Interview

„Ich wusste um den Wert meines Publikums“

Entertainer Lutz Jahoda erinnert sich an seine große Karriere in der DDR und spricht über die Beziehungen zu seiner Heimatstadt Brünn

9. 3. 2016 - Interview: Klaus Hanisch, Foto: Manfred Gößinger [Lutz Jahoda bei einer Signierstunde mit Helena Vondráčková in Prag]

Er ist ein Multitalent und noch immer voller Vitalität. Trotzdem feierte Lutz Jahoda (88) vor wenigen Tagen seinen Abschied von der Bühne – nach 70 Jahren. Der Entertainer war schon 1955 in ersten Sendungen des Deutschen Fernsehfunks (DFF) zu sehen, dem Vorläufer des DDR-Fernsehens. Später wurde er mit seinen Shows „Mit Lutz und Liebe“, „Spiel mir eine alte Melodie“, der Reihe „Der Wunschbriefkasten“ oder als Sänger und Moderator von „Ein Kessel Buntes“ zu einem Fernsehstar in der DDR. Auch danach moderierte Jahoda noch große Musiksendungen. Geboren wurde er 1927 in Brünn, wo Lutz Jahoda kurz vor Ende des Krieges an der Seite von Hilde Engel, der Mutter von Frank Elstner, seinen ersten Auftritt bei den Kammerspielen absolvierte.

Wie wird man bei all dem Stress und den Aufregungen eines Künstlerlebens 88 Jahre alt? Hielten Sie auch Ihre Kinder jung, wie Frank Elstner für sich in seiner Autobiografie formulierte?

Frank Elstner und ich waren zeitlebens in der glücklichen Lage, einen Beruf ausüben zu dürfen, den wir gern bestritten. So etwas kann geistig frisch und jung halten. Dass außerdem die Liebe hilfreich sein kann, dürfte auch Frank Elstner nicht abstreiten – auch wenn er die Kinder als Jungbrunnen vorschiebt …

Sie bekamen mit 70 noch einen Sohn, worauf Manfred Krug gesagt haben soll, dass sich Lutz Jahoda seine Enkel selbst macht.

Manfred Krug sagte: „Manche machen sich ja ihre Enkel selbst.“ Damit konnte nur ich gemeint sein, da ich zu jener Zeit der einzige bekannte Siebzigjährige war, der noch einmal Vater wurde. Ich konnte herzhaft darüber lachen. Wir kannten uns aus gemeinsamen Filmprojekten und standen zuletzt in Hauptrollen für die Fernsehtrilogie „Abschied vom Frieden“ in Babelsberg, Prag und Karlsbad vor der Kamera.

In Ihrer langen Karriere waren Sie Schauspieler, Sänger, Moderator, Texter und galten in der DDR als „der Schauspieler mit österreichisch-tschechischen Wurzeln“ und König der Volksmusik – als was sahen Sie sich selbst am liebsten?

Ich sah mich stets in der Position am liebsten, der ich mich gerade widmete. Seit 2001 ausschließlich als Buchautor und neuerdings auch noch als poetischer Rezensent im Bereich Leser­zuschriften des Internetblogs „Rationalgalerie“.

Auch in der DDR gab es – allerdings geheim gehaltene – Einschaltquoten. „Mit Lutz und Liebe“ hatte teilweise 50 Prozent Sehbeteiligung und setzte sich sogar gegen Peter Frankenfeld im Westfernsehen durch. Warum war trotzdem schon nach 27 Folgen Schluss?

Nicht nur die Quoten wurden im DDR-Fernsehen geheim gehalten. Es gab auch Entschlüsse, die intern blieben. Manche Künstler pflegten familiäre Bindungen mit Entscheidungsträgern, so dass Einzelne gelegentlich begünstigt wurden. Worauf sich Verschiebungen ergaben, die nicht unbedingt dem Programm dienten. Weshalb „Mit Lutz und Liebe“ so schnell abgesetzt wurde, dürfte an dem verantwortlichen Redakteur gelegen haben. Er fühlte sich an den Rand gedrängt, nachdem sich Regisseur, Bühnenbildner und Arrangeure immer stärker meinen Texten und Musikbildern zugewendet hatten.

