Kein Konsens

Kein Konsens

Tschechiens Regierung streitet über Sanktionspolitik gegen Russland

3. 9. 2014 - Text: Ivan DramlitschText: id/čtk; Foto: ČTK/Kateřina Šulová

Die Entscheidung der Europäischen Kommission, angesichts der Zuspitzung der Ukraine-Krise die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen, sorgt in Tschechien für innenpolitischen Streit. Auslöser war ein Fernsehinterview von Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD), in dem er äußerte, dass Tschechien sich das Recht vorbehalte, verschärften Sanktionen nicht zuzustimmen. Eine endgültige Entscheidung hierzu werde die Regierung voraussichtlich am Mittwoch (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) treffen.

Sobotka begründete seine reservierte Haltung mit der angeblichen Wirkungslosigkeit der bisherigen Sanktionen. Darüber hinaus könnten mögliche russische Gegenmaßnahmen Tschechien wirtschaftlich schädigen. „Das hätte Folgen für alle Bewohner der Tschechischen Republik. Als Vorsitzender eines souveränen Staates verteidige ich die Interessen unseres Landes“, so der Regierungschef. Es habe absoluten Vorrang, die „diplomatischen Kanäle zu sichern“.

Die konservative Opposition reagierte auf diese Aussagen mit scharfer Kritik. Der stellvertretende ODS-Vorsitzende Martin Kupka nannte den Fernsehauftritt des Premiers „unerhört“, Sobotka manövriere Tschechien in die Rolle eines „unzuverlässigen Partners in EU und NATO“. Der ehemalige Finanzminister und TOP-09-Vorsitzende Miroslav Kalousek bezeichnete den Standpunkt Sobotkas unter anderem als „äußerst kurzsichtig und feige“. Beide Oppositionsparteien forderten in einer gemeinsamen Presseerklärung eine außerordentliche Sitzung des Abgeordnetenhauses, bei der „die Würde der Tschechischen Republik und ihr Ruf als ein Land, das Freiheit, Demokratie und internationales Recht achtet, verteidigt wird“.

Erinnerung an München
Sobotkas Skepsis gegenüber Sanktionen ruft aber auch seine Koalitionspartner auf den Plan. Pavel Bělobrádek, Vorsitzender der Christdemokraten, bemühte in diesem Zusammenhang nicht als erster den Vergleich mit dem Münchner Abkommen von 1938. „Wir können der Ukraine nicht das Gleiche antun, was man uns in München angetan hat. Die Sanktionen werden auch uns wehtun, aber wenn wir keinen Krieg wollen – und den wollen wir nicht –, bleiben nur harte Sanktionen übrig, auch wenn uns diese wirtschaftlich schaden. Das ist der Preis für Werte und Prinzipien“, so der Vizepremier und Forschungsminister.

Auch vom großen Koalitionspartner ANO und dessen Chef Andrej Babiš erhielt Sobotka nur teilweise Rückendeckung. Zwar teilt Babiš die Ansicht Sobotkas, die bisherigen Strafmaßnahmen hätten nichts gebracht. Auch macht er sich wie der Premier für eine diplomatische Lösung stark. Gleichzeitig schloss er härtere Sanktionen nicht aus. „Wir brauchen Sanktionen, die Wirkung zeigen, die Russland zu einer Lösung und einem Verzicht auf Aggression zwingen“, so der Finanzminister. Auch Babišs Einschätzung, dass die Folgen der Sanktionen auf die tschechische Wirtschaft überschätzt werden, dürfte den Regierungschef nicht gerade erfreut haben.

Ambivalent präsentiert sich in der Ukraine-Frage Präsident Miloš Zeman. Das Staatsoberhaupt ist bekannt als Verfechter einer „pragmatischen Wirtschaftsaußenpolitik“. Deshalb wundert es nicht, dass er es noch vor Wochenfrist als „Erfolg der tschechischen Außenpolitik“ bezeichnete, dass die bestehenden Sanktionen gegen Russland angeblich so modifiziert werden konnten, dass tschechische Interessen gewahrt blieben. In der gleichen Rede sprach er sich gleichzeitig zum wiederholten Male für „Präventivmaßnahmen“ der Nato in der Ukraine aus. Nach der Zuspitzung der Krise in der Ostukraine ließ er am Samstag schließlich verlauten, dass härtere Sanktionen „selbstverständlich angebracht“ seien.