Ideologische Dressur

Ideologische Dressur

Der Historiker Timo Meškank dokumentiert, wie die Sorben in der DDR unterdrückt wurden

6. 1. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Protest gegen die Ausweitung des Tagebaus Bärwalde in Klitten, Januar 1990 / Bundesarchiv, Bild 183-1990-0120-035 / Weisflog, Rainer / CC-BY-SA 3.0

Der westslawische Volksstamm der Sorben, der heute vor allem in der sächsischen Lausitz seine Heimat hat, musste unter den Preußen und dann vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus um den Erhalt seiner Kultur und Sprache kämpfen. Das schien sich zu ändern, als 1948 zunächst vom Sächsischen und 1950 vom Brandenburgischen Landtag das Gesetz zur Wahrung der Rechte des sorbischen Volkes verabschiedet wurde. Damit sollte eine Gleichberechtigung der Minderheit auf kulturellem Gebiet garantiert werden. Man wollte ihre Sprache fördern, Schulen einrichten, an denen Sorbisch unterrichtet wird, und die Zweisprachigkeit in Verwaltung und Institutionen sichern.

Anhand einer Fülle von Dokumenten weist der Dresdner Historiker Timo Meškank in seinem Buch „Instrumentalisierung einer Kultur. Zur Situation der Sorben 1948–1989“ nach, dass dieses Gesetz nicht mehr als ein leeres Versprechen war. Die DDR sei vielmehr bestrebt gewesen, alle Versuche der Sorben nach dem Aufbau einer autonomen Kultur zu verhindern. Sie habe stattdessen nur ein Ziel verfolgt: Die Sorben für die Ideologie eines Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung zu gewinnen.

Die „Domowina“ (sorbischer Name für Heimat), der Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, erwies sich bereits ab 1946 als treuer Gehilfe der SED. Führende Mitglieder, wie der Vorsitzende Pawoł Nedo waren der KPD bereits 1945 beigetreten. Sie sahen ihre Aufgabe darin, die gesamte sorbische Lebenswelt in den Dienst der sozialistischen Gesellschaft zu stellen. Wahrung und Schutz der sorbischen Kultur wurden als Separatismus und Nationalismus diskreditiert. Ein führender sorbischer Funktionär verwies auf Stalin, der doch gelehrt habe, dass die nationale Frage der sozialen untergeordnet werden müsse. Man förderte die Anpassung der Sorben an die deutsche Kultur und Sprache, an der sich auch die Sorbische Lehrerbildungsanstalt beteiligte. Im Jahr 1958 schrieb der sorbische Pfarrer Jurij Kubaš in sein Tagebuch: „In den Zeitungen, sorbischen wie deutschen, schreibt man, dass unser Institut die beiden Bezirke Dresden und Cottbus mit zweisprachigen Lehrern versorgt, dass es der zweisprachigen Lausitz dient. Ja, es dient auch als Glied in einem System, unsere sorbische Sprache endlich zu liquidieren.“

Zuflucht Kirche
Die Sorben waren überwiegend Landwirte und Handwerker. Als eher apolitisch konnten sie für die Ideologie des Realen Sozialismus kaum gewonnen werden. Die Führung der „Domowina“ besaß keinerlei Ansehen bei der sorbischen Bevölkerung. Gegen zwei große Projekte der SED regte sich der Widerstand der Sorben besonders: die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Industrialisierung der Lausitz. 1960 schickte die SED Werbebrigaden in die sorbischen Dörfer, um die letzten freien Bauern zum Eintritt in die LPG zu zwingen. Über Lautsprecher wurden die Namen derjenigen Landwirte bekanntgegeben, die nicht bereit waren, ihren Hof der gemeinschaftlichen Produktion zu überlassen. Wer sich mutig den Schikanen widersetzte, wurde verhaftet und mit Gefängnis bestraft. Die „Domo­wina“, die die Kampagne unterstützte, verlor endgültig das Vertrauen der sorbischen Landbevölkerung.