1983 wurden Sie zu einem „Fernsehliebling“ der DDR gekürt. In Ihrer Autobiografie steht kein Wort darüber. War Ihnen diese Auszeichnung nicht viel wert, nachdem sie auch der skurrile Kommentator Karl-Eduard von Schnitzler mehrfach erhielt?

Den Status eines Fernsehlieblings hatte ich beim Publikum schon lange. Dass er mir schließlich offiziell gewährt wurde, war vielleicht dem schlechten Gewissen geschuldet, mich bis dahin vergessen zu haben. Dabei erhielt ich im Dezember 1981 einen Telefonanruf aus der Führung des DDR-Fernsehens und man fragte mich, ob ich wüsste, wer den gestrigen DDR-Fernsehabend so erfolgreich bestritten hatte. Die Antwort lautete: „Bundeskanzler Helmut Schmidt, Erich Honecker und Lutz Jahoda.“ Denn der Fernsehbericht über die historische Begegnung von Honecker und Schmidt in Güstrow war mit musikalischen Szenen aus der Reihe „Mit Lutz und Liebe“ aufgelockert worden.

Gab es in der DDR wie im Westen auch Neid unter Entertainern, etwa um die Frage, ob Quermann, Weidling oder Jahoda der Beste sei?

An Neid unter Kolleginnen und Kollegen kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst noch nie unter Neid gelitten habe. Erfolge anderer hatten stets meine Bewunderung. Nur wenn es sich um unredliche Begünstigungen handelte, Tonmeister sich bei mir beklagten, wie schwierig es sei, mit einem Sänger eine einigermaßen saubere Aufnahme zustande zu bringen und dieser Interpret dennoch eine LP nach der anderen produzieren durfte, konnte mich das verstimmen.

Der Schauspieler Armin Müller-Stahl schrieb, dass er am gleichen Tag im West-Fernsehen Rudi Carrell und anschließend im Osten Lutz Jahoda sah. Blickten auch Sie beruflich nach Westen, um zu sehen, was und wie es Kollegen wie Carrell machten?

Selbstverständlich blickte auch ich Richtung West. Als Armin Mueller-Stahl diesen Satz schrieb, war er bereits im Westen. Aber der Westen sah auch vergleichend Richtung Ost. Als Paul Kuhn im DDR-Fernsehen die Reihe „Mit Lutz und Liebe“ sah und darin Mitglieder des Rundfunk-Tanzorchesters Berlin, verkleidet und musizierend als „Onkel Stanislaus und seine Jazzopas“, soll er gesagt haben: „Schei … benkleister, das hätte uns einfallen müssen!“

In Ihrer Autobiografie erwähnen Sie die „Scheißpolitik“ in der DDR. Sie kamen 1954 freiwillig in das Land, fühlten sich aber schon 1965 wie in einem Gefängnis. Warum gingen Sie nach einem Besuch in Österreich im August 1978 nicht einfach in die Bundesrepublik, wie viele andere DDR-Künstler?

Obschon ich mit den Reise­beschränkungen in der DDR und gewissen Gängelungen im Kulturbetrieb nicht einverstanden war, hatte ich zu keiner Zeit das Bedürfnis, die DDR für immer zu verlassen. Ich wusste um den Wert meines Publikums und seines Zuspruchs, kannte den rabiaten Musikmarkt West, vergaß auch nicht mein Alter. Also blieb ich im Land und ernährte meine Familie redlich.

Als die Wende kam, waren Sie 62. Die Karriere vieler Künstler geriet nach dem Ende der DDR ins Stocken. Ein reines Politikum oder waren Westdeutsche so viel schwerer zu unterhalten als Ostdeutsche?

