„Panenkas Elfmeter war eine Frechheit“

Bernd Hölzenbein war 1976 einer der Protagonisten im EM-Finale gegen die damalige ČSSR. Die dramatische „Nacht von Belgrad“ vor 40 Jahren beschäftigt ihn noch heute

10. 2. 2016 - Text: Klaus HanischInterview: Klaus Hanisch; Fotos: Eintracht Frankfurt (1), S. Simon/Ullstein (2), ČTK (3)

Er gibt nur noch ganz selten Interviews. Für die „Prager Zeitung“ blickt Bernd Hölzenbein jedoch noch einmal zurück auf die legendäre „Nacht von Belgrad“. Spiele zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei (beziehungsweise Tschechien) gehören zu den häufigsten bei Fußball-Europameisterschaften. Keine Partie ist dabei mehr im Gedächtnis geblieben als das dramatische Endspiel vor 40 Jahren. In Belgrad führte die ČSSR bereits mit 2:0, gewann aber erst in einem Elfmeterschießen mit ungewöhnlichen Schützen auf beiden Seiten. Der Frankfurter Hölzenbein, Weltmeister von 1974, sorgte mit seinem Ausgleichstreffer zum 2:2 kurz vor Schluss dafür, dass dieses Spiel überhaupt noch in die Verlängerung ging.

Sie werden Anfang März 70 Jahre alt – angeblich ist es Ihnen aber lieber, wenn man Sie auf Autogramme oder Fotos anspricht und nicht auf Ihr Alter. Wie gehen Sie jetzt mit diesem runden Geburtstag um?

Bernd Hölzenbein: Viele wissen es ja hoffentlich nicht … Und es gibt auch keine Feier. Ich werde mich mit meiner Familie irgendwohin zurückziehen, wo kein Rummel ist.

Keine Feier zwar, aber trotzdem immer wieder mal Begegnungen mit ehemaligen Mitspielern wie Franz Beckenbauer oder Rainer Bonhof. Erinnert man sich dann noch an die EM 1976 oder ist sie wegen des unglücklichen Endes aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen?

Selbstverständlich erinnert man sich noch an viele Umstände bei dieser EM. Entscheidend war, dass die Spieler nicht wussten, dass es bei diesem Finale nach einer Verlängerung überhaupt ein Elfmeterschießen geben sollte. Deshalb waren wir nicht konzentriert genug. Ob das am Ende mehr genutzt hätte, sei dahingestellt. Auch die Rückkehr nach dieser EM bleibt in Erinnerung. Damals empfing uns ja kein Mensch auf dem Frankfurter Flughafen. Das war beschämend! Immerhin waren wir Vize-Europameister. Doch die Leute haben gemeckert. Heute wird schon bei einem dritten Platz eine Riesen-Party gefeiert (wie nach der WM 2006, Anm. d. Red.).

Erst Ihr Kopfball in sprichwörtlich letzter Sekunde führte beim EM-Finale von Belgrad in die Verlängerung. Hatten Sie danach das Gefühl: Jetzt packen wir die Tschechoslowaken?

Auf jeden Fall. Wer so viel Glück hatte wie wir und noch in die Verlängerung kam, der denkt automatisch, dass nun eigentlich nichts mehr schiefgehen kann. Wobei der gegnerische Torwart bei meinem Treffer auch etwas gepennt hat. Doch wir haben uns in dieser Verlängerung nicht energisch genug um den Sieg bemüht. Manchmal denke ich, wir haben es ein bisschen auslaufen lassen.

Was ging Ihnen anschließend beim verschossenen Elfmeter von Uli Hoeneß in den Belgrader Nachthimmel durch den Kopf – schlechter geht’s nimmer?

Ja, so ähnlich war’s. Nicht umsonst spricht heute noch jeder davon, dass man den Ball in Belgrad immer noch suchen muss. Uli Hoeneß hatte aber immerhin den Mut zu schießen. Und das muss man respektieren. Ich hatte ihn nicht. Wir wurden vorher gefragt, wer schießen will – und ich habe mich abgedreht und ein deutliches Zeichen gegeben, dass ich nicht der richtige Schütze in diesem Spiel bin.

Gab Ihnen Ihr Tor zum 2:2-Ausgleich nicht genug Selbstvertrauen, auch einen Elfer zu schießen?

Ich glaube, ich wäre als nächster Schütze dran gewesen, sicher aber als übernächster. Ich war fast ein bisschen erleichtert, dass ich nicht mehr schießen musste.

Was dachten Sie, als Antonín Panenka nach Hoeneß den Ball nur leicht anlupfte und damit lässig über Torhüter Sepp Maier ins Tor hob?

Das war eine Frechheit! Allerdings hat Sepp Maier auch nie einen Elfmeter gehalten. Ich habe selbst einige gegen ihn geschossen, das war einfach nicht seine Stärke. Wir hatten die Hoffnung, dass er in diesem Finale vielleicht doch mal Glück hat. Aber er hat alle Elfmeter passieren lassen. Und Panenka war natürlich der Höhepunkt …

Blamage für den Weltmeister: Panenka besiegelte per Elfmeter die Niederlage im EM-Finale 1976.


