Maria und Josef in Böhmen

Maria und Josef in Böhmen

Otfried Preußlers „Flucht nach Ägypten“ ist als Hörbuch erschienen

19. 12. 2013 - Text: Isabelle DanielText: Isabelle Daniel

 

Als Otfried Preußler im Februar dieses Jahres starb, wurde er in den Nachrufen vor allem als großer Kinderbuchautor gewürdigt. Preußler schrieb jedoch auch für Erwachsene. Sein 1978 entstandener Roman „Flucht nach Ägypten“ ist eine klassische, auf dem gleichnamigen Ereignis im Matthäus-Evangelium beruhende Abenteuergeschichte. Doch besteht die Stärke des Romans nicht nur in den fantastischen Charakteren und dem Spannungsbogen, der es mit Preußlers besten Kinderbüchern aufnehmen kann. „Die Flucht nach Ägypten“ hat auch eine starke autobiographische Färbung. Denn Preußler verlegt die Weihnachtsgeschichte ins Königreich Böhmen und damit auch in jene Region rund um Reichenberg/Liberec, in der er 1923 geboren wurde und seine Kindheit verbrachte. So lautet der Untertitel des jetzt beim Lohrbär-Verlag erschienenen Hörbuchs auch „Königlich böhmischer Teil“.

„Quer durch den nördlichen Teil des Landes, bei Schluckenau etwa herein in das böhmische Niederland, dann nicht ganz bis zum Jeschken hinum, dann weiter im Vorland des Iser- und Riesengebirges, durch vorwiegend ärmliche, meist von Glasmachern, Leinewebern und kleinen Häuselleuten bevölkerte Gegenden bis in die Nähe von Trautenau – und zuletzt auf der Alten Zollstraße über Schatzlar hinaus ins Schlesische, wo es dann nach Ägypten hinüber nicht allzu weit mehr gewesen ist“: Über diese Route schickt Preußler seine Figuren – darunter zahlreiche alte Bekannte. Denn bei Preußler verschwimmen nicht nur die geographischen Grenzen, sondern auch die zeitlichen. Maria, Josef und ihr „Jesulein“, mit dem sie sich, analog zur biblischen Geschichte, auf der Flucht des mit einer „pechschwarzen Seele“ ausgestatteten König Herodes befinden, begegnen im Handlungsverlauf allerlei böhmischen Landesheiligen und historischen Größen.

Der eifersüchtige König, Seine Majestät Herodes, bittet seinen österreichisch-ungarischen Kollegen Kaiser Franz Joseph also um Amtshilfe, um „den in Begleitung seiner Familie auf der Flucht nach Ägypten befindlichen Zimmermann Josef aus Nazareth, im Falle er königlich böhmisches Territorium überqueren sollte, samt Weib und vor allem Kind ohne Nachsicht“ aufzugreifen und festzunehmen.

Es beginnt ein von spitzen ironischen Seitenhieben auf die einstige Donaumonarchie keifender Delegationsprozess, an dessen unterem Ende das Pendant zum biblischen Pontius Pilatus steht, der hier durch den k.u.k.-Gendarmeriepostenkommandanten Leopold Hawlitschek verkörpert wird. Es ist ein Genuss, von der – hier zwar fiktiven, aber keineswegs unvorstellbaren – habsburgischen Bürokratophilie zu lesen. Davon zu hören aber vollendet erst den Witz, weil sich in der gesprochenen Sprache die Skurrilität in ihrer Gesamtheit entfaltet.

Trotz der brillanten satirischen Elemente ist Preußlers „Flucht nach Ägypten“ vor allem eine schöne Komödie, die ein wenig Abwechslung in die typische Liste an Weihnachtsliteratur bringen kann. Wie schon in seinem herausragendsten Werk „Krabat“ zeichnet Preußler ein landschaftliches Panorama seiner Heimat und einen Kenntnisreichtum an Legenden und historischen Hintergründen, die auch eine wiederholte Lektüre lohnenswert machen.

Dass Preußler auch eigene Kindheitserfahrungen in dem Roman verarbeitete, ist dabei ein persönlicher Aspekt, den der Autor seinen erwachsenen Lesern vorbehalten hat.

Otfried Preußler: Die Flucht nach Ägypten. Königlich-böhmischer Teil. Gelesen von Bernhard Setzwein, Lohrbär-Verlag 2013, 5 Audio-CDs, 384 Minuten, 19,90 EUR, ISBN 978-3-939529-12-5