„Lieber verwinkelte Pfade als die asphaltierte Straße“

„Lieber verwinkelte Pfade als die asphaltierte Straße“

Roman Z. Novák komponiert für eines der ältesten Kammerensembles der Welt

5. 3. 2014 - Interview: Sabina Poláček

Der Prager Komponist und Dirigent Roman Z. Novák führt ein Leben zwischen zwei Kulturen. Der mehrfache Preisträger bringt zeitgenössische Musik auf die Bühne und leitet Chöre in Tschechien und Deutschland. PZ-Mitarbeiterin Sabine Poláček sprach mit dem 46-Jährigen über seine Werke und die deutsch-tschechische Annäherung auf künstlerischer Ebene.

Herr Novák, Sie komponieren Opern, Messen und Musicals sowie Melodramen nach Gedichten von Bukowski, Orlet, Topol und Kafka. Auch multimediale Kompositionen mit gehörlosen Darstellern gehören zu Ihrem Repertoire. Was können sich Zuschauer darunter vorstellen?

Roman Z. Novák: Das ist eigentlich nichts Neues. Als ich 1997 in Prag begann, Gehörlose in meine Musikprojekte einzubeziehen, stellte ich fest, dass es in Deutschland bereits Komponisten gab, die das schon seit Jahren machten. Die Gebärdensprache mit ihren ausdrucksvollen Handbewegungen kann sehr poetisch sein. Die Musik bildet bei mir die Grundlage. Die gesprochenen Textfragmente werden in die Gebärdensprache umgesetzt. Deren Bewegungen inspirieren dann wiederum den zeitgenössischen Tanz. So schließt sich der Kreis.

Sie bezeichnen sich als „selbstbestimmt und abseits des Mainstreams“. Was ist an Ihrem Lebensweg so anders oder ungewöhnlich?

Novák: Wenn ich zurückschaue, erscheint mir alles logisch, aber vieles geschah durch Zufall oder Schicksal. Zum Beispiel wie ich zur Musik gekommen bin. Oder dass meine Eltern mit mir 1977 aus Tschechien emigrierten. Oder die Tatsache, dass ich in Deutschland und später wieder in Prag lebte. Ich finde es spannender, verwinkelte Pfade zu gehen als die asphaltierte Straße.

Zum 90. Bestehen eines der ältesten tschechischen Kammerensembles „České Noneto“ – „Tschechisches Nonett“ – werden Sie am 25. März Ihr aktueller Stück bei den Smetana-Tagen in Pilsen uraufführen…

Novák: Der Fagottist des Nonetts ist in München auf mich zugekommen und fragte, ob ich etwas für diesen Anlass komponieren möchte. Das Ensemble spielt auf hohem Niveau. Ich habe deshalb versucht, etwas mit dem entsprechenden Schwierigkeitsgrad zu komponieren und neue Klangfarben zu finden. Allein dadurch wird sich die Komposition von den klassischen abheben.

Alle zwei, drei Wochen besuchen Sie Prag, leiten dort den traditionsreichen Chor „Hlahol“ und widmen sich anderen musikalischen Projekten in Tschechien und Deutschland. Spielt Nationalität in der Musik eine Rolle?

Novák: Bei mir nicht. Ich weiß selbst nicht, wo ich hingehöre. Ich bin mein halbes Leben in Deutschland aufgewachsen, die andere Hälfte habe ich in Tschechien verbracht. Für mich ist schwierig zu sagen, wo ich mich zuhause fühle.

Der im Februar verstorbene Dirigent und ehemalige Leiter der Tschechischen Philharmonie Gerd Albrecht dagegen ist an seiner deutschen Nationalität gescheitert…

Novák: In der künstlerischen Szene sollten eigentlich nur die künstlerischen Fähigkeiten zählen. Es kommt natürlich auch darauf an, wie man seine Vorhaben der anderen Seite vermittelt. Deutschland wird von tschechischer Seite oft ein bisschen mit Neid beäugt, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg so weit vorangekommen ist. Es gibt noch zu viele Vorurteile.

Sollten in Tschechien im Sinne der gegenseitigen Verständigung Kooperationen deutsch-tschechischer Musiker und Komponisten verstärkt gefördert werden?

Novák: Es würde beiden Seiten guttun, sich auf dem zeitgenössischen Sektor mehr auszutauschen. Die tschechische Seite neigt dazu, etwas zu konservativ zu sein, die deutsche wiederum ist sehr progressiv. Um eine gegenseitige Annährung auf der künstlerischen Ebene zu vollziehen, müsste es eine mehrjährige Initiative geben.