Angeblich will Sepp Maier bis heute nicht gerne auf das Finale angesprochen werden, weil ein Weltklasse-Torwart in der internationalen Fußball-Historie kaum jemals so verladen wurde wie er in dieser Nacht.

Der Sepp ärgert sich tatsächlich noch heute darüber. Manchmal wird ja geflachst, wenn man in einer Runde zusammensitzt. Aber er weiß auch, dass es jetzt nicht mehr zu ändern ist.

Erstmals wurde eine EM im Elfmeter­schießen entschieden. Deutsche Spieler kritisierten hinterher, dass der DFB dieser Entscheidung zugestimmt hatte, weil sie in einem Wiederholungsspiel gute Chancen gegen die ČSSR auf den Titel sahen. War das auch Ihre Meinung?

Ganz klar. Wir sind von einem Wiederholungsspiel zwei Tage später ausgegangen. Deutsche Mannschaften waren damals körperlich immer topfit und haben sich relativ schnell erholt. Deshalb sahen wir allein schon wegen der körperlichen Verfassung weitaus bessere Chancen auf den Titel. In dieser Hinsicht mache ich auch den Funktionären einen Vorwurf, weil sie kein Wiederholungsspiel wollten. Wir waren enttäuscht, als man uns dies vor dem Spiel im Bus mitteilte. Dass wir uns nicht genug auf das Elfmeterschießen konzentriert hätten, ist allerdings eine Ausrede und hatte mit der Leistung nichts zu tun. Immerhin trafen ja Bonhof, Flohe und Bongartz, nur Hoeneß verschoss.

Erst die Aufholjagd gegen Jugo­slawien im Halbfinale mit einem 4:2 nach 0:2, dann die gegen die ČSSR mit einem 2:2 nach 0:2. Hatte der amtierende Weltmeister Deutschland die „Kleinen“ zuvor unterschätzt?

Das kann schon sein. Wir sind mit großem Selbstbewusstsein in diese Spiele gegangen, gar keine Frage. Mit einer Niederlage hatten wir nicht gerechnet.

Nach der WM 1974 traten Müller, Overath und Grabowski zurück, später auch Breitner. Aber die anderen sieben Spieler aus der WM-Elf waren auch im Belgrader Finale dabei. War der personelle Aderlass dennoch zu groß?

Das würde ich nicht sagen. Es waren ja junge Spieler nachgekommen. Dazu die erfahrenen. Von der Besetzung her hätten wir eigentlich gewinnen müssen.

Bundestrainer Helmut Schön wurde später vorgeworfen, den dreifachen Torschützen Dieter Müller im Halbfinale zu spät eingewechselt und einen Spielmacher wie Flohe in allen EM-Endrundenspielen nicht sofort aufgeboten zu haben. Hat der Erfolgstrainer aus Ihrer Sicht bei der EM Fehler gemacht?

Wenn man verliert, hat jeder Trainer Fehler gemacht, ganz klar. Fehler hat man ihm ja auch zwei Jahre später bei der WM in Argentinien vorgeworfen. Hätte Uli Hoeneß den Elfmeter reingeschossen, wäre vermutlich alles ganz anders gekommen. Helmut Schön wäre der König gewesen – und wir hätten in Frankfurt einen schönen Empfang gehabt.

Die Tschechoslowakei war seit Oktober 1974, also fast zwei Jahre, ohne Niederlage geblieben. Was machte die Elf für Sie zu einem würdigen Europameister?

Allein schon die Frechheit von Panenka! Heute sieht man es ja öfter, dass ein Elfmeter so verwandelt wird. Aber zu der damaligen Zeit war das hammerhart. Wir wurden richtig blamiert!

Auf dem Weg zum Uefa-Cup-Sieg 1980 gelang Ihnen gegen Dinamo Bukarest das sogenannte Eintracht-Jahrhunderttor: Auf dem Boden sitzend köpften Sie den herunterfallenden Ball ins Tor der Rumänen. Das war wie im EM-Finale kurz vor dem Abpfiff und erneut gab es Verlängerung. Hatten Sie so gute Nerven, dass Sie immer zu einem Mann für Nachspielzeiten wurden?

Beim Elfmeterschießen nicht! Sonst ja, und oft waren es Kopfbälle. Ich weiß heute noch nicht warum. Und tatsächlich oft in den letzten Minuten. Vielleicht lag es auch daran, dass ich in meiner Karriere ganz selten verletzt war und daher bis zum Schlusspfiff fit und konzentriert geblieben bin.

Im Viertelfinale bekam es Frankfurt mit Zbrojovka Brünn zu tun. Für die Eintracht eine schwere Zeit. Denn zwischen Hin- und Rückspiel gegen Brünn lag die Bundesligapartie in Mönchengladbach, wo der junge Lothar Matthäus den zweiten Eintracht-Weltmeister Jürgen Grabowski so schwer foulte, dass er seine Karriere beenden musste. Hatten Sie danach Sorgen um das Weiterkommen im Uefa Cup und um die Zukunft Ihrer Eintracht generell?

