Mit Kinderbaukasten zum Welterfolg

Vor 100 Jahren wurde Otto Wichterle geboren. Eine Hommage auf den Chemiker und Erfinder

17. 10. 2013 - Text: Sabina PoláčekText: Sabine Poláček; Foto: Masarykův ústav a Archiv AV ČR, Jiří Plechatý

Otto Wichterle regte nicht nur das „Manifest der 2.000 Worte“ an, sondern gilt auch als Erfinder der weichen Kontaktlinsen. Eine Hommage auf einen außergewöhnlichen Mann, der am 27. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre und dem in Tschechien derzeit zwei Ausstellungen gewidmet sind.

Die ersten weichen Kontaktlinsen sind in einer heimischen Küche entstanden. Einen Tag vor Heiligabend 1961 stellte der tschechische Chemiker Otto Wichterle in seiner Wohnung mit Hilfe des Kinderbaukastens „Merkur“, eines Dynamo-Fahrradkabels und anderem Zubehör eine Apparatur zur Herstellung von weichen Kontaktlinsen zusammen. Mit dem so genannten Schleudergussverfahren goss er unter Rotation sein 1953 patentiertes weiches Polymer, das sogenannte Hydrogel, in mehrere kleine Förmchen. Nachdem die Patienten einer Prager Augenklinik die weichen Linsen gut vertragen hatten, begann – mangels Finanzierung durch ein Forschungsinstitut – die improvisierte Herstellung am Küchentisch. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Linda produzierte er unentwegt seine neue Erfindung – in einer Woche mehrere Hundert Stück. In den ersten vier Monaten konnten so 5.500 Exemplare angefertigt werden, wie Wichterle in seiner 1992 erschienenen Autobiographie „Vzpomínky“ („Erinnerungen“) schreibt.

Am 27. Oktober wäre der im In- und Ausland anerkannte Forscher hundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass veranstaltet das Prager Masaryk-Institut zusammen mit dem Institut für Makromolekulare Chemie die Ausstellung „Otto Wichterle in Archivdokumenten“.  Im Foyer der Tschechischen Akademie der Wissenschaften werden Muster der ersten Hydrogel-Kontaktlinsen, Fotografien, Wichterles Labor-Tagebuch und Briefe präsentiert. „Wir wollen Otto Wichterle nicht nur als den genialen Erfinder zeigen, sondern auch auf seine bedeutende Rolle hinweisen, die er damals als Pädagoge, Reformer und politischer Aktivist während des Prager Frühlings spielte“, betont Tomáš Pavlíček, einer der insgesamt drei Kuratoren. Seine selbst gebastelte Apparatur zur Linsenherstellung ist übrigens nicht Bestandteil der Ausstellung, sondern im Prager Technischen Nationalmuseum (Národní technické muzeum) untergebracht.

Proteste mit Folgen
Otto Wichterle, der 1913 im mährischen Prostějov (Proßnitz) geboren wurde, studierte am Prager Institut für chemische Technologie und wirkte eine Zeit lang als Wissenschaftler in der Forschungsabteilung der Baťa-Werke in Zlín. Als kritischer Zeitzeuge scheute er nie, seine Meinung öffentlich kundzutun, sei es während der Zeit des Protektorats oder des sozialistischen Regimes. Aufgrund seiner im Prager Gemeindehaus (Obecní dům) geäußerten Kritik am Bildungssystem musste er 1958 seinen Posten als Dekan des Instituts für chemische Technologie räumen. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein: Mit dem Ziel, in der sozialistischen Tschechoslowakei eine unabhängige Organisation für Wissenschaftler zu gründen, nahm er 1968 aktiv am Prager Frühling teil. Unter anderem initiierte Wichterle das von Schriftsteller Ludvík Vaculík verfasste „Manifest der 2000 Worte“ mit, das er als einer der Ersten unterzeichnete. Das blieb unter den kommunistischen Machthabern nicht ohne Folgen: Der Direktor des Instituts für Makromolekulare Chemie wurde 1970 seines Amtes enthoben; Vortragsreisen und Besuche wissenschaftlicher Kongresse wurden ihm untersagt, der Austausch mit anderen Forschern erschwert.

Erfolg mit Hindernissen
Die weiche Kontaktlinse, die heute bei Operationen des grauen Stars als Ersatzlinse ins Auge implantiert wird, fand erst spät den kommerziellen Durchbruch. Denn lange zweifelten Augenspezialisten aus Europa und den USA an der Erfindung. Wichterle berichtet in seiner Autobiographie, viele Augenärzte betrachteten seine Linsen als „unterhaltsame Kuriosität“. Mit wachsendem medizinischen Interesse an seinem neuen Produkt erhielt der Forscher und Vater von zwei Söhnen im Jahr 1971, also erst zehn Jahre nach der eigentlichen Erfindung, die Genehmigung zum Verkauf in den USA. Nach der Samtenen Revolution erhielt der Chemiker zahlreiche Auszeichnungen, wurde zum Präsidenten der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften und nach seiner Pensionierung zum Ehrenpräsidenten ernannt. Wichterle starb 1998 im Alter von 85 Jahren in Prag.

Aktuelle Ausstellungen

„Otto Wichterle in Archivdokumenten“
bis 31. Oktober, Ausstellung teilweise in englischer Sprache, Foyer der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (AV ČR), Národní 3, Prag 1 (Neustadt), www.cas.cz

„Otto Wichterle – Forscher und Erfinder“
3. bis 10. November, Galerie Vaňkovka, Ve Vaňkovce 1, Brünn, www.galerie-vankovka.cz/de