„Ich bin Tschechoslowake“
Interview

„Ich bin Tschechoslowake“

Für die Fans des 1. FC Nürnberg ist Marek Mintál eine Klub-Legende. Für ihn selbst ist das Jahr 2018 schon jetzt legendär – aus einem besonderen Grund

20. 12. 2018 - Interview: Klaus Hanisch, Titelfoto: 1. FC Nürnberg

PZ: Sie erhielten 2018 den Bayerischen Verdienstorden. Ihr persönliches Highlight in diesem Jahr?
Marek Mintál: Ja, das war ein besonderer Tag für mich! Solch eine Auszeichnung bekommen nicht viele und darüber freue ich mich sehr. Diese Ehrung macht ihn sogar zu einem ganz wichtigen Tag in meinem Leben.

Bei der Verleihung sagte der bayerische Ministerpräsident, dass die neuen Ordensträger Vorbild und „Kraftquell für Bayern“ seien. Waren sie sehr überrascht, dass Ihre vielen Tore nicht nur eine große Freude für alle Club-Fans waren, sondern sogar ein Kraftquell für das Bayernland?
Wenn ein so wichtiger Politiker so etwas sagt, dann ist das schön. Es gefällt mir gut.

Warum haben Sie den Orden, eine der höchsten Auszeichnungen im Freistaat, bekommen?
Ich denke, es war eine Auszeichnung für meine sportliche Leistung während meiner Zeit in Nürnberg. Und auch für das, was ich nach meiner Profi-Karriere mache. Ich habe in der Vergangenheit anscheinend manches gut gemacht. Denn ich bekomme auch sonst hin und wieder einen Preis. Und manchmal auch einfach nur eine Postkarte von jemandem. All das ist für mich sehr schön. Ich brauche kein Geld oder Diamanten, mir genügt schon eine Kleinigkeit, ein paar positive Worte oder Aufmunterungen.

Sehen Sie Ihre Auszeichnung auch als Ausdruck wachsender Wertschätzung für den Fußball in der Gesellschaft?
Alle, die mich auf meinem Weg begleitet haben, haben einen riesigen Anteil an diesem Preis. Vor allem Mitspieler und Trainer. Nur mit Leuten, die dir helfen und dir was geben, kannst du so etwas schaffen. Respekt, große Freundschaft und Dankbarkeit sind dafür wichtige Kriterien. Ohne das geht es nicht.

Der Bayerische Verdienstorden ist nach dem Maximiliansorden der zweithöchste Orden des Freistaates Bayern.

Eine andere wichtige Ehrung war, dass Sie für die 2000er Jahre zum Fußballer des Jahrzehnts in der Slowakei ausgerufen wurden. Das erwähnt die deutsche Wikipedia, nicht aber die slowakische. Was stimmt nun?
Ja, die Auszeichnung gab es. Und dass sie nicht in der Slowakei erwähnt wird, sehe ich als einen wichtigen Unterschied zwischen beiden Ländern an. In der Slowakei erfahren Sportler extrem viel Neid. Sie werden oft nur als Millionäre beschimpft und es wird gefragt, warum sie so viel haben und andere nicht. Es wird aber nicht gesehen, wie viel Können, Talent und Wille nötig sind, um Großes im Sport zu erreichen. Auf dem Weg an die Spitze wird einem Sportler nichts geschenkt. Auch er hat am Anfang nur sein Leben, als Geschenk seiner Eltern – wie alle anderen. Was er daraus macht, ist jedoch das Resultat harter Arbeit. Ganz besonders im Sport. Das sieht man in der Slowakei leider nicht so wie in Deutschland.

Bedauern Sie trotzdem noch heute, dass sie 2009 – überraschend für viele – aus der Nationalelf zurücktraten und damit die WM in Südafrika verpassten?
Ich hatte meine Gründe dafür, mit der Nationalelf Schluss zu machen. Natürlich sagt man sich irgendwann, ich hätte vielleicht besser noch diese paar Monate bis zur WM abwarten – und meinen Mund halten sollen. Ich habe damals diese Entscheidung getroffen. Vielleicht war sie vorschnell, aber ich hake das jetzt ab. Es ist so, wie es ist.

