Luft nach oben

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Václav Havel war einst Garant eines besonders guten Verhältnisses zu den USA. Heute ist Tschechien ein Partner unter vielen

18. 11. 2016 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: Nato

„Männer machen Geschichte“, ist ein bekanntes Zitat des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke, das heute als überholt gilt. Vielmehr seien es Interessen oder Strukturen, die als treibende Kräfte wirken. Dass jedoch in bestimmten historischen Situationen die Wirkung und der Einfluss von Personen weiter reichen, als es ihre bloße Funktion nahelegen würde, ist eine immer wiederkehrende Erfahrung. Ganz sicher gilt das für Václav Havel und im Besonderen für seine Rolle als „Zugpferd“ der amerikanisch-tschechischen Beziehungen.

Havel und Amerika – das passte Anfang der neunziger Jahre zusammen. Für die Amerikaner verkörperte Havel eine Facette des amerikanischen Traums: vom verfolgten Staatsfeind zum Bezwinger des Kommunismus und gefeierten Präsidenten. Für Havel waren die USA, wie für viele andere Dissidenten seiner Generation, der wichtigste Repräsentant der westlichen Zivilisation, an dem sie sich kulturell und politisch orientierten. Gegenseitiger Respekt und Bewunderung sowie Havels offensichtliche Fähigkeit, aus politischer Partnerschaft persönliche Freundschaft werden zu lassen, waren die Basis für ein amerikanisch-tschechisches Verhältnis, das weit weniger asymmetrisch war, als man angesichts der Größe Tschechiens erwarten würde.

Vor allem die von Havel verkörperte menschenrechtliche Dimension der tschechischen Außenpolitik wurde in den USA positiv gewürdigt. Hinzu kam, dass mit Madeleine Albright 1997 eine gebürtige Pragerin, die fließend Tschechisch sprach, US-Außenministerin wurde. Sie hatte dann auch maßgeblichen Anteil am insgesamt reibungslosen Nato-Beitritt Tschechiens (gemeinsam mit Polen und Ungarn) im März 1999.

Havels ausgesprochener Pro-Amerikanismus prägte zwar die bilateralen Beziehungen in den neunziger Jahren, war aber nie Abbild der tschechischen Politik insgesamt. Deutlich wurde das, als die Nato 1999 im Kosovo-Konflikt intervenierte und ohne UN-Mandat serbische Stellungen unter Beschuss nahm.

Während Havel die Maßnahme verteidigte und als notwendig bezeichnete, reagierten sowohl Regierungs- als auch Oppositions­politiker reserviert. Der damalige Parlamentspräsident und spätere Havel-Nachfolger Václav Klaus sagte dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević seine Unterstützung zu.

Der Amtsantritt George W. Bushs im Januar 2001 änderte nichts Grundsätzliches. Zwar stand Havel dem Republikaner nicht so nahe wie seinen Vorgängern, aber die vorbehaltlose Unterstützung der USA nach den Anschlägen vom 11. September und die Beteiligung an den folgenden Militäraktionen verfestigten das Image Tschechiens als verlässlicher Partner.

Darauf hatte auch die eher zögerliche Haltung bei der Irak-Invasion 2003 keinen Einfluss. Zwar zählte Tschechien zur „Koa­lition der Willigen“, vorbehaltlos mitgetragen wurde die Invasion allerdings wieder vorrangig von Havel. Klaus bezeichnete das amerikanische Vorgehen als „unangemessen“. Die Bevölkerung stand der Invasion mehrheitlich ablehnend gegenüber.

Spätestens ab 2006 beherrschte das von der Bush-Regierung geplante Rüstungsprojekt eines US-Raketenschildes nicht nur die tschechisch-amerikanischen Beziehungen, sondern auch die innenpolitische Debatte hierzulande. Das Projekt rechnete mit Raketenstützpunkten in Polen und einer Radarstation in Tschechien. Somit wurde die „Radarfrage“ in den letzten Jahren unter Bush zu einem leidenschaftlich diskutierten Thema, das die Prager Politszene spaltete.

Der damalige Premier Mirek Topolánek (ODS) war Befürworter des Projektes, genau wie der von den Grünen nominierte Außenminister Karel Schwarzen­berg; die Sozialdemokraten waren gespalten, aber tendenziell eher dagegen, die Christdemokraten eher dafür. Gegner und Befürworter des Projekts gab es in nahezu jeder Partei. Gleichzeitig formierte sich ein ernst zu nehmender Widerstand in der Gesellschaft, die laut Umfragen mehrheitlich gegen den Radar war. Die entsprechenden Verträge mit den USA wurden nach zähen Diskussionen 2008 unterschrieben, aber nie vom Parlament ratifiziert. Das wurde hinfällig, als im Januar 2009 Barack Obama die Amtsgeschäfte übernahm.

Konnte Tschechien in der Ära Havel/Clinton, aber teilweise auch unter George W. Bush zumindest das Gefühl haben, als Land mit besonderem Interesse wahrgenommen zu werden, galt das für die Ära Obama nicht mehr. Trotz offizieller Verlautbarungen einer „strategischen Bündnispartnerschaft“ war offensichtlich, dass Tschechien für Obama nur ein Partner unter vielen war und die Region nicht mehr im Fokus der US-Außenpolitik stand. Der Rückzug aus dem Raketenschild-Projekt, die „Restart“-Politik gegenüber Russland, aber auch Obamas Wirtschaftspolitik im Zuge der Weltfinanzkrise – die Premier Topolánek als „Weg in die Hölle“ bezeichnete – sorgten deshalb in Tschechien für Argwohn.

Andererseits dürfte in letzter Zeit auch die tschechische Politik das eine oder andere Mal für Stirnrunzeln in Washington gesorgt haben. Das gilt vor allem für die ambivalente Haltung Prags in der Ukraine-Krise und bei der Krim-Annexion sowie für die Kritik an der Sanktionspolitik gegenüber Russland. Im Vergleich dazu wirken die absurd anmutenden Angriffe von Präsident Zeman auf den amerikanischen Botschafter in Prag wie eine Lappalie. Im tschechisch-amerikanischen Verhältnis gibt es künftig jedenfalls Luft nach oben.