Mit links nach rechts

Mit links nach rechts

Am 5. März wählen die Slowaken ihr Parlament. Die Sozialdemokraten von Premier Robert Fico haben die besten Aussichten

24. 2. 2016 - Text: Vinzenz GreinerText: Vinzenz Greiner; Foto: Úřad vlády ČR

Die Flüchtlinge legten den Schalter um auf Wahlkampf. Im April vergangenen Jahres erklärten die in der Slowakei mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten (SMER-SD), keine Muslime aufnehmen zu wollen. Aus der zuvor angekündigten Zusammenarbeit im Rahmen der EU wurde im Laufe des Sommers eine Anti-Haltung. Eine slowakische Klage gegen die Quote, wonach die Slowakei etwa 1.500 Flüchtlinge aufnehmen muss, liegt beim Europäischen Gerichtshof.

„Wir werden Quoten nicht respektieren. Niemand kann die souveräne Slowakei durch irgendein Diktat zwingen“, sagte Robert Fico, Chef der SMER-SD und der Regierung. Damit hatte er das Thema für die Parlamentswahlen am 5. März gesetzt. Die Oppositionsparteien hätten zwar versucht, beispielsweise Korruption zu thematisieren, „aber Fico hat sie in die Diskussion über Migration gezwungen“, erklärt Grigorij Mesežnikov, Politologe und Chef des Thinktanks „Institut für öffentliche Angelegenheiten“ (IVO).

Es ist der Kampfplatz, auf dem Fico zu gewinnen gewohnt ist. Muslime seien „einfach nicht fähig, sich natürlich zu integrieren“, verkündete er jüngst. An Paris und Brüssel sehe man, wohin muslimische Zuwanderung führe. Dem haben die rechtsbürgerlichen Parteien wenig entgegenzusetzen, da sie – bis auf die Minderheitenpartei Most-Híd (Brücke) – auch einwanderungsskeptisch sind. Allein sie sind gegen die trotzige Haltung der SMER-SD gegenüber der EU.

Ficos geschickte Umdeutung der Einwanderungspolitik zu seinem Kampf gegen Überfremdung und die Brüsseler Diktatoren hat auch einen Nebeneffekt: Die Slowakische Nationalpartei (SNS) befindet sich im Aufwind. Scheiterten die Rechtsradikalen 2012 noch an der Fünf-Prozent-Hürde, liegen sie laut aktuellen Prognosen bei etwa zehn Prozent und damit auf dem dritten Platz.

Für Ficos Sozialdemokraten ist das von Nutzen. Denn sie werden laut Mesežnikov zwar die meisten Stimmen gewinnen, ihre absolute Mehrheit jedoch nicht verteidigen können und daher einen Koalitionspartner brauchen. Der Wunschkandidat ist die rechtsradikale SNS. Die SMER-SD lehnt nämlich im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien eine Koalition mit den Nationalisten nicht ab, hatte sogar schon einmal gemeinsam mit ihnen eine Regierung gebildet. Das ist möglich, da laut Mesežnikov die SMER-SD zwar eine linke Stammwählerschaft habe, „aber nicht links ist“. Beide Parteien sind fremdenfeindlich und definieren den Staatsbürger als ethnischen Slowaken. Zudem teilen sie die Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft und befürworten einen starken Staat.

Zerfasertes Spektrum
Ficos Kalkül scheint aufzugehen: Mit der SNS könnte der Premier auf eine knappe Mehrheit von zwei Sitzen kommen. Die Zustimmung für SMER-SD stieg bis Jahresende auf fast 39 Prozent. Das sind zwar nicht die gut 44 Prozent, mit denen sich der Sozialdemokrat bei den letzten Wahlen 2012 die absolute Mehrheit holte, aber immerhin mehr als drei Mal so viel wie die laut Umfragen zweitstärkste Partei Siet’ (Netz).

Dafür, dass sie sich erst vor zwei Jahren gegründet hat, steht die bürgerliche Partei Siet’ anderthalb Wochen vor den Wahlen ausgesprochen gut da: Sie liegt laut Umfragen zwischen 10,4 und 14,5 Prozent. Die Partei will keinen starken, sondern einen „guten Staat“ und wirbt mit Steuererleichterungen für Familien. Sie ist in der Slowakei die stärkste Manifestation der neuen ostmitteleuropäischen Bürgerlichkeit, die sich in Tschechien in den vergangenen Jahren in Form von Parteien wie Öffentliche Angelegenheiten (VV), TOP 09 oder ANO zur Wahl stellte.

