Positive Zwischenbilanz

Positive Zwischenbilanz

Vor einem Jahr trat die Regierung Sobotka ihr Amt an. Die Hälfte der Tschechen sind mit ihrer Arbeit zufrieden

28. 1. 2015 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: Vláda České republiky

 

Bereits vor ihrem Amtsantritt am 29. Januar 2014 hatte die Regierung des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Bohuslav Sobotka einen Rekord aufgestellt. 95 Tage mussten die Tschechen nach der Parlamentswahl im Oktober 2013 warten, bis Staatspräsident Miloš Zeman die 17 Mitglieder des Kabinetts offiziell ernannte. Der Koalitionsvertrag zwischen ČSSD, ANO und KDU-ČSL war erst drei Wochen zuvor unterschrieben worden. Schuld daran waren vor allem innerparteiliche Streitigkeiten bei den Sozialdemokraten. Zunächst einmal musste Sobotka den Machtkampf gegen seinen Rivalen Michal Hašek gewinnen, um sich danach mit der wenig einsichtigen „Aktion unzufriedener Bürger“, kurz ANO, über die wichtigsten Punkte des Koalitionsvertrages zu streiten. Die Hoffnungen vieler Wähler in die neue Regierung waren zu dieser Zeit bereits dahin. Das Bündnis hatte bei ihnen schon einen Teil des Kredits verspielt, bevor es überhaupt mit der Arbeit loslegen konnte.

Ruft man sich diese Anlaufschwierigkeiten und die Skepsis gegenüber dem Politneuling von Multimilliardär Andrej Babiš in Erinnerung, umso mehr erstaunen die Ergebnisse, die die Regierung Sobotka nach einem Jahr vorzuweisen hat. In über 50 Sitzungen fasste sie mehr als 1.000 Beschlüsse und setzte in den ersten Monaten auch einige ihrer Wahlversprechen um. So sorgte sie unter anderem dafür, dass die Renten künftig schneller steigen, dass kinderreiche Familien steuerlich entlastet werden, die Praxisgebühr abgeschafft und der Mindestlohn erhöht wird. Die meisten der bisher angegangenen Koalitionsprojekte tragen eine deutlich sozialdemokratische Handschrift. Sobotka hat sich in den vergangenen zwölf Monaten als stärkerer Regierungschef präsentiert, als es von den meisten Beobachtern erwartet worden war. Das politische Prag erlebt unter seiner Regie vergleichsweise ruhige Zeiten – trotz mancher Differenzen zwischen sozialdemokratischen Ministern und dem ANO-Vorsitzenden Babiš. Das scheint auch Sobotka selbst so zu sehen. In einem jüngst in der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ veröffentlichten Gespräch zeigte er sich mit der Arbeit seines Kabinetts zufrieden. „Die Regierung funktioniert seit einem Jahr, wir hatten keine große Koalitionskrise, die Opposition hat kein einziges Mal die Vertrauensfrage gestellt“, fasste der 43-jährige Regierungschef zusammen.

Klares Bekenntnis
Hinzu kommt, dass es auf den Ministerposten nur zwei Wechsel gab – Regionalministerin Věra Jourová (ANO) ist seit November EU-Kommissarin, Verkehrsminister Antonín Prachař (ANO) erklärte etwa zur selben Zeit seinen Rücktritt, angeblich wegen anhaltender Kritik an der Personalpolitik bei der Autobahndirektion und an der Ausschreibung für einen neuen Betreiber des Mautsystems.

Parteikollegen wie Gesundheitsminister Svatopluk Němeček, den Babiš für seine Vorhaben schon mehrere Male kritisierte, stärkte Sobotka in dem Pressegespräch den Rücken. Lobende Worte fand er auch für Schulminister Marcel Chládek, auch wenn dieser seiner Meinung nach „manchmal schneller redet, als er arbeitet“. Angesprochen auf den größten Misserfolg im zurückliegenden Jahr nannte er die mangelhafte Ausschöpfung von EU-Geldern. „Aber auch hier bin ich frohen Mutes, dass wir alle Probleme rechtzeitig lösen werden“, sagte Sobotka.

Als klares Bekenntnis zu Europa versteht die Regierung den im Frühjahr beschlossenen Beitritt zum EU-Fiskalpakt, der Tschechien zu mehr Haushaltsdisziplin verpflichtet, und die Übernahme der Grundrechtecharta. Die stärkere Hinwendung zu Europa würdigte unter anderem der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch im Mai 2014. Wer Europa voranbringen wolle, müsse verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, erklärte Gauck damals und erinnerte damit auch an die EU-skeptische Haltung der Vorgängerregierung.

Das Zwischenzeugnis für Sobotka und sein Kabinett fällt überwiegend positiv aus. Das belegen auch die Umfragewerte: Das Vertrauen der tschechischen Bevölkerung in ihre Regierung ist mit 49 Prozent derzeit so groß wie seit vielen Jahren nicht mehr. Präsident Zeman kann von einer solchen Zustimmung indes nur träumen. Dabei spielen sicher auch die Spannungen zwischen ihm und der Regierung eine Rolle – vor allem in der Außenpolitik und dem Verhältnis zu Russland. Während sich Zeman zunehmend in Bezug auf den Ukraine-Konflikt in Richtung Moskau orientiert, fahren Sobotka und sein Außenminister den Kurs der EU und scheuen sich auch nicht davor, den einstigen Vorsitzenden ihrer Partei öffentlich zu kritisieren. Den Wählern scheint diese Stärke zu gefallen.