Als der slowakische Nationaltrainer Ján Kozák im Herbst nach mehr als fünf Jahren zurücktrat, wurde der Tscheche Pavel Hapal sein Nachfolger. Hätten Sie auch gerne den Job gemacht?
So lange ich nicht meine Fußballlehrer-Lizenz habe, träume ich nicht von irgendwelchen Jobs. Wenn ich das Diplom habe, dann schaue ich, welche Chancen ich bekomme und welche Möglichkeiten für mich offenstehen.

Aber der Job als slowakischer Trainer würde Sie schon reizen?
Natürlich will ein Trainer auch große Aufgabe erfüllen. Als Cheftrainer, die Elf seines eigenen Landes zu betreuen, ist sicher solch eine Herausforderung. Und ja, auch ein Traum. Wenn also dieses Angebot irgendwann käme, dann würde ich es gerne annehmen, ganz klar.

Hapal sagte, diese Traineramt sei eine Ehre für ihn, weil er in der Tschechoslowakei geboren wurde. Sie stammen aus Žilina, bei Ihrer Geburt ebenfalls noch Tschechoslowakei. Fühlen Sie sich heute noch als Tschechoslowake oder ist für Sie die Trennung der Länder längst vollzogen?
Ich sage das Gleiche wie Pavel: Ich wurde in der Tschechoslowakei geboren, es gibt für mich bis heute keinen Unterschied zwischen den Ländern, zwischen uns Slowaken und den Tschechen. Ich sage oft, dass ich Tschechoslowake bin. Und wenn zu mir jemand sagt, ich sei ein Tscheche, dann sage ich: okay, bin ich Tscheche. Pavel und ich sind im gleichen Land geboren und ich verstehe nicht, wenn manche jetzt vielleicht Vorbehalte haben, dass ein Tscheche die slowakische Elf betreut.

Es gibt vielfach verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Slowaken und Tschechen. Ist das auch in Ihrer Familie so?
Ja, der Mann meiner Tante war bei der Heirat ein Tschechoslowake und ist heute ein Tscheche, nach der Trennung der Länder. Doch ich bleibe dabei: Wir sind alle Tschechoslowaken!

In den letzten Jahren spielten viele Tschechen beim 1. FC Nürnberg. Gehen sie am Anfang eher auf Sie zu als auf Deutsche, wegen der ähnlichen Sprache?
Fußballer sprechen in der Kabine oft ihre Heimatsprache. Aber Spieler wie David Jarolím oder Marek Nikl waren in der Mannschaft schnell etabliert und sprachen zudem richtig gut Deutsch. Zu meiner aktiven Zeit gab es in Nürnberg eine große Akzeptanz zwischen Deutschen und Ausländern.

Und wie sieht es bei jüngeren Tschechen aus?
Bei der jüngeren Generation spielt die Trennung der Länder eine Rolle. Ich sehe beide Länder immer noch als eine große Familie, aber die Jungen haben durch die Trennung, den Ablauf der Spaltung, die jeweilige Politik in den einzelnen Staaten ein anderes Gefühl als wir.

Wie spüren Sie das?
Wenn wir in Prag sind, freuen sich ältere Tschechen darüber, dass sie auf Slowaken treffen. Viele finden es wunderbar, unsere etwas andere Sprache zu hören. Das haben mir die Älteren oft gesagt, also quasi die Tschechoslowaken. Und ich sage ihnen dann: Ja, Sie haben Recht, wir sind letztlich wie Brüder und Schwestern. Dagegen bekomme ich von Jüngeren zu hören: Ah, ein Slowake – also ein Ausländer. Das ist Fakt.