Wir wussten damals noch nicht, dass diese Verletzung so schwerwiegend war. Jürgen Grabowski ist heute noch sauer auf Matthäus. Sie grüßen sich auch nicht, wenn sie sich mal irgendwo begegnen. Es war schon tragisch, dass der Jürgen so früh aufhören musste, auch wenn er nicht mehr der Allerjüngste war. Aber er hätte gut noch zwei, drei Jahre spielen können.

Ein Gespräch mit Ihnen kann nicht enden ohne einen Blick auf das WM-Finale 1974. In Büchern ist heute noch zu lesen, dass Grabowski und Hölzenbein die wichtigsten Akteure für den Angriff und mit Overath auch für das Spiel der deutschen Elf in diesem Endspiel waren. Ebenso steht dort, dass man als Narr bezeichnet worden wäre, wenn man ausgerechnet die Frankfurter vorher als Außenstürmer des Finales genannt hätte. Wie überrascht waren Sie selbst, dass Sie sich während des Turniers in die Elf gespielt hatten?

Niemand hatte damit gerechnet, dass Grabowski und ich im Finale spielen würden. Ich am allerwenigsten. Beim ersten Treffen vor der WM in der Sportschule spielten „Granaten“ wie Netzer oder Beckenbauer in einer Ecke und das Mittelmaß wie Bonhof auf der anderen Seite. Und ganz hinten waren sechs Leute als kleiner Rest, darunter die beiden Ersatztorhüter und ich. Daran konnte man schon die Wertschätzung ablesen. Erst durch die berühmte Niederlage gegen die DDR wurde alles anders. Während der eine oder andere danach noch ins nächtliche Hamburg gefahren sein soll, habe ich abends keinen Rotwein mehr getrunken und mich früh ins Bett gelegt. Ich habe meine Chance gesehen, mich vorbereitet und schließlich bei der Wasserschlacht im Halbfinale gegen Polen in Frankfurt zum ersten Mal die kompletten 90 Minuten gespielt. Jupp Heynckes hatte ja noch auf Unterstützung und die guten Kontakte seines Gladbacher Trainers Hennes Weisweiler gehofft, damit er im Endspiel zum Einsatz kommt. Aber Helmut Schön sagte Grabowski und mir schon am Tag vorher, dass wir spielen würden.

Ein Autor schrieb hinterher, Sie hätten sich durch die holländische Abwehr geschlängelt, als ob Sie für die nächste Slalom-WM trainieren würden. Später gingen Sie gerichtlich gegen die Behauptung vor, Sie hätten den Elfmeter zum 1:1-Ausgleich durch eine Schwalbe provoziert. Trotzdem zog dieses deutsche Wort danach in die niederländische Sprache ein – können Sie heute darüber lachen?

Ja, natürlich. Die Holländer lachen ja selber da­rüber, wie ich später mal in einer Talkrunde dort erfahren habe. Sie sind in diesem Finale daran gescheitert, dass sie einfach zu überheblich waren. Das war ihr Problem, und dafür konnte ich nichts. Mein großer Fehler war, dass ich die Bild-Zeitung wegen der Schwalbe auf Widerruf verklagt habe. Dadurch ist dieses Thema erst richtig und wochenlang hochgekocht. Daraufhin wollten holländische Medien Interviews von mir, denn die Holländer wollten nachträglich doch noch irgendwie Weltmeister werden. Das war dumm von mir, aber die Diskussion über den angeblichen „Elfmeterschinder“ hat sich längst erledigt.

Hölzenbein (Rückennummer 11) erzwingt mit dem 2:2 in der letzten Spielminute die Verlängerung.

 


Rekord-Torschütze und Weltmeister

Auch heute noch, mit fast 70 Jahren, erreicht man Bernd Hölzenbein auf der Geschäftsstelle der Frankfurter Eintracht. Für die Hessen stellt er sich weiterhin als Scout und Berater des Vorstandes zur Verfügung. 15 Jahre lang spielte Hölzenbein für Frankfurt, von 1966 bis 1981. In dieser Zeit feierte der Klub große Erfolge, unter anderem gewann er 1980 den Uefa Cup sowie dreimal den DFB-Pokal (1974, 1975, 1981). Bis heute traf kein Spieler häufiger für die Eintracht als er. 160 Tore erzielte Hölzenbein allein in der Bundesliga (bei 420 Spielen), dazu noch 41 in den Pokalwettbewerben. Danach ließ er seine Karriere mit einem kurzen Gastspiel bei Fort Lauderdale Strikers in den USA ausklingen. Für die Nationalelf absolvierte er 40 Länderspiele. Hölzenbein nahm an der WM 1978 und EM 1976 teil, Höhepunkt war der WM-Titel 1974 im eigenen Land.