Mitte der fünfziger Jahre begann man in großem Umfang in der Lausitz mit dem Abbau der Braunkohle. Gewaltige Industriekomplexe wie die Schwarze Pumpe entstanden. Für die Sorben hatte diese Industrialisierung fatale Folgen. Viele mussten ihre Dörfer verlassen, die der Abbaggerung zum Opfer fielen. Hinzu kam die Ansiedlung von Flüchtlingen, die als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, wodurch der Anteil der Sorben in der Lausitz erheblich zurückging. Da die Flüchtlinge aus Osteuropa meist gegen das Slawentum eingestellt waren, war ein friedliches Zusammenleben von Sorben und den Neudeutschen kaum möglich.

Die meisten Sorben waren treue Mitglieder der evangelischen oder katholischen Kirche. Ab den Fünfzigern konnte sich ihre Kultur nur noch in den Kirchen einigermaßen frei entfalten. Aber auch diese letzte Zufluchtsstätte hatte es schwer, sich zu behaupten. Behörden verboten das öffentliche Ostersingen, den sorbischen Brauch des Osterreitens, Prozessionen und Pilgerfahrten. Die antikirchliche Propaganda war ein fester Bestandteil in den Medien, in den Schulen und den Universitäten. Ausführlich beschreibt Meškank, wie der totalitäre Staat mit seinen Geheimdiensten sämtliche Aktivitäten der Sorben überwachte, wobei er von den Führungskräften der „Domowina“ bereitwillig unterstützt wurde. Mitarbeiter der Stasi waren in sämtlichen sorbischen Institutionen tätig.

Schwindende Minderheit
Breiten Raum nimmt bei Meškank die Entwicklung der sorbischen Literatur von 1945 bis zur Wende 1989 ein: Die Werke der Autoren wurden daran gemessen, inwiefern sie den Zielen der sowjetischen Ideologie des Realen Sozialismus entsprachen. Stalin hatte die Parole ausgegeben, dass sich der Schriftsteller und Dichter als Ingenieur der menschlichen Seele verstehen müsse. Der sorbische Funktionär Jurij Krawža empfahl den Autoren eine „ideologische Dressur“. Als vorbildlich galt ein Gedichtband in sorbischer Sprache, der Lyrik zu Jahres- und Gedenktagen sowie anderen Höhepunkten des Lebens umfasste. Autoren, die von der kulturpolitischen Doktrin der SED abwichen, wurden öffentlich angeprangert und aus der sorbischen Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die Agitation gegen eine eigenständige Kultur der Minderheit bewirkte, dass die Anzahl der Sorben zunehmend zurückging. Bereits in der Zeit des Nationalsozialismus war ihre Zahl auf 110.000 zurückgegangen. 1956 bekannten sich noch 81.000 zum sorbischen Volk, 1990 nur noch 48.000 Personen.

Meškanks Dokumentation besticht durch die Fülle von Dokumenten, die er aus Archiven der Parteien, Organisationen, den Akten der Polizei, der Staats­sicherheit und der Justiz gesammelt hat. Verwirrend ist die Flut von Namen, die Meškank aufzählt. Stellenweise sind es bis zu 20 Personen, die der Leser nur schwer zuordnen kann. Ein Namensregister mit Kurzangaben über die Biografie der wichtigsten Personen wäre sinnvoll gewesen. Zur leichteren Orientierung wäre es für den Leser ebenfalls hilfreich, wenn Meškank die 27 Kapitel, in die sich seine Darstellung der drei Epochen (1948–1959, 1959–1969, und 1969–1989) gliedert, nicht einfach nur mit Zahlen, sondern mit Überschriften versehen hätte. Schließlich würde es mancher Leser sicher begrüßen, wenn der Autor das Siedlungs­gebiet der Sorben mit einer Landkarte dokumentiert hätte.

Timo Meškank: Instrumentalisierung einer Kultur. Zur Situation der Sorben 1948–1989. Domowina-Verlag, Bautzen 2014, 275 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-7420-2300-1