Ihr früherer Trainer Hans Meyer sagte unlängst, wer wie Sie Bundesliga-Torschütze in einer mittelmäßigen Mannschaft geworden sei, der dürfe sehr wohl als Legende bezeichnet werden. Hat man als Legende in Nürnberg besondere Vorteile, etwa einen Freifahrtschein in den Bussen oder ständige Einladungen zu Feiern der Stadt?
Als Legende zu gelten, ist etwas Besonderes für einen Sportler. Trotzdem sage ich immer: Ich bin ein Mensch wie jeder andere. Aber natürlich freue ich mich darüber, dass sich die Fans gerne an mich als Fußballer erinnern, an meine Persönlichkeit und meine Tore. Das ist für mich ein geiles Gefühl.

Also keinerlei Privilegien?
Ganz ehrlich, wenn ich eine Einladung zu einem Ball bekam, war ich schon früher nicht der Typ dafür. Die große Show liegt mir einfach nicht, dazu bin ich nicht geboren. Bis heute nicht. Ich wollte immer nur meinen Job machen. Wenn ich aber zu einer Benefizveranstaltung etwa für kranke Kinder eingeladen werde oder zu etwas, das mit Fußball zu tun hat, dann gehe ich gerne und fast immer dorthin.

Marek Mintál als Co-Trainer des 1. FC Nürnberg im Juni 2013 | © Franconia, CC BY-SA 3.0

Verhinderten Ihre vielen Verletzungen, dass Sie trotz Ihrer großen Erfolge zu einem größeren Klub als den 1. FCN wechselten?
Keiner weiß, wo ich ohne diese Verletzungen gelandet wäre. Aber bin dankbar für den Weg, den ich ihretwegen gehen musste. Sie waren zwar nicht schwerwiegend, haben aber lange gedauert. Deshalb waren sie schwierig für die Motivation, den Kopf, den Glauben, dass ich danach wieder aufstehen und weitermachen konnte. Und sie haben viele Tränen gekostet. Aber sie brachten mir auch wertvolle Erfahrungen. Heute kann ich sagen: Es gibt auch eine andere Seite des Lebens, der Karriere, der Gesundheit. Meine Familie und ich haben in Nürnberg alles gehabt, was wir brauchen. Bis heute. Deshalb war es die beste Entscheidung meines Lebens, in Nürnberg zu bleiben.

Immer häufiger wird gefordert, dass die besten Fußballer von einst anschließend junge Spieler trainieren sollten. Sie machen es beim Club. Was geben Sie den Jungs mit auf den Weg, sportlich und menschlich?
Ehrlichkeit ist für mich sehr wichtig. Auf dem Platz unter den Jungs wie auch im Leben. Wenn man seine Sache mit Überzeugung macht, wird man irgendwann dafür belohnt. Doch sie müssen lernen, dass es hier wie dort Tiefschläge und schlechte Phasen geben kann und gibt. Die Jungs sollen ihre Zeit im Sport nutzen und alles rausholen, was sie an Qualität haben. Dann können sie später sagen, dass sie alles versucht haben, auch wenn es vielleicht nicht gereicht hat.

Wissen auch die jungen Spieler von Ihrem Ruhm?
Ich trainiere seit eineinhalb Jahren die U17-Mannschaft in Nürnberg und denke schon, dass sie wissen, mit wem sie arbeiten und reden. Ich gebe ihnen aber auch das Gefühl, dass ich Mensch bin und meine Karriere vorüber ist. Allerdings habe ich mit dem Legendenstatus ein gutes Argument, wenn sie mir mal etwas nicht abnehmen wollen. Dann sage ich ihnen immer: Glaubt mir einfach, ich habe es doch selbst erlebt.

Ist es für junge Spieler heute schwieriger, sich durchzusetzen, oder einfacher als zu Ihrer Zeit?
Heute ist es so, dass sie erst etwas fordern – und dann vielleicht etwas geben. Früher musste man dagegen erst mal seine Qualität zeigen und dann wurde über alles Weitere geredet. Heute werden schon kleine Jungs gejagt, wenn bei ihnen eine gewisse Qualität zu erkennen ist. Dann dringt enorm viel von außen auf sie ein. Berater, viele Kumpels und Vereine, große Versprechungen – und am Ende klappt oft nichts und die Enttäuschung ist riesengroß. Heute werden schon nach zwei, drei guten Spielen Riesensummen und Ausrüsterverträge geboten. Doch wofür? Für ein paar gute Minuten! Wir mussten früher unsere Qualität über längere Zeit bestätigen, dann kamen viele Dinge von ganz allein.

