Im Land der Kinderträume

Im Land der Kinderträume

Tschechien gehört zu den größten Spielzeug-Exporteuren Europas

2. 10. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze; Foto: Dirk Schaefer

Ein Blick auf Tschechiens Handelsstatistik löst Erstaunen aus. Das Land hat im vorigen Jahr Spielwaren im Wert von 800 Millionen Euro im Ausland geordert. Ein gigantischer Markt für Puppen, Puzzles, Plüschtiere? Eher nicht. Denn die Inlandsverkäufe erreichen nur 200 Millionen Euro. Vielmehr haben große europäische Spielzeughersteller tschechische Standorte entdeckt, um hier zu dekorieren, zu verpacken oder zu kommissionieren. Anschließend geht die Ware zurück in die Konzernzentralen oder gleich in die Kinderzimmer dieser Welt.

Auf diese Weise hat Tschechien im Jahr 2012 Spielzeug im Wert von 1,8 Milliarden Euro exportiert. Lego, Playmobil, Ravensburger und die Simba Dickie Group beschäftigen bereits 2.000 Mitarbeiter im Land. Mit steigender Tendenz. Lego will bis 2015 seine Fabrik in Kladno ausbauen, die schon jetzt der zweitgrößte Produktionsstandort der Dänen ist. Außerdem betreibt der Konzern bei Prag sein zentrales Distributionszentrum für Europa.

Konkurrent Playmobil hat sich im westböhmischen Cheb niedergelassen. „Der Standort ist von unserer Produktionsstätte Dietenhofen in gut zwei Stunden im Pendelverkehr zu erreichen“, erklärt Robert Benker, technischer Leiter bei Playmobil. Aus Franken transportiert das Unternehmen Halbteile nach Böhmen, lässt sie dort sortieren und verpacken, um sie dann von Dietenhofen aus an die Kundschaft zu schicken.

Das Werk in Cheb übernimmt aber auch aufwendige Konfektionsarbeiten, zum Beispiel das Befüllen von Adventskalendern. Dabei seien die im Vergleich zu Deutschland niedrigeren Lohnkosten ein wichtiger Standortvorteil, sagt Benker. Schwierig sei es zuweilen, die Sprachbarrieren zu überwinden. Ebenso gehört das tschechische Rechtssystem für Playmobil zu den Herausforderungen des Engagements im Nachbarland.

Holzspielzeug mit Tradition
Solche Fallstricke kennt auch Peter Neff, Geschäftsführer von Ravensburger in Tschechien. Er arbeitet seit 1998 im Land und hat die Produktion des schwäbischen Herstellers hier aufgebaut. „Die Bürokratie ist seitdem immer komplizierter geworden.“ Ansonsten lässt er aber nichts auf seinen Standort kommen. „Die Mitarbeiter hier sind sehr motiviert. Ihre Mentalität entspricht stark unserer süddeutschen“, erzählt Neff. Rund 500 Beschäftigte beschäftigt Ravensburger heute in Polička, rund 60 Kilometer südöstlich von Pardubice. Der Großteil der Puzzles oder Brettspiele mit dem blauen Dreieck wird inzwischen ausschließlich dort produziert. „Vor allem bei kleinen Serien, wo noch viel Handarbeit nötig ist, kommt das Werk zum Zuge.“

Ravensburger profitiert dabei auch von vielen örtlichen Zulieferern. Das Werk bezieht Kartons oder Druckerzeugnisse aus der näheren Umgebung. „Dadurch sind wir sehr flexibel“, sagt Manager Neff. Einen Teil des Bedarfs an Holzfiguren liefert die Firma Detoa aus Albrechtice im Isergebirge. Das Unternehmen ist einer der ältesten tschechischen Spielzeughersteller. Die Fabrik für Holzspielzeuge besteht schon seit 1908. Bis heute erinnern die Werkhallen eher an die industrielle Revolution als an das Zeitalter von Smartphones und Tablet-Computern. Manche Maschinen rattern hier bereits seit achtzig Jahren. „Neue Drehmaschinen sind sehr teuer und würden trotzdem nicht die Leistung der alten Geräte bringen“, begründet Detoa-Manager Martin Herrmann das Festhalten an den betagten Anlagen.