Im Rahmen Ihrer Musikprojekte wurden Sie vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützt und erhielten zahlreiche Förderpreise. Wie steht es um die Förderbedingungen in beiden Ländern?

Novák: In Deutschland ist es für Musiker einfacher an Fördergelder heranzukommen, weil alles transparenter abläuft als in Tschechien und jeder die gleichen Chancen hat. In Prag kommt es immer darauf an, welche Leute in der Jury sitzen. Zu Zeiten des ehemaligen Prager Oberbürgermeisters Pavel Bém schien mir vieles vorab abgesprochen zu sein. Der eine kennt den, der andere jenen – das ist typisch tschechisch.

Hat sich die Situation gebessert?

Novák: Ich denke, eine Verbesserung findet allmählich statt. Allerdings hängt es nach wie vor sehr von der Zusammensetzung der Gremien ab. Ein großes Gewicht hat der Ratsherr für Kultur im Prager Magistrat. Dieses Amt wurde in der Vergangenheit für Günstlingswirtschaft missbraucht. Zurzeit finde ich die Situation transparenter, aber der Weg ist noch lang. In der Musik sind die Bedingungen immer schwierig.

Inwiefern?

Novák: In der heutigen Gesellschaft wird Visuelles bevorzugt. Tänzer und bildende Künstler haben es aus meiner Sicht einfacher, da sie publikumsnäher sind. Zeitgenössische Klassik dagegen ist abstrakt und oft atonal. Wer sich um eine Förderung bemüht, für den ist es schwierig, seine eigene Musik in Worte zu fassen. Denn sie ist nicht greifbar.

Im Mai planen Sie die Uraufführung eines Oratoriums in Dachau zum Thema Nationalsozialismus und Vertreibung der Sudetendeutschen. Warum liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?

Novák: Das Thema ist eher „die Gesellschaft und ihre Haltung“ in den entsprechenden Zeitabschnitten. Seit Jahren suche ich nach Themen, die meine beiden Wohnsitze – die Umgebung von Dachau und Prag – verbinden und mit denen ich auf meine Art zum kulturellen Verständnis beitragen kann. Die Problematik „Sudetendeutschland“ zum Beispiel wird in Tschechien nur am Rande diskutiert. Mit dieser Komposition will ich den Fokus auf die Lethargie der Gesellschaft – sowohl in der Nazi-Zeit in Dachau, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg in den Sudetengebieten – richten.

Zur Person
Roman Z. Novák kam 1967 in Prag zur Welt. Im Alter von zehn Jahren emigrierte er mit seinen Eltern nach Stuttgart. Seine musikalische Ausbildung begann mit Klavier-, Gitarren- und Posaunenunterricht. Eine nicht-künstlerische Berufsausbildung schloss Novák als Bibliothekar ab. Nach der Samtenen Revolution nahm er ein Studium an der Musikakademie in Prag mit dem Hauptfach Komposition auf, das er mit Auszeichnung abschloss. Novák erhielt Dirigierunterricht bei Leoš Svárovský, fungierte als Chorleiter der Kantorei in Prag-Modřany und war Mitbegründer des Ensembles „Artn“. 1995 belegte er beim internationalen Kompositionswettbewerb des „Prager Frühlings“ den zweiten Platz, CD-Aufnahmen folgten. Novák spielte in renommierten Häusern wie dem Ständetheater in Prag, dem Gemeindehaus oder dem Lichtenstein-Palais und wurde mit weiteren Musik- und Förderpreisen geehrt. Seit 2001 ist er Chorleiter des Sängerbundes „Hlahol“. 2007 absolvierte Novák ein pädagogisches Zusatzstudium. Der Musiklehrer, Komponist und Dirigent legte seinen Schwerpunkt auf zeitgenössische Klassik – von Kammermusik, über geistliche Werke, bis hin zu Oper und multimediale Kompositionen mit Tänzern, Sängern, Sprechern und Gehörlosen. Auch Musicals und Melodramen gehören zu seinem Œuvre.

Uraufführungen

„No ne, to je České noneto”, 34. Smetana-Tage in Pilsen, 25. März, 18 Uhr, Galerie der Stadt Pilsen, Eintritt: 100 CZK,
Informationen unter smetanovskedny.cz

„Leidenswege – Lebenspfade“, multimediale Komposition für Soli, Chor, Kammerorchester, Sprecher und Tänzer, 18. Mai, 18 Uhr, Gnadenkirche Dachau, Informationen unter rznovak@web.de