In der Slowakei jedoch zerfasert das Spektrum. Zehn Parteien aus dem bürgerlich-liberalen und konservativen Milieu buhlen um die Gunst der Wähler: Sme Rodina (Wir sind eine Familie) will eine familienfreundlichere Politik. Šanca (Chance) möchte die Slowakei als offenes, europäisches Land positionieren. Die Protestpartei OĽaNO (Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten) hat sich mit NOVA (Die Neue) zusammengetan, um die „verbrecherischen Politiker“ zu ersetzen und zu gewährleisten, dass Menschen Gesetzte machen, „nicht Puppen in den Händen der Finanzindustrie“.

Zu den Mitte-rechts-Parteien zählen auch die Minderheitenparteien Most-Híd und SMK-MKP (Partei der ungarischen Koalition). Bei allen Unterschieden teilen diese Parteien die Ansicht, die Wirtschaft müsse mehr Freiheiten haben und der Staat schlanker werden. Damit fischen sie im selben Gewässer nach Stimmen. Ein gefährliches Unterfangen: Die libertäre SAS (Solidarität und Freiheit) kratzt an der Fünf-Prozent-Hürde. Ähnlich müssen auch die SMK-MKP und Sme Rodina zittern. Je nach Umfrage haben die konservative KDH (Christlich-demokratische Bewegung), Most-Híd und OĽaNO-NOVA auch kein komfortables Polster.

Laut Mesežnikov könnte es zu einer breiten bürgerlichen Vielparteienregierung reichen. Die stünde aber auf wackligen Beinen: Die SAS hat bewiesen, dass sie im Zweifel Prinzipien vor Macht stellt. Mit ihrem Nein zum Euro-Rettungsschirm 2011 brachte die Partei die bisher einzige bürgerliche Regierung zu Fall und erschütterte damit das rechte Lager. Die damals größte der Regierungsparteien, die Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKÚ-DS), „existiert heute faktisch nicht mehr“, sagt Mesežnikov.

Lehrer streiken
Und auch ein paar Personalien stehen einer bürgerlichen Regierung im Weg. Die ungarischen Parteien sind untereinander verfeindet. Siet’ rekrutiert ihre Kader nicht nur aus erfahrenen Lokalpolitikern: Der Gründer und Vorsitzende Radoslav Procházka war für seine kompromisslosen Alleingänge als KDH-Abgeordneter bekannt, bis er die Partei verließ. Seine rechte Hand Andrej Hrnčiar war vor der Siet’-Gründung von der SMK-MKP unterstützt worden.

Für Fico wäre ein etwaiger bürgerlicher Schulterschluss ein Test, meint Mesežnikov. 2010 hatte er zwar am meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen geholt, konnte aber keine Regierung bilden. Vier Jahre später war Fico in den ersten direkten Präsidenschaftswahlen seinem liberalen Konkurrenten Andrej Kiska unterlegen. Eine erneute Niederlage gegen die Bürgerlichen kann und will sich der amtierende Regierungschef nicht leisten. Deshalb versuchen die Sozialdemokraten, ihre Hauptkonkurrentin Siet’ vorzuführen. „Ihr einziger Programmpunkt ist es, aggressiv die Illusion aufzubauen, alle außer ihnen seien schlecht“, sagt der sozialdemokratische Kulturminister Marek Maďarič über den derzeit stärksten Gegner.

In seinem Zuständigkeitsbereich trägt sich gerade etwas zu, was den Sozialdemokraten auf den letzten Metern einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Seit Wochen streiken Tausende Lehrer für bessere Gehälter. Auch das Gesundheitswesen hat sich anstecken lassen: Krankenpfleger haben Protestaktionen gestartet. Die Streiks hätten die gesamte öffentliche Debatte verändert und das Thema Zuwanderung ein Stückweit verdrängt, erklärt Mesežnikov. „Für Fico ist das unangenehm. Er kann nicht erklären, weshalb es so große Probleme bei Bildung und Gesundheit gibt, wo er doch so lange regiert.“

Egal wie die Wahl ausgeht, für die Slowakei gibt es nur eine Richtung: rechts. Denn mit den bürgerlichen Parteien gäbe es eine Mitte-rechts-Koalition. Mit links ginge es noch weiter nach rechts.