Während Ihrer Karriere beim Club wurden Sie „Phantom“ genannt, weil Sie auf dem Spielfeld lange nicht zu sehen waren, dann aber plötzlich viele und wichtige Tore erzielten. Wie und wo feiert ein „Phantom“ Weihnachten?
Phantom ist ein schöner Spitzname, mit dem ich gut leben kann. Wir feiern Weihnachten zwar schon seit einigen Jahren in Nürnberg und nicht mehr in der Slowakei. Aber trotzdem nach wie vor ganz in der Tradition, wie ich es als kleines Kind erlebt habe. Also an Heiligabend kein Fleisch, sondern Fisch mit Kartoffelsalat. Dazu Spezielles wie Oblaten mit Honig. Weihnachten ist für mich die schönste Zeit im Jahr, mit viel Zeit für die Familie, Ruhe und ein wenig Abstand vom Fußball. Nach den Feiertagen fahren wir nach Österreich zum Skifahren. Wegen der Verletzungsgefahr war das während meiner Karriere nicht erlaubt.

Vor mehr als zehn Jahren feierten Sie gemeinsam mit Javier Pinola den Sieg im DFB-Pokal. Vor wenigen Tagen gewann der schon 35-jährige Pinola mit River Plate Buenos Aires die Copa Libertadores, in Südamerika das Gegenstück zur europäischen Champions League. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ja, wir sind noch immer in Kontakt. Ich habe Pino beobachtet, ihm kurz vor dem Spiel geschrieben und auch hinterher Glückwünsche geschickt. Ich freue mich riesig für ihn. In diesem Alter noch Champions-League-Sieger zu werden, das ist überragend!

In den letzten Tagen wurde spekuliert, dass Sie den Club möglicherweise verlassen könnten. Droht 2019 ein Abschied?
Mein Vertrag läuft nächstes Jahr am 30. Juni aus. Keiner weiß, was dann kommt. Ich hatte schon mehrere Gespräche mit Verantwortlichen und erhielt dabei klare Signale, dass man mich halten will. Umgekehrt habe ich immer gesagt, dass dieser Verein für mich etwas Besonderes ist. Was ich hier erlebt habe, war einfach geil – in guten wie in schlechten Zeiten. Wenn es im Klub jemanden gibt, der mich nicht mehr haben will, dann soll er mir das ehrlich und offen sagen. Ich habe Interesse, beim Club zu bleiben und lasse mich überraschen, wie es weitergeht. Schauen wir mal.

Was wünschen Sie sich für 2019?
Vor allem Gesundheit und Frieden, Ruhe und Respekt. Nicht so viel Hass und Neid. Wer Hilfe und positive Worte braucht, dem soll geholfen werden. Wann immer es möglich ist. Wir leben nur einmal. Das sind meine persönlichen Wünsche.

Marek Mintál

wurde 1977 in Žilina geboren, kam im Sommer 2003 zu Zweitligist 1. FC Nürnberg und schrieb in den folgenden Jahren Club-Geschichte mit. Er stieg mit der Elf 2004 als Meister in die Bundesliga auf und gewann 2007 den DFB-Pokal, den ersten Titel für den Club seit fast vier Jahrzehnten. Schon zwei Jahre zuvor wurde Mintál mit 24 Treffern Torschützenkönig in der Bundesliga. Auch in der Zweiten Liga erzielte er 2004 und 2009 im Trikot der Nürnberger die meisten Tore. Überaus treffsicher war der offensive Mittelfeldspieler schon zuvor in seiner Heimat, als bester Torjäger 2002 und 2003. In jenen Jahren holte Mintál mit dem MŠK Žilina auch den slowakischen Titel. 2004 und 2005 wurde er in der Slowakei zum Spieler des Jahres gewählt, später sogar zum slowakischen Spieler des Jahrzehnts. Für die Nationalelf absolvierte Marek Mintál 45 Länderspiele und schoss 14 Tore.