Nein zu Rusnok

Nein zu Rusnok

Parlament verwehrt der Übergangsregierung das Vertrauen und lenkt den Kurs auf Neuwahlen – Bürgerdemokraten manövrieren sich ins Abseits

14. 8. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin nejezchleba; Foto: čtk

Zwei Monate Regierungskrise, innerparteiliche Querelen erschüttern die einst bedeutendsten Parteien des Landes – und dann streikt auch noch die Technik. Ausgerechnet am Mittwoch vergangener Woche. Am Tag der Vertrauensabstimmung über das Übergangskabinett von Premier Jiří Rusnok. Das Unwetter vom Vorabend hatte die elektronische Abstimmungsmaschine im Prager Abgeordnetenhaus lahmgelegt. Die entscheidende Parlamentsverhandlung geriet ins Stocken, noch bevor sie begonnen hatte. Was folgte waren mühsame Auszählungen mit Stift und Papier, hitzige Debatten, Fahnenflucht, Verzögerungen. Elf schwüle Stunden lang.

Dabei stand das Ergebnis doch längst fest: Die Parteien rechts der politischen Mitte, die einstige Regierungskoalition, hatten sich darauf geeinigt, der Beamtenregierung eine Absage zu erteilen. Zur Erinnerung: Rusnoks Übergangskabinett rekrutierte sich weitestgehend aus politischen Verbündeten von Präsident Miloš Zeman und war vom Präsidenten gegen den Willen der Parlamentsmehrheit eingesetzt worden.

Němcová fühlt Dolchstoß
100 von 193 anwesenden Abgeordneten hoben schließlich die Hand gegen Rusnok. Drei der Verbündeten aber waren desertiert. Eigentlich wollte die einstige Mitte-Rechts-Koalition im zweiten Versuch der Regierungsbildung ein neues Kabinett unter Miroslava Němcová (ODS) forcieren – geschlossen, mit 101 Mandaten. Doch in letzter Minute meldeten sich zwei ODS-Abgeordnete vom Votum ab. „Sie haben uns das Messer in den Rücken gerammt“, kommentierte Němcová. Und dann war auch noch die ehemalige stellvertretende Regierungschefin Karolína Peake verschwunden, aus Enttäuschung über den Verrat der Koalitionspartner, wie sie erklärte. Die beiden Deserteure wurden bereits aus der ODS-Fraktion ausgeschlossen, Peake hat ihre kürzlich gegründete Partei LIDEM verlassen. Das Parlament steht vor einem Scherbenhaufen, Tschechien womöglich vor Neuwahlen.

Dazu müsste eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Abgeordnetenhaus für die eigene Auflösung stimmen. Danach blieben noch 60 Tage für den Wahlkampf. Noch in der Nacht der Abstimmung schien der vorgezogene Urnengang beschlossene Sache. Nach wenigen Minuten war man sich einig: Die Verhandlungen zur Selbstauflösung des Parlaments beginnen am nächsten Vormittag.

Am Donnerstag war die Lage dann schon nicht mehr so übersichtlich. „Wir halten vorgezogene Parlamentswahlen für nicht sonderlich vernünftig“, sagte der ODS-Fraktionsvorsitzende Marek Benda dem Tschechischen Fernsehen. Ein definitiver Standpunkt werde noch in der Fraktion verhandelt.

Und obwohl bislang 122 Abgeordnete der ČSSD, TOP 09 und KSČM Neuwahlen anpeilen, warnen  politische Beobachter vor voreiligen Schlüssen. Den Parteien LIDEM und VV droht bei einer Neuwahl das Aus im Parlament, die Bürgerdemokraten brauchen Zeit, um aus der Krise nach dem Geheimdienst- und Korruptionsskandal um Petr Nečas zu finden und eine neue Parteiführung aufzustellen. Und auch die neue Linkspartei der „Zeman-Freunde“ SPOZ dürfte es eher an einem ordentlichen Wahltermin im Mai gelegen sein. „Jetzt würden sie um die Fünf-Prozent-Hürde kämpfen“, analysierte der Politologe Petr Sokol für den Nachrichtensender ČT24. Sollte es gelingen, Zeit zu gewinnen, könnten laut Sokol im Frühjahr bis zu zehn Prozent drin sein. Das Zeman großen Einfluss auf das Stimmverhalten der Sozialdemokraten hat, konnte er bereits vor der Vertrauensabstimmung unter Beweis stellen. Nachdem der Vorsitzende Bohuslav Sobotka tagelang gegen Zemans Machtgelüste gewettert hatte, ließ er die Genossen schließlich doch für dessen Beamtenregierung stimmen.

Präsidiales System droht
Dass der Präsident nicht die Rolle des neutralen Vermittlers einnehmen wird, machte er am Mittwoch erneut deutlich. In seiner Rede vor dem Parlament hatte Zeman angekündigt, Rusnok auch ohne Vertrauen weiter regieren zu lassen. Solange der Skandal um Nečas nicht komplett aufgedeckt sei, könne er den zweiten Versuch zur Regierungsbildung unmöglich an Mitte-Rechts geben. Denn bald könne ein weiteres Kabinettsmitglied ins Visier der Ermittler geraten.

Obgleich der Präsident nun versucht die Neuwahlen als das zu präsentieren, was er seit Anfang der Regierungskrise anpeilt: Sie würden ihm den Spielraum stark verengen. In einem Spiel, bei dem es laut TOP-09-Chef Karel Schwarzenberg um einen drastisch hohen Einsatz geht: „Es liegt an uns Bürgern, ob wir die Einführung eines präsidialen Systems und die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie erdulden.“ Ob sich im Parlament eine absolute Mehrheit findet, die die Lage als ebenso dramatisch einschätzt wie Zemans erfolgloser Gegenspieler in der Präsidentschaftswahl, wird sich voraussichtlich am kommenden Dienstag, 20. August zeigen.

FURCHT VOR „ABSOLUTER MACHT“
Die Regierung von Jiří Rusnok hat am Dienstag nach fünf Wochen Amtszeit ihren Rücktritt eingereicht. Präsident Miloš Zeman nahm das Gesuch an, beauftragte das Kabinett jedoch gleichzeitig bis zur Ernennung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt zu bleiben. Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses Miroslava Němcová (ODS) warnte bereits am Sonntag, die Übergangsregierung werde nach der Selbstauflösung der unteren Parlamentskammer nicht mehr kontrolliert.

„Es kommt zu einer Machtverschiebung zugunsten des Präsidenten. Ich würde geradezu von absoluter Macht sprechen“, sagte Němcová. Obwohl Zeman tags zuvor erklärte, er werde der Selbstauflösung nicht im Wege stehen, trauen ihm einige Politik-Experten zu, die Neuwahlen erst im kommenden Jahr auszurufen. Denn die Verfassung gibt diesbezüglich keine bestimmte Frist vor. In einem viel diskutierten Kommentar der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ hieß es in der vergangenen Woche, Zeman habe die Sozialdemokraten (ČSSD) bereits gebändigt. Nun bräuchte der Präsident aber noch etwas Zeit, um eine von ihm gewünschte linksgerichtete Regierung aus ČSSD und SPOZ ernennen zu können.