Haschisch genießen und Jesus zum Vorbild erklären
Schriftsteller mit Hang zur Mystik: Im Chotek-Park erinnert ein Denkmal an den Dichter Julius Zeyer
15. 12. 2016 - Text: Friedrich Goedeking
Wer durch den Chotek-Park spaziert, kommt zuweilen an einem wundersamen Denkmal vorbei. Weiße Gestalten haben sich in einer Art Grotte aus Felsen versammelt, darüber steht der Name Julius Zeyer geschrieben. Auch seine Lebensdaten – 1841 bis 1901 – wurden in den Stein gemeißelt. Doch wer war der, an den hier erinnert wird?
Zeyer gilt als ein Vertreter der Neoromantik, der in seinen Werken meist eine längst vergangene oder fiktive Welt beschreibt. Sein Vater stammte aus dem Elsass und besaß eine Holzfabrik auf dem Gelände des heutigen Prager Hauptbahnhofs. Die Mutter, eine deutsche Jüdin, war zum Katholizismus übergetreten. In der Familie wurde Deutsch gesprochen. Von seinem Kindermädchen, das ihm gerne Märchen erzählte, lernte Julius Zeyer die tschechische Sprache, die er dann auch als Schriftsteller benutzte, um gegen die Vorherrschaft der deutschen Sprache im öffentlichen Leben und in der Wissenschaft zu protestieren.
Kaum ein anderer tschechischer Dichter ist so häufig gereist wie Zeyer. Er besuchte fast alle europäischen Länder, dazu Russland und Nordafrika. Das beengte Alltagsleben in Böhmen langweilte ihn. Begeistert schrieb er dagegen: „Ich bin in Afrika. Was für ein Traum! Wie in Tausendundeine Nacht. Die Bazare, die arabischen und jüdischen Kaffeehäuser, einfach unvorstellbar. Ich habe auch schon Haschisch geraucht.“
In seinen Novellen schildert Zeyer Menschen auf der Suche nach einem Lebenssinn, den sie häufig erst in ihrem Tod finden. In „Inultus“ (der Unbestrafte) stirbt der junge Dichter freiwillig den Kreuzestod in der Überzeugung, dass sein Opfer dem gedemütigten und unterdrückten tschechischen Volk Befreiung und Erlösung bringen wird. Die Erzählung „Samko“ schildert das Martyrium des slowakischen Volkes, das von den Ungarn versklavt wird. Der junge Bauer Samko erleidet den Tod durch die ungarischen „Barbaren“. Er stirbt im Bewusstsein, mit seinem Leiden ein Zeichen der Liebe gesetzt zu haben.
Von Rilke bewundert
Ein politisches Programm für mehr Unabhängigkeit der Böhmischen Länder lässt sich aus Zeyers Schriften nicht ableiten. Befreiung und Erlösung erschließen sich bei ihm nur dem Individuum, das die Leiden auf sich nimmt und sich aufopfert. Tschechen, die unter der Fremdherrschaft leiden, sollen Trost in der Erkenntnis finden, dass sie die Passion Christi nacherleben. Zeyer war fasziniert von spirituellen und mystischen Traditionen. Sein Interesse galt nicht der organisierten Religion oder einer Konfession, sondern einer mystischen Ästhetik, die von der Realität oft weit entfernt war.
Österreicher, Deutsche und Ungarn werden in Zeyers Erzählungen stereotyp als gierig nach Macht und Geld und als Unterdrücker der Tschechen und Slowaken beschrieben. Dagegen schätzt er Russen wegen ihrer tiefen Frömmigkeit. Seine Landsleute kritisiert er, weil sie sich der Habsburger Herrschaft devot angepasst hätten. Großstädte wie Prag verleiten die Menschen in seinen Augen zur Habsucht und zum Egoismus. Zeyer selbst zog sich für die letzten zwölf Jahre seines Lebens in die südböhmische Kleinstadt Vodňany zurück. Als Zeyer im Jahr 1901 starb, wurde er in der Ehrengruft Slavin auf dem Vyšehrader Friedhof beigesetzt.
Zu Zeyers Bewunderern zählte unter anderem Rainer Maria Rilke, der seinen 34 Jahre älteren Kollegen kennen und achten lernte. Zeyers Berichte über seine Reisen nach Russland weckten Rilkes Interesse an der russischen Kultur. Er schätzte vor allem Zeyers epische Lyrik, zum Beispiel seinen Zyklus „Vyšehrad“ und die Sammlung alter tschechischer Sagen, mit denen Zeyer das nationale Bewusstsein stärken wollte. Später distanzierte sich Rilke vom Nationalismus und bekannte: „Der erscheint mir als der Größte, der zu keiner Fahne schwört.“
„Wie 1938“
30 Jahre PZ