Karl IV. überstrahlt alle

Karl IV. überstrahlt alle

Tschechien erinnert sich 2016 vielfach an seine Geschichte

6. 1. 2016 - Text: Josef Füllenbach

2016 ist für Tschechien ein bedeutendes Gedenkjahr. Bedeutender noch als das vergangene Jahr, in dem die Tschechen sich an Jan Hus erinnerten, dessen Tod auf dem Konstanzer Scheiterhaufen sich am 6. Juli 2015 zum 600. Male jährte. Es war dabei auch eine gewisse Verlegenheit zu spüren, denn es liegt ja nicht auf der Hand, was ein tiefgläubiger Priester und Prediger, der wegen einiger abweichender Positionen in religiösen Fragen als Ketzer endete, heute einer zutiefst gottfernen Nation noch zu sagen hat. Zumal wenn es die „leitenden Angestellten“ dieser Nation nicht vermögen, das Vermächtnis des Märtyrers für die Heutigen zu vermitteln.

Nun also 2016. Der Gedenk­reigen wird überstrahlt vom 700. Geburtstag Karls IV., des großen böhmischen Königs und römisch-deutschen Kaisers, schon seit der frühen Neuzeit als „otec vlasti“ (Vater des Vaterlandes) sowohl hoch verehrt als auch nicht selten mit Blick auf die jeweils aktuellen Herrscher herbeigesehnt. In einer Umfrage des Tschechischen Fernsehens im Jahre 2005, wer den Titel „Größter Tscheche“ verdient habe, kam Karl IV. mit gutem Abstand noch vor dem Gründungspräsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš G. Masaryk, auf den ersten Rang. Jan Hus folgte abgeschlagen auf dem siebten Platz.

Die offiziellen Feierlichkeiten und zahlreichen sonstigen Gedenkveranstaltungen am und um den Geburtstag Karls IV. am 14. Mai 2016, eigentlich das ganze Jahr über, werden von einer „Nationalen Kommission“ koordiniert. Die hatte sich für diesen Zweck bereits zwei Jahre vor dem Ereignis, im Mai 2014, unter dem Vorsitz des Parlaments­präsidenten Jan Hamáček konstituiert. Ihr gehören unter anderen der Senatspräsident, der Premierminister mit einigen Kabinettsmitgliedern, der Kanzler des Präsidenten, Kardinal Duka, der Rektor der Karls-Universität, der Präsident der Akademie der Wissenschaften und noch viele andere Spitzenvertreter des öffentlichen Lebens in Tschechien an.

Da Karl IV. nicht nur von 1346 bis zu seinem Tode im November 1378 die Wenzelskrone trug, sondern ebenso lange römisch-deutscher König sowie ab 1355 auch Kaiser war, greift die Bedeutung des Gedenktags weit über Tschechien hinaus. Auf Antrag Tschechiens hat die UNESCO im vergangenen Jahr den 14. Mai 2016 zu einem ihrer Weltjahrestage erklärt. Zudem hatte die UNESCO bereits 2014 die von Kaiser Karl IV. im Jahre 1356 erlassene Goldene Bulle in ihre Liste des Weltdokumenten­erbes aufgenommen; dieses Doku­ment hat bis zum Ende des Alten Reiches im Jahr 1806, also für fast ein halbes Jahrtausend, dessen Verfassungsleben bestimmt. Vor dem Hintergrund überrascht es nicht, dass viele der geplanten Veranstaltungen und Ausstellungen internationalen Charakter haben.

