Markenzeichen: unerschrocken (I)
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Markenzeichen: unerschrocken (I)

Vor 85 Jahren erschien die Berliner „Weltbühne“ im Prager Exil. Bis heute ist sie ein journalistisches Vorbild

8. 8. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Camilo Jimenez

In der Bibliothek von Hostivař, einer Außenstelle der Prager Nationalbibliothek, lagern noch heute zahlreiche Exemplare und Jahrgänge der „Weltbühne“. Grund dafür ist, dass die berühmte Zeitschrift der Weimarer Republik zwischen 1934 und 1938 in der Tschechoslowakei geschrieben und erstellt werden musste. Hier fanden Mitarbeiter und Redakteure – wie die anderer deutscher Zeitungen – einen Zufluchtsort auf Zeit, nachdem sie vor der Nazi-Herrschaft fliehen mussten.

Bis dahin hatte sich die Wochenzeitschrift den Ruf erworben, ein herausragendes Medium ihrer Zeit zu sein – wenn nicht sogar das wichtigste. Die „Weltbühne“ verstand sich als aufklärerisches Forum im besten Sinn, stets auf der Suche nach der Wahrheit, pazifistisch, radikaldemokratisch. Sie analysierte tiefsinnig, schrieb scharfzüngig, scheute keine Konflikte, ließ Themen nicht fallen, auch wenn ihre Macher danach Anklagen und Gerichtsprozesse befürchten mussten. Dafür wurde sie geliebt und gehasst.

Und sie beschäftigte sich gerne mit Themen, die „erheblich versteckt wurden“, sagt Hermann Haarmann, Seniorprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin mit dem Schwerpunkt Exil. Dass die Zeitschrift große Wirkung erzielte, erklärt sich für ihn allein schon durch „die Zensur, die gegen sie ausgeübt wurde.“

Kopf der ersten Schaubühne-Seite

Gegründet wurde sie von Siegfried Jacobsohn im September 1905 zunächst unter dem Namen „Schaubühne“ und als reines Theaterblatt. Von Anfang an galt: „Wohin er schlug, da wuchs kein Gras mehr … es gab Beleidigungsklagen am laufenden Band“, wie Ursula Madrasch-Groschopp in einer Monographie über die Historie der Zeitschrift schreibt.

Neben Jacobsohn blieben die Namen von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky im Gedächtnis, als Blattmacher schufen sie den Ruhm der „Weltbühne“. Großen Anteil daran hatten jedoch auch die besten Autoren jener Jahre, die Mitarbeiterliste liest sich wie ein „Who is Who“ der deutschsprachigen Intellektuellen des vergangenen Jahrhunderts: Erich Kästner, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Christian Morgenstern, Alfred Döblin, Joachim Ringelnatz, Hugo von Hofmannsthal und viele andere.

Kurt Tucholsky (1890-1935) | © Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum

Denn es war durchaus „eine Ehre, in der Weltbühne publizieren zu dürfen“, urteilt Professor Haarmann. An manch namhaften Mitarbeiter kann man sich deshalb nicht mehr erinnern, weil oft Decknamen verwendet wurden, die heute kaum noch zuzuordnen sind. Nicht nur von Tucholsky, der seine Artikel oft mit Ignaz Wrobel, Peter Panter oder Theobald Tiger zeichnete. Sondern etwa auch von dem Prager Hans Natonek, der in der „Weltbühne“ das Pseudonym N.O. Kern nutzte.

Durch sie pflegte die Zeitschrift laut Professor Haarmann einen „fast elitären Journalismus“. Zwar erschien sie nur mit einer Auflage von etwa 15.000 Exemplaren, wurde jedoch von einem intellektuellen Publikum gelesen. Besonders gerne von Literaten und Kaffeehausgängern, für die das Café Adler am Berliner Dönhoffplatz ein beliebter Treffpunkt war. Dort referierten auch Prager: Egon Erwin Kisch las aus seinen Erzählungen, F. C. Weiskopf informierte über Strömungen in der tschechischen Literatur jener Tage.

