„Man darf nicht vergessen, aber man muss verzeihen“

„Man darf nicht vergessen, aber man muss verzeihen“

Tomáš Kostas Biographie „Vier Viertel Leben“ ist in deutscher Übersetzung erschienen

10. 7. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Frierdrich Goedeking; Foto: Gynter Mödder

 

„Mit 20 Jahren wurde ich Kommunist. Jetzt, als alter Mann, will ich zur Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen beitragen.“ Tomáš Kosta, der heute 89-jährige Verleger, blickt zurück auf sein Leben. Nun ist seine Biographie in deutscher Übersetzung erschienen. Das Buch enthält zahlreiche Interviews, die Vladimír Mlynář, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift „Respekt“ und langjähriger Abgeordneter des tschechischen Parlaments, mit Kosta geführt hat.

Tomáš Kosta kommt 1925 als Sohn einer Prager deutsch-jüdischen Familie zur Welt. Sein Vater Oskar arbeitet in den dreißiger Jahren als Studienrat am deutschen Gymnasium in der Štěpánská-Straße, nebenbei für das „Prager Tagblatt“.

1940 verbieten die National­sozialisten Tomáš Kosta aufgrund seiner jüdischen Abstammung den weiteren Schulbesuch. Er muss eine Kochlehre absolvieren. 1942 wird Kosta verhaftet. Gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Bruder und den Großeltern deportieren ihn die Nazis nach Theresienstadt. Es folgen drei Jahre in Konzentrationslagern. Wie durch ein Wunder überlebt Kosta das Vernichtungslager Auschwitz: Am Ende des Krieges gelingt ihm die Flucht aus einem Todestransport. An Flecktyphus erkrankt, erreicht er 1945 eher tot als lebendig auf dem Dach eines überfüllten Eisenbahnwaggons Prag, wohin sich auch seine Familie retten konnte.

Ebenso wie seine Familie tritt Kosta wenig später der Kommunistischen Partei bei. 1949 wird sein Vater wegen Spionage verhaftet, wenig später auch die Mutter. 1951 kann Tomáš seinen Vater im Gefängnis für ein paar Minuten besuchen. „Es war schrecklich! Vor mir war ein menschliches Wrack, ein gebrochener Mensch. Er trug einen weißen Krankenhauskittel, war abgemagert, weinte bitterlich und bat mich inständig, ihn von hier wegzubringen. Er war völlig am Boden“, erinnert sich Kosta später. Seine Eltern wurden erst 1963 rehabilitiert.

Vladimír Mlynář befragt Kosta hartnäckig, weshalb er so lange gebraucht habe, um das verbrecherische System der Kommunistischen Partei zu durchschauen. „Ich habe versagt“, antwortet Kosta. Er fügt hinzu, dass jüngere Generationen das kaum verstehen könnten. Nicht einmal seine Eltern hätten nach ihrer Haftentlassung einen Austritt aus der Partei in Erwägung gezogen.

Kosta und seine Familie erhofften sich von der Kommunistischen Partei eine neue Gesellschaft, in der Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen. Die Partei war in ihren Augen der Garant dafür, dass sich die Nazi-Diktatur nicht wiederholen würde. England und Frankreich hatten die Tschechoslowakei an Hitler ausgeliefert, während die Rote Armee das Land von der Gewaltherrschaft Hitlerdeutschlands befreite. Die Verhaftung der Eltern hielt Kosta für einen Irrtum, der sich bald aufklären würde. Hinzu kam, dass all seine Freunde und Bekannten Parteimitglieder waren. Er fürchtete die totale gesellschaftliche Isolierung, die ein Parteiaustritt für ihn nach sich gezogen hätte.

Aufgrund der Verurteilung seiner Eltern wurde Kosta ein Studium verwehrt. Als Baggerfahrer und Koch ernährte er seine Familie. Anfang der sechziger Jahre lässt die Kontrolle der Gesellschaft durch die Partei nach und reformerische Kräfte gewinnen an Einfluss. Kosta wird Geschäftsführer des kommunistischen Verlags „Svoboda“.

Sein Glaube an die Reformierbarkeit des Kommunismus erlischt schließlich mit der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts. Kosta flüchtet mit seiner Familie in den Westen – zunächst in die Schweiz, später in die Bundesrepublik. 1969 wird er stellvertretender Direktor des Münchner „Kindler Verlag“ und 1972 übernimmt er die Leitung des gewerkschaftseigenen „Bund-Verlag“ in Köln. Als erfolgreicher Verleger knüpft er Freundschaften mit Willy Brandt sowie mit Günter Grass, Heinrich Böll und einer Reihe weiterer Linksintellektueller. Gemeinsam mit ihnen unterstützt er bis zum Fall des „Eisernen Vorhangs“ tschechoslowakische Oppositionelle. Nach der Wende engagiert er sich für die Versöhnung zwischen Deutschland und Tschechien.

Mit Deutschland, dem Land seiner ehemaligen Todfeinde, hat er sich ausgesöhnt. „Die Deutschen haben mir die Chance gegeben zu zeigen, dass ich noch etwas kann. Meine Rechnung mit ihnen ist somit beglichen“.
Wie geht er um mit der Schuld der Deutschen und deren Vertreibung durch die Tschechen? „Man darf nicht vergessen, aber man muss verzeihen und in die Zukunft sehen. Aber ohne die Bewältigung der Vergangenheit hat eine Nation keine Zukunft.“

Hier sieht er für Tschechien großen Nachholbedarf. Während in Deutschland nach 1968 Linksintellektuelle maßgeblich die Kulturpolitik mitgestaltet haben, vermisst Kosta eine ähnliche Bewegung in der tschechischen Gesellschaft nach 1989. Er diagnostiziert eine „Unfähigkeit der tschechischen Intellektuellen, auf die Gesellschaft und die Politik Einfluss auszuüben“. Bei den jungen Leuten habe sich weitgehend die Lebensphilosophie von Václav Klaus durchgesetzt, frei nach dem Motto: „Hauptsache, es geht uns gut. Wichtig ist, es herrscht eine freie Marktwirtschaft.“ Dabei, so Kosta, blieb aber die Mitgestaltung des öffentlichen Lebens auf der Strecke.

Die mehr als 50 Jahre währende Diktatur von Nazis und Kommunisten habe bis heute Spuren hinterlassen, sodass es vielen Tschechen schwerfalle, sich mutig für demokratische Tugenden einzusetzen und die dunklen Kapitel der Vergangenheit aufzuarbeiten. Heute lebt Kosta in Deutschland und in Tschechien, beide Länder sieht er als seine Heimat an. Unaufhörlich setzt er sich für eine Annäherung beider ein.

Vier Viertel Leben. Die Biographie von Tomáš Kosta, niedergeschrieben von Vladimír Mlynář, hrsg. von Gynter Mödder, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2014, 208 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-944566-23-8