Vier Ressorts auf dem Prüfstand

Kultur: Billigere Bücher und höheres Budget

Zu seinen ersten Erfolgen zählt Kulturminister Daniel Herman (KDU-ČSL), dass er dem Ressort mit 10,9 Milliarden Kronen (knapp 400 Millionen Euro) für das laufende Jahr den bisher größten Haushalt sichern konnte. Für Kunst und Kultur verplant Tschechien damit 0,89 Prozent des Gesamtbudgets. Aus den Reihen der Opposition kommt dennoch Kritik: Organisationen seien unterfinanziert und Mitarbeiter schlecht bezahlt, bei Großprojekten wie der Renovierung des Nationalmuseums in Prag gehe es nicht voran, moniert Václav Novotný, Vorsitzender einer Expertenkommission für Kultur von TOP 09. Das Nationalmuseum wird wohl noch längere Zeit eines der größten Investitionsprojekte des Kulturministeriums bleiben. Premier Sobotka hat es zur Priorität erklärt. Er will, dass Herman die Sanierung während seiner Amtszeit abschließen kann. Als weitere Leistung seines Ministeriums betrachtet dieser die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Bücher, die im vergangenen Jahr beschlossen wurde. Zu den Hauptaufgaben für die verbleibende Amtszeit zählen ein neues Denkmalschutzgesetz und ein Entwurf für ein Gesetz über öffentlich-rechtliche Kulturinstitutionen.   (ca/čtk)

Umwelt: Ersparnisse und unzureichender Klimaschutz
Es fehle das klare Konzept, so urteilen Kritiker über die Umweltpolitik der Regierung Sobotka. Im Vergleich zu seinem Vorgänger zeige Umweltminister Richard Brabec (ANO) jedoch eine Wende zum Besseren. Die Umweltaktivisten der NGO „Zelený kruh“ („Grüner Kreis“) loben die Pläne des Ministers, bemängeln jedoch deren schlechte Umsetzung. Sie beanstanden unter anderem eine unwirksame Vorgehensweise gegen Smog und unzureichenden Klimaschutz. Für Aufsehen sorgte vor allem die ablehnende Haltung von Brabec gegenüber dem vom Senat vorgeschlagenen Gesetz zum Schutz des Böhmerwaldes. Ebenso verweigerte er den Bau der Seilbahn auf den Reischelberg (Hraničník). Im Interview mit der Nachrichtenagentur ČTK verkündete er, eine neue Strategie bezüglich der Abfallwirtschaft entwickeln zu wollen und das Umweltschutzgesetz zu verbessern. Brabec selbst zählt Ersparnisse in Millionenhöhe zu seinen Errungenschaften. Sie seien zustande gekommen, indem das Ministerium unvorteilhafte Verträge aufkündigte. Im vergangenen Jahr arbeitete das Umweltministerium zudem an neuen Regeln zum Sortieren von Bioabfällen und einem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Marketá Miklasová vom Bezirksamt Liberec bezeichnete den Minister und seine Mitarbeiter als „gute Handwerker, denen jedoch die Weitsicht fehlt, das Problem der Abfallentsorgung in einem breiteren Kontext zu sehen.“   (fn/čtk)

Arbeit und Soziales: Höherer Mindestlohn und ein umstrittener Personalentscheid

Bei Amtsantritt von Michaela Marksová (ČSSD) gehörte das Arbeits- und Sozialministerium zu den großen Sorgenkindern. Es galt zunächst, das angebliche „administrative Chaos“ in den Griff zu kriegen. Große Probleme bereitete damals ein digital gesteuertes Bezugssystem von staatlichen Unterstützungsgeldern (Sozialkarten). Marksová trieb deswegen die Einsetzung eines neuen IT-Systems voran. Als Erfolg feierten Ministerin und Gewerkschaften die Anhebung des Mindestlohnes um 700 Kronen auf 9.200 Kronen. Damit düpierte Marksová aber auch das eigene Kabinett, wo man von lediglich 500 Kronen ausging. Bei den Bürgern machte sie sich außerdem dank höherer Rentenzahlungen sowie der Einführung einer Geburtszulage für das zweite Kind beliebt. Für einen kleinen Skandal sorgte die 45-jährige Sozialdemokratin im Herbst mit der Entlassung der Staatssekretärin Marie Bílková. Als Gründe gab Marksová Kommunikationsprobleme und unterschiedliche Auffassungen in der künftigen Ausrichtung des Ministeriums an.   (sw/čtk)

Bildung: Unqualifiziertes Lehrpersonal und erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

Schulminister Marcel Chládek (ČSSD) arbeitet seit einem Jahr daran, das tschechische Bildungssystem zu vereinheitlichen und die pädagogische Ausbildung der Lehrer sowie deren Bezahlung zu verbessern. Um das zu erreichen, nutzte Chládek sein erstes Amtsjahr zur eingehenden Analyse wie auch ersten Reformschritten. Eine im Februar veranlasste Studie brachte zutage, dass an über 650 tschechischen Schulen mehr als der Hälfte des Lehrpersonals die nötigen pädagogischen und didaktischen Kenntnisse fehlen. In Zukunft sollen die Lehrer also wieder selbst die Schulbank drücken, um die Defizite zu beheben. Ausgenommen sind Lehrer über 55 Jahren und mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung. Eine der größten Baustellen bleibt die geringe Bezahlung. Vor allem die Bezüge langjährig beschäftigter Lehrpersonen sollen deutlich steigen. Eingeleitet hat Chládek die neuen, einheitlichen Zulassungsbedingungen zum Gymnasium ab der neunten Klasse sowie Änderungen im Hochschulgesetz. Nachdem ein 16-jähriger Schüler in Žďár nad Sázavou durch die Messerattacke einer psychisch gestörten Täterin ums Leben kam, kündigte Chládek an, die Sicherheitsvorkehrungen in sämtlichen Lehranstalten des Landes zu überprüfen und bei Bedarf zu verbessern.   (sw/čtk)