Es war allerdings eine Leserschaft, die sich „herzlich täuschte in ihrer Wichtigkeit für die Weimarer Republik“, blickt Haarmann zurück, „denn der Januar 1933 belegte, wie wirkungslos im Grund diese Elite war.“ Sie vermutete, dass eine Revolution in Berlin ausbrechen könnte. Tatsächlich kam es dazu in München, mit der Nazi-Bewegung. „Und Hitler wusste, dass er seinen besten Mann, nämlich Goebbels, nach Berlin schicken musste, denn dort saß ein harter intellektueller Kern, der immer die Weltbühne unterm Arm hatte“, erinnert der Berliner Wissenschaftler.

15 Jahre zuvor, im April 1918, wurde die Schau- zur „Weltbühne“. Anschließend schrieb sie (Zeitungs-)Geschichte. Besonders durch den sogenannten „Weltbühne-Prozess“, das wohl spektakulärste Strafverfahren gegen ein Medium und Publizisten während der Weimarer Republik.

Unter der Überschrift „Windiges aus der deutsches Luftfahrt“ berichtete die „Weltbühne“ im März 1929 über den heimlichen Aufbau einer deutschen Luftwaffe, die im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg untersagt worden war. Angeklagt wurde dafür neben dem Autor, dem Schriftsteller Walter Kreiser, auch der verantwortliche Redakteur Carl von Ossietzky – wegen Landesverrats und sogar als angebliche Spione. Urteil im November 1931: jeweils 18 Monate Gefängnis.

Weil Verfahren und Gerichtsspruch auch als Angriff auf die Pressefreiheit ausgelegt wurden, erregte der Prozess großes internationales Aufsehen. Die versteckte Aufrüstung der Reichswehr aufgedeckt zu haben und dafür einen Prozess durchstehen zu müssen, zeigt für Professor Haarmann schon, welch wesentliches Medium sie war. Sein Fazit: Die „Weltbühne“ stand und steht bis heute für den „ersten investigativen Journalismus in Deutschland“.

März 1932: Ossietzky (Mitte) vor seinem Haftantritt in Berlin-Tegel | © Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-861, CC-BY-SA 3.0

Kurt Tucholsky bewertete den Einfluss zu ihrem 25-jährigen Jubiläum anhand des Feedbacks nicht nur von Lesern, sondern auch von anderen Medien. Es gebe „eine Reihe vernünftiger und mutiger Provinzredakteure“, die „nicht ohne eigenes Risiko“ die Bälle der „Weltbühne“ auffangen und weitergeben würden.

Noch während seiner Haftzeit wurde Ossietzky erneut angeklagt, im sogenannten „Soldatenprozess“ im Juli 1931, und ebenfalls als verantwortlicher Herausgeber. Anlass dafür war der später berühmt gewordene Satz „Soldaten sind Mörder“, den Tucholsky in einem Beitrag über ein päpstliches Rundschreiben während des Ersten Weltkrieges verwendet hatte, ohne dafür selbst vor Gericht erscheinen zu müssen.

Ossietzky wurde diesmal frei gesprochen. Bereits sein Eintritt in die „Weltbühne“ hatte sich wegen einer Strafanzeige verzögert, die Außenminister Gustav Stresemann im Jahr 1925 gegen ihn gestellt hatte. Erneut verhaftet wurde Ossietzky im Februar 1933, weil man ihm unterstellte, beim Brand des Reichstages „mitgezündelt“ zu haben. Angesichts ihrer Ziele und Ausrichtung musste die „Weltbühne“ nach der Machtübernahme der Nazis zwangsläufig kapitulieren. 1933 wurde sie verboten.

