Poker um Tschechien

Poker um Tschechien

Die Energiebranche in Deutschland stellt sich neu auf. Pläne dafür entwickeln sich gerade zu einem Wirtschaftskrimi. Dabei spielt eine tschechische Tochtergesellschaft eine wichtige Rolle

25. 4. 2018 - Text: Klaus Hanisch

Es geht um ein Milliardengeschäft. In dessen Mittelpunkt steht das erst vor zwei Jahren gegründete und an der Börse platzierte Unternehmen Innogy. Sein Mutterkonzern RWE will Innogy auflösen und dessen einzelne Sparten mit Konkurrent Eon teilen. Diese Pläne wurden vor wenigen Wochen bekannt gegeben und schienen beschlossen. Etwa 5.000 Stellen könnten bei diesem Megadeal verloren gehen.

Doch nun setzt sich Innogy zur Wehr. Sein derzeit größter Trumpf: das Tschechien-Geschäft. In einer Ad-hoc-Mitteilung verkündete der Vorstand Ende vergangener Woche, dass es dafür einen ernsthaften Interessenten gebe. Einen Namen nannte das Unternehmen nicht. Doch die Finanzbranche ist sich sicher, dass es sich dabei um die australische Investmentbank Macquarie handelt.

Denn Macquarie ist bereits Mitgesellschafter am Innogy-Erdgasnetz in Tschechien. Den Australiern gehören 49,6 Prozent, während Innogy 50,4 Prozent hält. Mit seinem Strom- und Gasnetz soll das Unternehmen in Tschechien rund 1,6 Millionen Kunden beliefern. Andere Quellen sprechen gar von mehr als 2,3 Millionen Verbrauchern, wobei die Leitungen über rund 64.500 Kilometern Länge verlaufen. Etwa 80 Prozent des regionalen Verteilnetzes für Gas in Tschechien sollen in Innogy-Hand sein. Laut Konzernangaben macht das Tschechien-Geschäft etwa 1,7 Milliarden Euro in der Bilanz aus.

Logo von Innogy. Die Tochtergesellschaft des deutschen Energieversorgers RWE beschäftigte Ende 2016 über 40.000 Mitarbeiter in 16 europäischen Ländern.

Mit seiner Ankündigung sorgt Innogy für reichlich Wirbel. Auf der Hauptversammlung setzte der Vorstand nun nach. Hildegard Müller, im Unternehmen für die Netze zuständig, erläuterte in Essen, dass Macquarie eine Sonderklausel nutzen könnte. Sie soll dem Unternehmen bei einem Eigentümerwechsel ein Vorkaufsrecht einräumen. Man könne davon ausgehen, dass Macquarie diesen Vorteil ausspiele, so Müller.

In die gleiche Kerbe schlug Vorstandschef Uwe Tigges. Gegenüber seinen Aktionären bezeichnete er das Angebot als normalen Vorgang, schließlich sei Innogy noch immer ein unabhängiges Unternehmen. Stimmt sein Aufsichtsrat zu, könnte Tigges die Tochter in Osteuropa veräußern. Nach Medieninformationen soll RWE keinen Beherrschungsvertrag über sein Tochterunternehmen besitzen. Aus diesem Grund könnten Gespräche des Vorstands mit Investoren auch nicht unterbunden werden.

Andere Informationen besagen, dass Innogy möglicherweise doch nicht gegen den Willen von RWE entscheiden könne, weil die Mutter 76,8 Prozent der Anteile an Innogy hält. In jedem Fall ist ein Machtkampf ausgebrochen, der schwerwiegende Folgen haben könnte. Denn Innogy hat den Druck auf Eon kräftig erhöht. Der Energiekonzern soll beim Deal mit RWE das Netzgeschäft übernehmen und ebenso den Stromvertrieb von Innogy. Dafür ist das Tschechien-Geschäft ein wesentlicher Faktor.

RWE und Eon wollen sich durch einen umfangreichen Tausch von Geschäftsteilen künftig nicht mehr in die Quere kommen. Eon soll sich künftig um Netze und Kunden kümmern, RWE um die Stromproduktion sowie die erneuerbaren Energien beider Konzerne. Dafür will Eon zunächst Innogy komplett übernehmen und im Gegenzug den Konkurrenten RWE am eigenen Unternehmen mit knapp 17 Prozent beteiligen. Im Mai will Eon seine Offerte vorlegen. Das Geschäft zwischen beiden Konzernen soll bis Ende 2019 abgeschlossen sein.

Hätte Macquarie mit seinem Vorstoß Erfolg, würde der Investor nun möglicherweise zu einem „weißen Ritter“ für die Arbeitnehmer. Beobachter vermuten, dass der Vorstand mit diesem „Spiel“ eine Beschäftigungsgarantie anstrebt. Man halte es „für dringend geboten“, eine verbindliche Zusage zu bekommen, dass keine Kündigungen ausgesprochen werden, hatte Vorstandschef Tigges zuvor erklärt. Zwar will Eon-Chef Johannes Teyssen keine betriebsbedingten Kündigungen veranlassen, gleichwohl sollen 5.000 Arbeitsplätze abgebaut werden.

 | © Karsten Würth

Innogy will dem Interessenten nun die Bücher öffnen und „Informationen zu den betreffenden Geschäftsaktivitäten zur Verfügung stellen“, wie der Vorstand mitteilte. Allerdings seien die Gespräch noch „in einer frühen Phase“ und somit offen, ob konkrete Angebote für einzelne Bereiche eingehen. Angeblich soll es auch Interessenten für andere Geschäftseinheiten wie Erneuerbare Energien, Vertrieb und Netze geben. Ihnen werde das Unternehmen jedoch keine Informationen geben.

Als Reaktion auf den eingeleiteten Atomausstieg hatte RWE seine Aktivitäten mit Netzen, Vertrieb und Ökostrom einst in Innogy gebündelt und im Herbst 2016 an die Börse gebracht. Lange galt Innogy als Wachstumsunternehmen, doch im Dezember gab es eine Gewinnwarnung. Innogy ist in fast ganz Europa aktiv. Die wichtigsten Märkte sind neben Deutschland auch Großbritannien, die Niederlande und Belgien. In Mittel- und Südosteuropa ist das Unternehmen neben Tschechien auch in Ungarn und Polen vertreten. Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist Innogy zudem in Spanien und Italien auf dem Markt.

Die Übernahme durch Eon kann Tigges nicht verhindern. Durch Verkäufe von einzelnen Aktivitäten wie in Tschechien könnte er den Deal für Eon jedoch deutlich weniger attraktiv machen. Trotzdem wollen RWE und Eon ihren vereinbarten Zeitplan weiterverfolgen. RWE bleibe überzeugt davon, dass die vereinbarte Transaktion die größten Potenziale biete, um die Energiewende in Deutschland zu meistern, sagte nun der Vorstand. Eine Zerlegung von Innogy in viele Einzelteile – mit dem Beginn in Tschechien – sei hingegen keine Alternative.