Mit Windkraft zum Blackout?

Mit Windkraft zum Blackout?

Im Erzgebirge soll ein Schutzwall gegen Stromschwankungen entstehen – Ausbau des deutschen Netzes stockt

28. 11. 2012 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Siemens-Pressebild

Ab 1.700 Megawatt wird es brenzlig. Wenn – wegen starker Böen auf Nord- und Ostsee etwa – mehr Strom aus den deutschen Windkraftwerken ins Nachbarland fließt, droht Tschechien der Blackout; das zumindest behaupten das Industrieministerium und der Netzbetreiber ČEPS. 1.700 Megawatt, das ist in etwa die Leistung des Atommeilers in Dukovany. Bis 2013 soll die Leistung der deutschen Offshore-Windparks laut Energiekonzept der Bundesregierung etwa 15 Mal so hoch sein. Da sich ein Ausbau der deutschen Nord-Süd-Trassen bislang am Unmut der Bürger reibt, sorgt Prag nun vor.

Die 1.700-Megawatt-Grenze soll ein sogenannter Phasenschieber sichern. Der soll laut einem Bericht der Tageszeitung „Lidové noviny“ mehrere Hundert Tonnen wiegen, etwa zwei Milliarden Kronen (rund 79 Millionen Euro) kosten und in der Nähe von Kodaň, am Fuße des Erzgebirges entstehen. Bei der Finanzierung hofft man auf Zuschüsse aus Brüssel, nach dem Erwerb von Baugenehmigungen möchte man den Auftrag ausschreiben. Der stellvertretende Industrieminister Pavel Šolc bestätigte dies und geht von einer Inbetriebnahme Anfang 2017 aus.

Bis es soweit ist, muss man sich anderweitig behelfen. Laut ČEPS wolle man im Notfall dem Energiefluss am Grenzübergang einen Riegel vorschieben. Allerdings sei dies nur dann rechtlich möglich, so die ČEPS-Sprecherin Zuzana Dvořáková, wenn die Stromleitungen eben an jenem Grenzübergang in Gefahr sind. Dies sei bei früheren Überbelastungen allerdings nie der Fall gewesen. „In kritischem Zustand befinden sich in einem solchen Fall eher die Leitungen im Landesinneren“, erklärt Dvořáková.

Die Hüter des tschechischen Stromnetzes waren im vergangenen Jahr mehrfach in Alarmbereitschaft. „Falls in einem solchen Moment etwa eine Komponente versagt, kann das bis zum flächendeckenden Stromausfall, einem Blackout, führen.“

Streit um Energiewandel
Das Problem des schwankenden Stromflusses ist dabei in erster Linie ein deutsches. Die Antwort auf den Ausfall von Energiequellen durch den Atomausstieg bis 2022 sucht die Bundesregierung vor allem in erneuerbaren Energien. Im Jahr 2020, so das Ziel von Umweltminister Peter Altmaier (CDU), sollen Wind, Wasser, Sonne und Biomasse 40 Prozent des Strombedarfs decken. Ein Sechstel der bundesweit benötigten Energie soll aus den Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee kommen.

Allerdings wird die Energie nicht so sehr an der Küste benötigt, sondern vor allem in den Industrieanlagen und Ballungsräumen in Baden-Württemberg und Bayern. Die Leitungen indes, die Hochspannung von Nord nach Süd transportieren sollen, sind veraltet.

Bayern glaubt inzwischen nicht mehr an den Energieregen von hoher See. „Wir wollen rechnerisch die in Bayern benötigte Energie auch bei uns im Freistaat produzieren“, so der sogenannte Bayern-Plan von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Auch andere Länder erwägen bereits den Alleingang. Ministerien streiten sich um Kompetenzen, Schwarz-Gelb um die Subventionen und um die richtige Mixtur für den Energiecocktail ohne nukleare Ingredienzien.

Schreckensszenarien
Zudem erheben immer mehr Bürger ihre Stimmen. Um den Offshore-Strom nach Süden transportieren zu können, sollen neue Hochspannungsleitungen im Wert von 20 bis 37 Milliarden Euro entstehen. Nur will niemand, dass diese gerade die Landschaft vor seiner Haustür verschandeln. Allein gegen die 200 Kilometer lange Trasse aus Braunschweig ins hessische Mecklar haben sich 20 Bürgerinitiativen formiert.

Peter Gosslar leitet eine davon. „Unser Ziel ist die unterirdische Verlegung der neuen und alten bereits vorhandenen 380-KV-Höchstspannungsfreileitung, um die Gefahren durch Elektrosmog zu verhindern“, erklärt der Vorsitzende des Vereins „Pro Erdkabel“. Ähnliche Initiativen sprießen in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden. Gemein ist ihnen die Angst vor der Zerstörung von Landschaften und Wäldern sowie die Sorge um die Gesundheit der Anwohner. Das Gegenargument von Bund, Ländern und Stromunternehmen: Die Übertragung in Erdkabeln ist doppelt bis fünfmal so teuer wie die durch Freileitungen. Wechselstrom muss in Gleichstrom umgewandelt, die Leitungen in Betonröhren geführt werden, die Führung von Höchstspannung unter der Erde nicht praxisreif. Die Diskussionen und Proteste werden also weitergehen. Für den Bau von 4.000 Kilometern neuer Hochspannungsleitungen, die durch den Energiewandel nötig werden, ist dies eine ernsthafte Bedrohung.

Bis die Streitigkeiten in Deutschland beigelegt sind, muss der überschüssige Strom auf dem Weg nach Süddeutschland und Österreich also weiter über die tschechischen Netze geleitet werden. Die hiesigen Medien malen Schreckensszenarien: Blackout, Chaos, Schäden in Milliardenhöhe. Das Ministerium für Industrie und Handel ließ bereits eine Studie ausarbeiten, nach der ein zweiwöchiger Stromausfall in drei Regionen einen Ausfall von bis zu 22 Milliarden Kronen (rund 870 Millionen Euro) bedeuten würde.

Gemeinsame Problemlösung
Glaubt man dem Chef der Deutschen Energie-Agentur Stephan Kohler, dann ist das vor allem Panikmache und Druckmittel. Es gäbe längst eine Kommunikation, die die gefürchteten Stromausfälle verhindert. „Wenn in Tschechien so etwas droht, rufen die Netzbetreuer ihre Kollegen beim für Nord- und Ostdeutschland zuständigen Betreiber 50Hertz an und dann wird das Problem gemeinsam gelöst“, gibt Kohler Entwarnung. Tschechien profitiere gar von der deutschen Überproduktion. „Wenn wir mehr Strom produzieren als wir brauchen, bieten wir unser Produkt zum Nulltarif an oder bezahlen sogar für dessen Abnahme“, so der Leiter des Kompetenzzentrums.

Der geplante Phasenschieber, erklärt Zuzana Dvořáková von ČEPS, funktioniert wie ein Wasserhahn. Wenn man auf tschechischer Seite zudrehe, dann werde der Strom zurückgestaut und auf die übrigen Netze verteilt. Ein deutscher Blackout droht deshalb aber nicht, meint Kohler. Bei der Überbelastung schalten Betreiber ihre Kraftwerke ab. Eine Möglichkeit, die auch den tschechischen Betreibern zur Verfügung steht.