„Eine verspielte Revolution (…) ist die Niederlage eines Jahrhunderts.“ – Carl von Ossietzky im März 1919

Nach einer ersten Exil-Station in Wien begann im März 1934 in Prag die Geschichte der „Neuen Weltbühne“, wie die Zeitschrift fortan hieß. Allerdings ohne Jacobsohn, der bereits im Dezember 1926 verstorben war, kurz bevor ein Prozess gegen ihn wegen Landesverrats begann. Und auch nicht mehr mit Ossietzky und Tucholsky. Gegen einen Ozean könne man nicht anpfeifen, sagte Tucholsky, angesichts des neuen Regimes solle man besser schweigen. Was er selbst tat.

Stattdessen gab es zunächst einen Kampf um die Anteile an der Nachfolge-Zeitschrift. Deren neuer Chefredakteur wurde in Prag ein Journalist namens Hermann Budzislawski. Er machte 1934, so Ursula Madrasch-Groschopp, „keinen neuen Laden auf“, sondern versuchte, möglichst viele Mitarbeiter von früher für das neue Blatt zu motivieren. Dazu kamen namhafte neue, wie Anna Seghers, Oskar Maria Graf, Johannes R. Becher oder Bertolt Brecht. Um Autoren nicht zu gefährden, wurden Artikel aus und über Deutschland nicht selten einfach nur einem „Illegalen“ oder „Berliner“ Zuträger zugeschrieben. Oder einem „Bakteriologen“ oder „Soldaten“.

Prag – Na příkopě/Am Graben, 1934

Budzislawski sah seine vorrangige Aufgabe laut Madrasch-Groschopp darin, „natürliche Verbündete im Kampf gegen Hitler drinnen und draußen“ zusammenzuführen und „Solidarität von unten“ aufzubauen. Vor allem versuchte er, „einsichtige Sozialdemokraten“ zu gewinnen, fing sich aber von Mitgliedern des Sozialdemokratischen Parteivorstandes (Sopade), der ebenfalls im Prager Exil war, reihenweise Absagen ein. Weder Wels und Ollenhauer noch Stampfer und Scheidemann waren zu einer Zusammenarbeit bereit.

Immerhin diskutierten linke Sozialdemokraten und Kommunisten mehr als ein Jahr lang in der „Neuen Weltbühne“ über ein gemeinsames Vorgehen gegen das Nazi-Regime. Dabei wurden „Annäherungen der beiderseitigen Standpunkte erzielt“, notierte Budzislawski im Januar 1936. Eine „kommende deutsche Revolution“ werde vorbereitet, die Opposition bilde einen „Kern, der Volksfront gegen Hitler sein muss.“

Hermann Budzislawski leitete nach dem Krieg die Fakultät für Journalistik in Leipzig. | © Universitätsarchiv Leipzig, 1958

Dagegen gab es für den Wissenschaftler Hermann Haarmann „starke Tendenzen, die Zeitschrift zwar als liberal zu bezeichnen, während im Hintergrund jedoch die KPD die treibende Kraft war.“ Dafür spreche auch ein Satz von Heinrich Mann, einem langjährigen Mitarbeiter der „Weltbühne“, der gesagt habe, nicht mit jemandem an einem Tisch sitzen zu wollen, der behaupte, der Tisch sei ein See – und derjenige sei Walter Ulbricht gewesen, nach dem Krieg der starke Mann in der neuen DDR.

Budzislawski „machte“ seine Zeitschrift als Ein-Mann-Betrieb, nicht unproblematisch war, deutsche Texte in einer tschechischen Setzerei erstellen zu lassen. Eine Bleibe in Prag fand er mit Hilfe von Kisch zunächst in der Melantrichova 1. Später zog er in ein kleines Haus in der Straße Na Provaznici 2147/14 im Vorort Smíchov, fühlte sich dort jedoch verfolgt und bat um Polizeischutz. Schließlich löste er die Redaktion auf und stellte den Antrag, künftig Herbert Beyer heißen zu dürfen. Während er in Dejvice, Pod Bořislavkou 1736/38 (heute: Zavadilova), wohnte, hatte die „Neue Weltbühne“ lediglich noch eine Postfachadresse.

Markenzeichen: unerschrocken (Teil 2)

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