„Nahezu revolutionär“

„Nahezu revolutionär“

Parteitag der Sozialdemokraten stimmt für Frauenquote und mehr Basis-Beteiligung

18. 3. 2015 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: ČSSD

Seit vier Jahren steht Bohuslav Sobotka an der Spitze seiner Partei. Nun ist der tschechische Regierungschef mit großer Mehrheit wiedergewählt worden. Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten (ČSSD) in Prag stimmten am vergangenen Freitag zwar nicht – wie bei der Wiederwahl von ANO-Chef Andrej Babiš vor zwei Wochen – alle Delegierten für den 43-Jährigen, allerdings gewann er mit 85 Prozent ein starkes Mandat für die anstehenden Reformen. Unter anderem wollen die Sozialdemokraten die von der liberal-konservativ ausgerichteten Regierung Nečas beschlossene Rentenreform rückgängig machen, Volksentscheide auf Landesebene ermöglichen und Tschechien auf eine Einführung des Euro „um das Jahr 2020“ vorbereiten.

Welchen Rückhalt der Vorsitzende bei seinen Parteigenossen genießt, zeigte auch die Wahl des Vorstands, dem nun ausschließlich enge Verbündete Sobotkas angehören. Auch bei der Abstimmung über die stellvertretenden Parteivorsitzenden setzten sich die Favoriten des Regierungschefs durch: Neben der Arbeits- und Sozialministerin Michaela Marksová Tominová und dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses Jan Hamáček wählten die Delegierten auch Außenminister Lubomír Zaorálek in das Parteigremium. Die meisten Kommentatoren kritisierten in den Montagsausgaben der tschechischen Tageszeitungen das „Prager Übergewicht in der Parteiführung“ und damit auch das Fehlen von Vertretern aus den Regionen. Die „Hospodářské noviny“ erinnerte zum einen daran, dass die Kreishauptmänner in Oppositionszeiten die stärkste Stütze der Sozialdemokraten darstellten, und zum anderen an die „schmerzhaften Niederlagen“ der Regierungsparteien bei den vier vorangegangenen Regionalwahlen. Über das „regionale Ungleichgewicht“ schreibt die „Lidové noviny“, „es wäre illusorisch zu erwarten, dass sich die parteiinternen Widersacher dauerhaft in die Kreise zurückziehen“ und nie wieder nach Prag strebten. Derzeit regiert die ČSSD in 11 von 14 Kreisen. Die nächsten Regionalwahlen finden bereits im kommenden Jahr statt.

Zum ersten Stellvertreter wurde Innenminister Milan Chovanec bestimmt, der sich mit einer knappen Mehrheit gegen Jeroným Tejc durchsetzte. Der frühere Fraktionschef der ČSSD erklärte anschließend, dass Sobotka auf dem Parteitag die „absolute Macht“ errungen habe, mit der er aber auch die „absolute Verantwortung“ trage. Sobotka selbst widersprach diesen Worten: „Weder ich noch ein anderer in der Sozialdemokratie verfügt über die absolute Macht.“ Das Gegenteil sei der Fall, wie auch die auf dem Parteitag verabschiedeten Satzungsänderungen zeigten.

Unter anderem werden der Basis künftig mehr Rechte bei der Zusammenstellung von Kandidatenlisten eingeräumt. Insgesamt sprachen sich 604 von etwa 700 Delegierten dafür aus, dass die Kandidaten ab den Regionalwahlen im kommenden Jahr nicht mehr allein von der Parteispitze, sondern von allen ČSSD-Mitgliedern bestimmt werden sollen. Zudem werden die Listen laut Parteitagsbeschluss einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent aufweisen. Ein Schritt, den Sobotka als „nahezu revolutionär“ bezeichnete.

Einige ČSSD-Mitglieder sind allerdings skeptisch: Sie befürchten, dass nicht alle Regionen die geforderte Frauenquote erfüllen können. Für den Wirtschaftsexperten Martin Starec, der weiterhin dem Vorstand angehören wird, sind diese Sorgen unbegründet. Gegenüber dem Tschechischen Fernsehen sagte er, „die Erfüllung der Quote ist kein Problem“. „Auf den Kandidatenlisten waren Frauen zwar noch nicht so stark vertreten. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass jeder Kreis- und Bezirksverband über genügend weibliche Mitglieder oder Interessenten an einer Mitgliedschaft verfügt, um die Frauenquote zu erreichen“, meint der langjährige Parlamentsabgeordnete.

Die Sozialdemokraten hoffen, den seit Jahren zu beobachtenden Mitgliederschwund mit der neuen Satzung zu beenden. Während die Partei im Jahr 2010 etwa 24.000 Mitglieder zählte, sind es derzeit rund 22.000.

„Großartige Nachricht“
Zum ersten Mal seit der Neugründung der Partei im März 1990 wählten die Delegierten am Wochenende dann auch mit der Politologin Vladimíra Dvořáková und der Frauenrechtlerin Jana Smiggels Kavková zwei Frauen in den Parteivorstand. Die Vorsitzende der Bürgervereinigung „Fórum 50 %“ bezeichnete das Abstimmungsergebnis als „großartige Nachricht“, die auch als Signal für andere Parteien wahrgenommen werden sollte.

Der Politologe Josef Mlejnek erkennt in dem zurückliegenden Parteitag vor allem einen großen Erfolg für den Parteivorsitzenden. Nach dem missglückten Putschversuch seines damaligen Stellvertreters Michal Hašek kurz nach den Parlamentswahlen im Herbst 2013 hält er die Partei wieder „fest in seinen Händen“. Hašeks Leute hätten laut Mlejnek nicht zu der Stärke zurückgefunden, um eigene Kandidaten in die Führungspositionen der ČSSD zu bringen. In der Wahl von Sobotkas erstem Stellvertreter, die Innenminister Chovanec erst in der zweiten Runde für sich entscheiden konnte, erkennt der Politologe den Nachweis einer „parteiinternen Demokratie“. Die Sozialdemokraten hätten ihre eigene Meinung, die sie im entscheidenden Moment auch vertreten würden.

Gegen Babiš
Ein solches Zeugnis würden die meisten politischen Beobachter dem ANO-Parteitag, der Anfang März in Prag stattfand, wahrscheinlich nicht ausstellen. Inhaltliche Debatten wurden kaum geführt, Andrej Babiš als Parteivorsitzender mit 100 Prozent der Stimmen bestätigt, ähnliche Ergebnisse erreichten auch seine Stellvertreter. Kritik wurde damals nur an den Koalitionspartnern geäußert, vor allem an der ČSSD. Unter anderem hatte Babiš den Sozialdemokraten unterstellt, eine Partei der Geldverschwendung zu sein.

So verwunderte es auch nicht, dass Sobotka in seiner Rede davor warnte, „das demokratische System Tschechiens darf nicht von reichen Oligarchen (…) manipuliert werden, die sowohl Unternehmen als auch Medien und politische Gruppierungen kontrollieren“. Jedem im Saal dürfte klar gewesen sein, das der ČSSD-Vorsitzende damit auf den Einfluss von Multimilliardär Babiš abzielte, dem die international agierende Gesellschaft Agrofert und der Medienkonzern Mafra gehört.