Prager Kehrtwende
Tschechiens Politiker buhlen um den Euro. Die Bevölkerung müssen sie vom Projekt Eurozone noch überzeugen
5. 3. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: EU 2014 – European Parliament
Ohne bizarre Momente kam Miloš Zeman auch bei seinem ersten Besuch im Europaparlament nicht aus. Erst verwandelte sich seine Pressekonferenz zu einem Streitgespräch über die Lage in der Ukraine und dann versagte auch noch die Technik. Erst nach zehn Minuten konnte das schweißgebadete Staatsoberhaupt aus dem kaputten Aufzug im Straßburger Winston-Churchill-Gebäude befreit werden.
Zemans Rede vor den EU-Parlamentariern am Mittwoch vergangener Woche fiel dann aber wie erwartet aus: proeuropäisch. „Die Rede deutet darauf hin, dass sich Tschechien dorthin zurückentwickelt, wo es hingehört, zum Herzen Europas“, reagierte etwa der Chef der liberalen ALDE-Fraktion Guy Verhofstadt. Zu einem Tschechien im Herzen Europas gehört laut Zeman auch der Betritt in die Eurozone – und das „so bald wie möglich“.
Tschechiens Haltung zur Währungsunion hat sich seit der Präsidentschaftswahl und vor allem seit dem Antritt der neuen Regierungskoalition radikal geändert. In den nächsten Monaten möchte man im Prager Parlament die Ratifizierung des Fiskalpakts über die Bühne bringen, dem neben Großbritannien bislang nur Tschechien nicht beigetreten ist. Laut Premier Bohuslav Sobotka sei das als Bekenntnis zum Euro zu verstehen. Brüssel applaudiert. Ob Sobotka das auch von den tschechischen Wählern erwarten kann, ist fraglich.
Im Herbst 2013 sprach sich laut einer Umfrage der Meinungsforscher von CVVM nicht einmal ein Viertel der Bevölkerung für die Einführung des Euro aus. Die größte Befürchtung der Tschechen macht nun die ODS zum Gegenstand ihrer Kampagne für die Europawahl. Die Bürgerdemokraten warnen vor Souveränitätsverlust und wirtschaftlichen Schäden durch die Beteiligung an der Sanierung maroder Wirtschaften im Süden des Euroraumes. „Wir sagen klar Nein zum Euro“, so der EU-Abgeordnete und ODS-Spitzenkandidat für die Wahlen im Mai Jan Zahradil. Man verlange von der Regierung Bemühungen um eine langfristige Ausnahme aus der Beitrittsverpflichtung. „Derartigen Verhandlungen sollte ein Referendum vorangehen“, sagte Zahradil beim Kampagnenstart in der vergangenen Woche.
Skeptischer Nationalbanker
Laut Luděk Niedermayer, Spitzenkandidat der konservativen TOP 09 und ehemaliger Vize-Gouverneur der Tschechischen Nationalbank ČNB, hat die Anti-Euro-Rhetorik bei der Europa-Kampagne nichts verloren – die Entscheidung obliege der Regierung. „Als Ökonom vertrete ich schon lange die Meinung, dass sich Tschechien schon wegen seiner geografischen Lage in Europa und der starken wirtschaftlichen Verbindung mit den umliegenden Staaten um einen Beitritt in die Eurozone bemühen sollte“, erklärt Niedermayer gegenüber der „Prager Zeitung“.
Die jetzige Leitung der Nationalbank zeigt sich indes gegenüber dem Euro kritischer. ČNB-Gouverneur Miroslav Singer etwa hatte im Vorjahr angekündigt, dass Tschechien den Euro nicht vor 2019 einführe; unabhängig davon, wie proeuropäisch die künftige Regierung sein werde. In einem ČNB-Bericht vom vergangenen Dezember werden Bedenken vor einem schnellen Beitritt zur Eurozone hervorgehoben. So bedeute die Einführung des Euro mit großer Wahrscheinlichkeit auch einen Beitritt in den Rettungsmechanismus ESM, in den Tschechien in einem ersten Schritt etwa 40 Milliarden Kronen (knapp 1,5 Milliarden Euro) investieren müsste. Zudem habe sich die Struktur der EU mit der Einführung von Fiskalunion und zentraler Bankenaufsicht weit von der Situation entfernt, in der sich Tschechien mit dem EU-Beitritt zur Einführung der Einheitswährung verpflichtet hatte. Die ČNB rät der Regierung in dem Dokument ab, einen festen Termin für die Euroeinführung zu setzen und mit einem Eintritt in den Wechselkursmechanismus II abzuwarten.
Der Einstieg in die mindestens zwei Jahre währende Zwischenphase, in der die Tschechische Krone fest an den Kurs des Euro gebunden wird, ist eines von vier Kriterien für die Euro-Einführung. Darüber hinaus muss Tschechien eine stabile Preisentwicklung und Zinssätze vorweisen sowie eine nachhaltige Haushaltspolitik. Gerade die proeuropäische Koalition aus ČSSD, ANO und Christdemokraten könnte dabei für Probleme bei der Erfüllung der Maastricht-Kriterien sorgen.
Die Europäische Kommission schätzt, dass das tschechische Haushaltsdefizit dank geplanter Investitionen im kommenden Jahr die kritische Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen wird. Den Schuldenanteil indes schätzt die Kommission auf 48,5 Prozent. Mit diesem Wert läge Tschechien nicht nur innerhalb der Konvergenzkriterien, sondern auch weit hinter Ländern wie Deutschland – dort machten die Staatsschulden im Jahr 2010 rund 77,5 Prozent des BIP aus.
Der Bericht der Nationalbank kommt indes zum Schluss, dass sich Reformen des Arbeitsmarkts oder im Bankensektor, die zu einer weiteren Annäherung an den Euroraum führen würden, positiv auf die tschechische Wirtschaft auswirken würden. Darauf verweist auch der Wirtschaftswissenschaftler Vilém Semerák und empfiehlt deshalb einen baldigen Beitritt in den europäischen Wechselkursmechanismus. Dies sei vor allem eine politische Entscheidung.
Ob die Regierung von Premier Sobotka diesen – in Tschechien unpopulären – Schritt geht, bleibt fraglich. Mit dem politischen Wandel löst jedoch ein Hauch von Euro-Euphorie die langjährige Prager Euroskepsis ab. Dafür erntete Zeman vergangene Woche in Straßburg Applaus. Für sein Plädoyer gegen europäischen Einheitskäse und Einheitsbier dagegen Kopfschütteln.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“