Mit Kunst gegen das Vergessen

Mit Kunst gegen das Vergessen

Mit dem Land-Art-Festival will Petr Mikšíček auf die Geschichte sudetendeutscher Orte aufmerksam machen

6. 8. 2014 - Text: Maria Sileny

In unberührter Natur des Erzgebirges, nahe des Keilberges (Klínovec) stehen sechs Häuser-Ruinen. Vom 15. bis 17. August kommt Leben in das ehemalige sudetendeutsche Dorf Königsmühle. Bereits zum dritten Mal findet dort ein Land-Art-Festival statt. Initiator ist der Prager Kulturologe Petr Mikšíček (36). Mit der PZ spricht er über seine Leidenschaft für diesen Ort und darüber, dass er einen neuen Trend sieht: die vergessene Geschichte sudetendeutscher Siedlungen mittels Kunst wiederzubeleben.

Sie haben ein Land-Art-Festival in den Ruinen des ehemaligen sudetendeutschen Ortes Königsmühle ins Leben gerufen. Was hat Sie dazu bewogen?

Petr Mikšíček: Im Jahr 2000 habe ich die Tschechische Republik entlang ihrer Grenzen allein zu Fuß umrundet. Damals habe ich im Erzgebirge, in der verlassenen Landschaft der Sudeten, den Ort Königsmühle entdeckt, dessen sechs Häuser noch alle als Ruinen vorhanden sind. Auch Reste der ehemaligen Mühle sind dort zu finden: ein Weiher und ein Mühlgraben. Das ist einzigartig in Tschechien, wo fast alle der 3.000 untergegangenen sudetendeutschen Orte und Ortsteile komplett zerstört sind. Königsmühle blieb erhalten. Zudem liegt die ehemalige Siedlung in einer offenen, gut zugänglichen Landschaft. Ich habe diesen Ort lieb gewonnen und will ihn mit anderen Menschen teilen, ihnen zeigen, worin die Kraft des tschechisch-deutschen Grenzgebietes liegt.

Worin liegt diese Kraft?

Mikšíček: Ehemals belebte Orte, die in unberührter Landschaft liegen, strahlen eine besondere Energie aus. Das flache Tal von Königsmühle zum Beispiel ist zwischen Bergwiesen und einem Wald gelegen. Mitten auf einer feuchten Wiese, durch die sich ein Bach schlängelt, stehen die Ruinen. Es ist keine Zivilisation vorhanden, nichts weist auf ein bestimmtes Zeitalter hin oder darauf, auf welcher Seite der Grenze man sich befindet. Besucher, Tschechen und Deutsche, erleben dort eine Art Zeitlosigkeit, sie vergessen die Welt um sich herum und leben in dem Moment nur dort. Der Ort selbst gibt mir und meinen Mitstreitern Kraft, jährlich im Sommer das Festival zu organisieren, was durchaus viel Mühe macht.

Das Festival findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Wie wird es ablaufen?

Mikšíček: Das Programm wird ähnlich ablaufen wie in den vorigen zwei Jahren. Es kommen Künstler aus Tschechien, Deutschland, Polen und der Slowakei. Bildhauer, Musiker, Dichter, Maler, Schauspieler werden sich beteiligen. Besucher können einen Film und ein Theaterstück erleben. Es gibt Bier und vegetarische Küche. Dem kulturellen Programm am Wochenende schließen sich dreitägige Arbeiten am Gemäuer an. Freiwillige sind eingeladen zu helfen, die Ruinen von Königsmühle zu festigen und sie vor dem Zerfall zu bewahren. Neu ist die Ausdehnung des Festivals auf den ebenfalls untergegangenen Ort Popov – ehemals Pfaffengrün–, der auf der anderen Seite des Klínovec liegt. Dort ist die Ruine einer Kapelle erhalten. Erst kürzlich hat sich in Tschechien eine Bürgerinitiative gegründet, die diesen Ort wiederbeleben will.

Gibt es noch andere ähnliche Projekte?

Mikšíček: Nächstes Jahr wird Pilsen Kulturhauptstadt Europas. Zu diesem Anlass soll unter anderem die ehemalige sudetendeutsche Siedlung Wischkowitz (Výškovice) in der Region wiederbelebt werden. Teams von Landschaftsarchitekten aus ganz Europa arbeiten derzeit an geeigneten Vorschlägen. In diesem Sommer hat der von mir gegründete Verein „DoKrajin“ (zu Deutsch: „In die Landschaften“) einen Erfahrungsaustausch auch mit dieser Initiative gestartet.

Kann man von einem Trend sprechen?

Mikšíček: Derzeit scheinen sich verstärkt Initiativen zu bilden, die vergessenen Dörfern im tschechisch-deutschen Grenzgebiet zu einer neuen Existenz verhelfen wollen. Es geht nicht etwa darum, die Orte neu zu besiedeln. Sondern Lokalpatrioten, Historiker und Künstler schließen sich zusammen, um mittels Kunst den ehemaligen Siedlungen ein neues, geistiges Leben einzuhauchen. Mehr als 60 Jahre sind es her, als aus den sudetendeutschen Orten die Bevölkerung ausgesiedelt wurde. Niemand kam nach, um ihre Geschichte fortzuschreiben. Es fehlen Fakten, Daten, Chroniken. An Orten wie diesen ist das Potenzial der Kunst gefragt. Kunstwerke, die in der Landschaft stehen, zeigen symbolisch, was sie heute den Menschen bedeutet. In Königsmühle, Popov, Výškovice wird die Geschichte auf diese Art fortgeschrieben. Ich finde das richtig. Menschen kommen mit Demut dorthin. Keiner will dort ein Denkmal der Vertreibung aufbauen oder ein Denkmal des Tschechentums. Tschechen und Deutsche kommen in Freundschaft und helfen uneigennützig, die Schönheit des Ortes zu erhalten und ihm einen künstlerischen Wert zu verleihen. So entstehen Gedenkstätten, die offen sind für alle, die sie mitgestalten wollen.

Die Fragen stellte Maria Sileny.

Mehr Informationen im Internet unter www.konigsmuhle.cz/de