Ich war schon weit über 70, als ich Gelegenheit hatte, in Bad Mergentheim ein Publikum, das mich vom Fernsehen nicht kannte, mit meinen Liedern zu begeistern. Das war mir zuvor in Garmisch-Partenkirchen gelungen, als ich erst 25 war. Mit 62 sah ich keine Veranlassung, mich auf dem übersättigten westdeutschen Musikmarkt erneut hochzuarbeiten. Das DDR-Publikum war ausgehungert nach dem perfektioniert arbeitenden Schlagermarkt des Westens. Und ich konnte die Musikkonzerne und das bundesdeutsche Fernsehen verstehen, die sich sagten: Warum uns mit der Unwägbarkeit belasten, unbekannte Künstler dem bundesdeutschen Publikum vorzustellen und aufzubauen, wo wir die Gelegenheit haben, Geld auch mit Auslaufmodellen des Westens zu machen. Es kam so, wie ich es vorausgesehen hatte.

Der westdeutsche Showmaster Alfred Biolek, in der Nähe von Ostrava geboren, sagte in einer TV-Sendung, dass in seinem Kopf kein Millimeter Platz für die alte Heimat sei. In Ihrer Autobiografie erinnern Sie an Stoffe oder den Rennkurs von Brünn. Wie sehr fühlen Sie sich heute noch als Brünner?

Alfred Biolek, wie auch Hellmuth Karasek, waren noch Kinder. Der eine Karwiner, der andere Brünner. Und beide hatten, vielleicht schon von der Familie her, eine andere Beziehung zur Tschecho­slowakei. Mein Großvater war Jurist in Brünn. Mein Vater diente noch als Soldat dem Kaiser und arbeitete im Brünner Montur-Depot. Obwohl seine Muttersprache Deutsch war und er, ebenso wie meine Schwester und ich, nur deutsche Schulen besucht hatte, sprach er fließend Tschechisch und musste sich, auch in Protektoratszeiten unter Hitler, vorbildlich verhalten haben. Sonst hätte mich wohl kaum jener Bürger in Brünn angesprochen, der mich aus der vom Tschechischen Fernsehen übernommenen Sendereihe „Ein Kessel Buntes“ erkannte. Dankbar schüttelte er mir die Hand und sagte: „Váš otec, pane Jahoda, to byl člověk.“ („Ihr Vater, Herr Jahoda – das war ein feiner Mensch”, Anm. d. Red.)

Jahoda als Buffo am Operettenhaus in Leipzig (1956)

Biolek weigerte sich auch sehr lange, seinen Geburtsort noch einmal zu besuchen. Ein Spruch von Ihnen lautete: Jahoda fährt nur Škoda. Besuchten Sie während Ihrer DDR-Karriere Brünn?

Mein Prager Fernsehfreund Eduard Hrubeš – ebenfalls in Brünn geboren – organisierte für mich zwei Fernsehauftritte in Prag und einen in Brünn, wo ich in tschechischer Sprache ein Kurzinterview gab und auch tschechisch mit den Großpopowitzern unter Leitung von Hrubeš mitsang. Für sein Ensemble übersetzte ich eine Reihe tschechischer Lieder ins Deutsche, so dass die Gruppe auch im deutschen Sprachraum auftreten konnte.

Ihr Name steht im Tschechischen für Erdbeere. In der DDR übersetzten Sie im Auftrag von Prager Schallplattenfirmen Dutzende von tschechischen Liedern und texteten tschechische Kompositionen neu. Lag Ihnen die Sprache zeitlebens am Herzen?

Eines Nachts erschien mir das „Literarische Quartett“ im Traum und Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki sagte zu Hellmuth Karasek: „Über die gesanglichen Qualitäten dieses Lutz Jahoda, mit der falschen Betonung auf der zweiten Silbe, kann man geteilter Meinung sein. Aber schreiben kann er!“ Mit diesem fruchtig-süßen Namen und dessen Veränderung in Betonung und Aussprache je nach Land muss ich leben. Ich kann heute noch ziemlich fließend aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzen. Umgekehrt hätte ich Schwierigkeiten.

In Ihrer Romantrilogie „Der Irrtum“ schildern Sie die Geschichte einer fiktiven Familie im Protektorat Böhmen und Mähren zwischen 1939 und 1945. Ist dieser Roman auch eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte oder vor allem ein Beitrag zu den deutsch-tschechischen Beziehungen?