Ein eigenes Reparaturteam kümmert sich darum, die Maschinen am Laufen zu halten. Detoa ist eines der letzten Unternehmen in Europa, die ganz traditionell Holzspielzeug fertigen. Der Rohstoff kommt aus polnischen oder slowakischen Wäldern und wird komplett in Albrechtice verarbeitet. Schälen, Trocknen, Sägen, Fräsen, Bohren – Detoa kontrolliert den gesamten Prozess. Drei externe Designer sorgen für immer neue Holztierchen, Jojos oder Blumenmotive. In einem Atelier bemalen Frauen per Hand die Figuren. Bis zu 1.000 Gesichter schaffen sie am Tag.

Manko Marketing
Dass nur eine Autostunde von Sachsen noch so viel Handarbeit möglich ist, erklären auch die niedrigen Löhne im Isergebirge. Umgerechnet 500 Euro pro Monat verdienen die Angestellten in der Spielzeugfabrik. Damit kann Detoa der Konkurrenz aus Asien trotzen. „Ein Holzspielzeug kostet bei uns ein Euro in der Herstellung. Die Transportkosten Richtung Europa spielen fast keine Rolle“, rechnet Manager Herrmann vor. „Außerdem können wir drei bis vier Wochen nach Bestelleingang liefern.“

Detoa gehört zusammen mit dem Plüschtier-Hersteller Moravská Ústředna aus Brünn zu den größten Spielzeug-Produzenten in Tschechien. Der Jahresumsatz liegt bei knapp vier Millionen Euro. Trotzdem ist es für die Unternehmen schwer, in die Regale der westlichen Spielzeugketten zu gelangen. „Denen ist unsere Produktpalette zu klein“, bedauert Detoa-Vertreter Herrmann.

Distributoren zu finden, sei schwierig. Bis zu 80 Prozent der Produktion bleiben daher im eigenen Land. Der Rest geht unter fremden Labels an renommierte Hersteller aus Deutschland oder an kleine Fachgeschäfte. Insgesamt gibt es heute rund 200 einheimische Spielzeughersteller in Tschechien. Sie erzielen nach Angaben des Branchenverbands SHH einen Gesamtumsatz von 80 Millionen Euro. Der Industriezweig wächst jedes Jahr um fünf bis zehn Prozent. Spielzeug kennt kaum Konjunkturdellen.

Tschechiens Spezialisierung liegt auf Holz- und Blechspielzeug, Plüschtieren und Modellen. Ein Manko sei das Marketing, sagt der Vizevorsitzende des Spielzeugverbands, Jiří Šťastný. Vor allem die kleinen Betriebe haben dafür zu wenig Mittel. An der internationalen Leitmesse in Nürnberg nahmen zu Beginn dieses Jahres nur 41 tschechische Aussteller teil, drei weniger als ein Jahr zuvor.

Doch Šťastný fürchtet noch ein anderes Problem: „Unsere stärkste Konkurrenz ist die Technik. Spielzeug Nummer eins ist heute das Smartphone.“ Die tschechischen Hersteller müssten akzeptieren, dass moderne Spielsachen auch Technik enthalten sollten. Der Anfang ist gemacht. Inzwischen ist das Brünner Plüschtier „Kleiner Maulwurf“ mit Webcam, Motor und Nachtsichtfunktion unterwegs. Über eine App kann das Livebild am Handy verfolgt werden.

Branchenexperte Šťastný glaubt, dass Tschechiens Spielzeugindustrie auch in Zukunft der Konkurrenz aus Asien standhalten kann. „Wir müssen weiter innovativ sein und jedes Jahr Neuheiten auf den Markt bringen.“

Der Autor ist Tschechien-Korrespondent bei „Germany Trade and Invest“, der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing.