge nacheinander. Behandelt aber auch Ondřej so. Den Tschechen. Stammgast. Und Freund von dessen Bruder. Hat Ondřej mehrfach angeführt.
Eingangstür spiegelt Charakter des Besitzers wider. Leistet heftigen Luft-Widerstand bei jedem, der ins Innere strebt. Lässt sich so schwer öffnen, dass Eindruck entsteht, Kneipe habe bereits geschlossen. Zumindest bei kraftloseren Gästen. Ganz im Sinne des Betreibers. Schwächlinge haben hier nichts zu suchen.
Gerade zwei neue Schnäpse auf Theke. Sind für zwei schlanke junge Frauen, beide Ende 20. Vielleicht auch schon Mitte 30. Dunkelbraune Haare die eine, kurze blonde die andere. Ihre Umarmungen werden von Minute zu Minute intensiver.
Halb zwei am Morgen. Mit ihnen noch acht weitere Gäste im Raum. Darunter Jindřich. Kurze wellige Haare. Kräftig. Eigentlich schon untersetzt. Jeans rutscht immer leicht unter Bauchansatz, wenn er geht. Graue Jacke. Sieht aus wie Taxifahrer.
Frauen ziehen sich von Theke an Holztisch zurück. Setzen sich gemeinsam auf Stuhl, Schoß auf Schoß. Beide in blau-weißen Matrosen-Shirts. Eines mit etwas breiteren Streifen. Jindřich gesellt sich dazu. Lädt sie auf Schnaps ein. Will mit ungelenkem Lächeln wissen, ob das Spaß macht, Liebe zwischen Frauen. Nicht, dass er was dagegen hätte. Sei aber lieber Mann. Frauen schauen ihn kurz an. Und lächeln.
Besitzer legt Zettel an. Wie alle Theker hier. Jede Nacht. Vermerken Zeche eines Tisches. Strich für Strich. Beschränkt sich nicht auf Bier. Auch Slivovice. Und anderes. Werden bei einigen Gästen immer umfangreicher, je weiter sich Uhrzeiger von Mitternacht entfernen.
Im Moment sieben kleine Zettel neben Zapfhahn. Genauer: zwischen Zapfhahn und Spüle. Ab und an spritzen kleine Wassertropfen auf Listen. Manchmal auch größere Wasserstreifen. Dann sind nicht mehr alle Striche zu erkennen. Was Besitzer stets heftig fluchen lässt.
Frauen stellen jetzt zwei Stühle so, dass sie fast aufeinanderliegen. Die Frauen, nicht die Stühle. Theker nimmt deshalb an, dass sie gleich T-Shirts heben und sich gegenseitig Jeans vom Leib reißen. Um den Moment nicht zu verpassen, bestellen alle noch ein Bier. Jeweils.
Únětický, 0,3 Liter (10 Grad) für 19 Kronen. Umgerechnet etwa 80 Cent. Und 0,5 Liter für 28 Kronen. Ungefähr 1,10 Euro. Für 0,3 Liter mit 12 Grad werden 25 Kronen verlangt. Für 0,5 Liter 36 Kronen. Kleine Brauerei aus Únětice. Kaff ein paar Kilometer nordwestlich von Prag. Angeblich Tradition seit 1710. Geheimtipp für etliche Bierkenner. Ebenso für Tschechen, die gerne kleine Brauereien im Land unterstützen. Statt Industriebier. Also Pilsner. Und andere. Wie sie sagen.
Stadtführer in Not
Glückwunsch, Prag 4!