Mit mir haben die Handlungsstränge nichts zu tun, außer dass ich in dieser Zeit lebte und die unterschiedlichen Schicksale deutscher und tschechischer Menschen unmittelbar mitbekam. Daher die Authentizität und Dichte der Geschichte. Mein Angebot steht, die Romantrilogie einem renommierten tschechischen Verlag zur Übersetzung zu überlassen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu den deutsch-tschechischen Beziehungen.

Sie standen lange mit der Familie Elstner in Verbindung. Lutz Jahoda habe oft mit ihm gespielt, wenn ihm langweilig war, erinnerte sich Frank Elstner. Auch Sie schrieben, dass Sie eine Art von Kindermädchen für ihn waren. War er ein schwieriger Zögling?

In Brünn bewunderte ich seinen Vater Erich auf der Operettenbühne und hatte das Glück, an den Kammerspielen in Brünn mit dessen Ehefrau Hilde Engel für einen Satz auf der Bühne zu stehen. Erst Ende Mai 1945 begegnete ich Erich Elstner in einem Lazarett der Sowjetarmee in Bratislava wieder. In Wien arbeitete ich später als Übersetzer zwischen einem US-Kasinochef und österreichischen Köchen und durfte nach Dienstschluss Essen mit nach Hause nehmen. So versorgte ich meine Familie und Familie Elstner gleich mit, die bei meiner Tante Mary Unterschlupf fand. Der kleine Tim, der heute unter dem Namen Frank Elstner bekannt ist, wurde in Wien getauft. Tim war ein kluger und einsichtiger Junge. Niemals hätte er gerufen: „Ich habe Hunger!“ Im äußersten Fall hörte ich ihn sagen: „Habt ihr vielleicht schon gegessen?“

Für Ihre Autobiografie verfasste Elstner das Vorwort. Haben Sie heute noch Kontakt zu ihm?

Familie Elstner gab mir privaten Schauspiel- und Ballettunterricht in Berlin. Bis zu meiner Volljährigkeit, damals mit 21, unterschrieb Erich Elstner für mich Theaterverträge. Durch Hilde Engel, die Berlinerin war, erhielt auch ich damals eine Aufenthaltsgenehmigung für Berlin. Im August 2014 schickte mir Frank Elstner ein Flugticket und ich zeigte ihm und seinem jüngsten Sohn in Wien und Brünn all die Stätten, an die er sich als damals Zwei- und Dreijähriger nur noch schwach erinnern konnte.

Sie bezeichneten Tanzstar Fred Astaire ebenso als Vorbild wie Egon Erwin Kisch und wollten anfangs Journalist werden. Doch vor Beginn eines Volontariats kam das Rollenangebot eines Berliner Theaters. Zuletzt schrieben Sie viele Bücher und Artikel. Ist der frühe Berufswunsch trotz Ihrer großen Karriere nie ganz verloren gegangen?

Es stimmt, dass ich schon als Zwölfjähriger ein Mann der Zeitung werden wollte. Das geschriebene Wort galt mir viel. Kisch, aber auch Kurt Tucholsky und Erich Kästner imponierten mir noch, als ich bereits Erfolge am Theater hatte. Daraus ergaben sich auch ziemlich bald erste Liedtexte, die ich schrieb. Noch in der DDR erschien mein erstes Buch mit dem Titel „Mit Lust und Liebe“. Es gab der Fernsehserie „Mit Lutz und Liebe“ den Namen, der zehn Jahre lang in der Fernsehunterhaltung des Ostens Gewicht hatte.

Aus Ihrem Buchkapitel über Ihren früh verstorbenen Sohn Peter spricht ebenso Vaterliebe wie ein gewisser Fatalismus gegenüber dem Tod. Bewerten Sie ihn tatsächlich ganz emotionslos?

Fatalist gegenüber dem Tod zu sein, ist eine der leichtesten Übungen. Nur im Witz lässt sich gegen ihn aufbegehren. Als dem Hundertjährigen Johannes Heesters an der Haustür der Tod gegenübersteht, dreht sich Jopi Heesters spontan um und ruft seiner Frau zu: „Simone, für dich!“

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