Kommentar: Ungeahnte Ausmaße

Die Bürgerdemokraten können ihre politische Talfahrt beenden – wenn sie richtig handeln

19. 6. 2013 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt

Tschechien erlebte in der vergangenen Woche einen einmaligen Vorgang. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes schreckten Polizei und Staatsanwaltschaft selbst in den höchsten Regierungskreisen nicht davor zurück, den Sumpf der Korruption trockenzulegen. Die Ermittler, die angeblich bereits seit mehreren Monaten den kriminellen Machenschaften auf der Spur sind, haben mit der groß angelegten Razzia im Regierungsamt nicht nur den Politikern des Landes ungeahnte Grenzen aufgezeigt. Die derzeitigen Vorgänge geben auch Anlass zur Hoffnung, dass der korrupte Filz aus Politik und Wirtschaft entwirrt werden kann. Nach unzähligen Bestechungsaffären, die den meisten Tschechen jegliches Vertrauen in die Politik genommen haben, kann der aktuelle Fall einen Wendepunkt markieren.

Die Bürgerdemokraten, die aufgrund ihrer unpopulären Sparpolitik und skandalträchtiger Ministerrücktritte in der Wählergunst ohnehin weit abgerutscht sind, stehen vor einem Scherbenhaufen. Doch für die Partei ist noch nicht alles verloren. Falls sich die ODS nun nicht in internen Positionskämpfen verliert, den richtigen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs präsentiert und Koalitionspartner TOP 09 an ihrer Seite weiß, kann die Partei noch auf Präsident Zeman hoffen. Denn ihm geht es vor allem darum, Macht zu demonstrieren und auszuspielen. Neuwahlen brächten aller Voraussicht nach einen Erdrutschsieg für die Sozialdemokraten, der Einfluss des Staatsoberhaupts ginge merklich zurück.

Falls die Koalition bestehen bliebe, könnte die ODS aus ihrer Krise herausfinden – wie das geht, zeigten die Sozialdemokraten in den Jahren 2005 und 2006. Wegen einer Immobilienaffäre musste der damalige Premier Stanislav Gross zurücktreten, die ČSSD büßte dramatisch an Ansehen ein. Dem nachfolgenden Regierungschef Jiří Paroubek gelang es daraufhin in nur einem Jahr, die auseinandergebrochene Koalition zu erneuern und seine Partei gestärkt in die Parlamentswahlen zu führen. Trotz der vorangegangenen Skandale konnte die ČSSD damals mehr Wählerstimmen gewinnen als vier Jahre zuvor.