Die bedeutendste Ausstellung dürfte zweifellos die im Mai 2016 in der Waldstein-Reithalle sowie in den historischen Räumen der Karls-Universität (Karolinum) eröffnende internationale Ausstellung „Kaiser Karl IV. 1316-2016“ sein. Viele Exponate werden erstmals in Prag zu sehen sein, darunter aus Aachen die Krone, die Karl IV. 1349 in Prag anfertigen ließ und mit der er noch im gleichen Jahr in Aachen über dem Grab Karls des Großen als römisch-deutscher König gekrönt wurde. Zwei weitere Glanzstücke der Ausstellung werden ein erhaltenes Original der Goldenen Bulle und eine wertvolle Skulptur aus Genua, die vom Bildhauer Giovanni Pisano geschaffene Grabfigur von Margarete von Brabant, der Großmutter Karls IV., sein. Die Ausstellung ist gleichzeitig – unter der Schirmherrschaft der beiden Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka und Horst Seehofer – die erste tschechisch-bayerische Landesausstellung und wird im Herbst 2016 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg fortgesetzt.

Vergessener Jubilar
Die „Prager Zeitung“ wird zu gegebener Zeit ausführlich auf diese und andere Ausstellungen und Veranstaltungen zurückkommen sowie den Jubilar würdigen. Andere Jahrestage dürften es schwer haben, aus dem Schatten herauszutreten, den das „Karlsjahr“ schon jetzt vorauswirft. Dennoch – oder gerade deshalb – sollen 2016 in der „Prager Zeitung“ einige wichtige Gedenktage nicht unter den Tisch fallen:

Am 13. März werden 500 Jahre seit dem Tod von Vladislav II. von Böhmen und Ungarn (Vladislav Jagellonský) vergangen sein. Er war 45 Jahre lang böhmischer König und steht damit, nach den Habsburgern Franz Joseph I. und Leopold I., an dritter Stelle nach der Dauer seiner Herrschaft über Böhmen. Da Vladislav II. vom Vater der tschechischen Geschichtsschreibung František Palacký nur sehr mäßige Zensuren erhielt und sich sein Bild im Urteil der Historiker erst in jüngster Zeit aufhellte, weiß man im Allgemeinen nur wenig über ihn. Sein runder Jahrestag wird in vielen Jubiläumskalendern nicht einmal erwähnt.

Vor 600 Jahren, am 30. Mai 1416, starb der Mitstreiter von Jan Hus, Hieronymus von Prag (Jeroným Pražský), auf dem Scheiterhaufen in Konstanz an der gleichen Stelle, wo ein knappes Jahr zuvor Hus verbrannt wurde.

Am 2. November jährt sich zum 250. Male der Geburtstag von Josef Wenzel Radetzky von Radetz (Josef Václav Radecký z Radče), dem berühmten böhmischen Adligen und österreichischen Heerführer, der nach 72 Dienstjahren in der Armee hochbetagt mit über 90 Jahren am 5. Januar 1858 in Mailand starb. Man darf gespannt sein, ob und wie das Jubiläum in Tschechien begangen wird, denn sein Denkmal, das seit 1858 auf dem Kleinseitner Ring in Prag stand, wurde bald nach Gründung der Tschechoslowakei ins Lapidarium entsorgt. Der Tscheche Radecký hatte sich doch zu einseitig um Habsburg verdient gemacht.

Nach fast ebenso vielen, nämlich 68 Dienstjahren starb vor hundert Jahren am 21. November 1916 Kaiser Franz Joseph I., der mit großem Abstand länger als alle seine Vorgänger über die Länder der böhmischen Krone herrschte, sich jedoch nie in Prag zum böhmischen König krönen ließ und so zur großen Enttäuschung vieler tschechischer Untertanen seine mehrmals gegebenen Versprechen nicht einlöste.

Schließlich ist 2016 der 50. Geburtstag von Jara Cimrman zu feiern, der 1966 im tschechischen Rundfunk „geboren“ wurde.

Es gibt in diesem Jahr also viele gute Gründe zum Gedenken, und dabei sind hier nur die wirklich runden Jahrestage wichtiger Personen genannt, nicht bedeutender Ereignisse. Die „Prager Zeitung“ will all diese Anlässe berücksichtigen, wenn auch Karl IV. die zentrale Gestalt dieses Jahres bleiben wird.

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