Happy Birthday, Alfred Biolek!
Erinnerungen

Happy Birthday, Alfred Biolek!

Seine Kindheit verbrachte Alfred Biolek in Freistadt (Fryštát) in Mährisch-Schlesien. Karriere machte er im deutschen Fernsehen. Im Juli wird der ehemalige Talkmaster 84 Jahre alt

9. 7. 2018 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: WDR Fernsehen, Hajo Hohl

Ende 2015 versuchten wir es noch einmal. Doch Alfred Biolek war nicht mehr zu einem Interview für die „Prager Zeitung“ zu gewinnen. „Mein Vater bedankt sich sehr für Ihre Anfrage“, schrieb uns sein langjähriger Freund und Adoptivsohn Scott Ritchie. Biolek bitte aber „um Verständnis, dass er leider nicht zusagen kann. Inzwischen genießt er seinen wohlverdienten Ruhestand.“

Eineinhalb Jahre später kam heraus: Alfred Biolek konnte lange Zeit überhaupt keine Interviews mehr geben. Nach einem schweren Sturz auf einer Wendeltreppe, bei dem der bekannte Showmaster heftige Kopfverletzungen erlitt, lag er im Koma und verlor komplett sein Gedächtnis.

Zu seinem 80. Geburtstag blickte die ARD im Jahr 2014 in einem Porträt auf das bewegte Leben des großen Entertainers zurück. „Seitdem war Biolek faktisch aus dem öffentlichen Leben verschwunden“, vermerkte „Spiegel online“ drei Jahre später. Erst zu diesem Zeitpunkt, im Juni 2017, erzählten der ehemalige Talkmaster und sein Adoptivsohn im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ über das Unglück, das sich 2010 ereignete. Er habe sich „an nichts mehr“ erinnern können, erklärte Biolek, „es war alles weg.“

Scott Ritchie fand eine Lösung. „Eines Tages hatte ich die Idee, ihm seine Autobiografie mitzubringen“, sagte er, „und das hat ihm geholfen.“ Alfred Biolek entdeckte dadurch noch einmal sein Leben. „Alles war neu für ihn: dass er kochen kann, dass er prominent ist, dass er ein Fernsehstar war“, so Ritchie. Und auch, dass er in Freistadt geboren wurde, dem heutigen Fryštát und Stadtteil von Karviná im Osten Tschechiens.

Ein genialer Einfall. Denn im Buch „Bio – Mein Leben“, das 2008 erschien, blickte Alfred Biolek ausführlich auf seine großartige Karriere zurück. Dabei erzählte er auch über seine frühen Jahre in Mähren. Mithin über „eine Kindheit in einem Paradies inmitten von Grün und umgeben von Bergen und kleinen Seen.“ Verantwortlich dafür waren vor allem eine geräumige Bauhaus-Villa und ein harmonisches Familienleben frei von Geldsorgen. Zwar Pflicht für jede streng katholische Familie, so Biolek. Doch bei ihm zu Hause sei Harmonie nicht vorgetäuscht worden, sondern habe tatsächlich so funktioniert, „dass es keinen Stress gab. Zumindest nicht für mich.“

Seine Eltern zählten zu den feineren Leuten des Ortes. Der Vater war Rechtsanwalt und Notar, die Mutter „eine durch frühe Heirat und Mutterschaft verhinderte Künstlerin“, führte Biolek aus. Große Erlebnisse waren für ihn auch regelmäßige Wochenendausflüge und Sommerurlaube in den nahen Beskiden oder im Altvatergebirge, sogar Reisen bis Varna am Schwarzen Meer. Seine Heimatstadt besuchte Alfred Biolek seit seiner Vertreibung nicht mehr, wie er in dieser Biografie erläuterte. Seine Begründung: Er sei zu sehr mit seiner Karriere beschäftigt gewesen. „Für das Gestern blieb da wenig Zeit.“

Marktplatz in Fryštát, heute ein Stadtteil von Karviná
Marktplatz in Fryštát, heute ein Stadtteil von Karviná

Sein Biograf Veit Schmidinger besuchte jedoch Fryštát, bevor er das Buch schrieb. Wie es Biolek wohl ergangen wäre, wenn die Familie nicht hätte flüchten müssen, wollte er vor Ort wissen. Ein älterer Bewohner antwortete ihm, dass der Vater sicher in die kommunistische Partei hätte eintreten müssen, um seinen guten Job als Advokat zu behalten. Und für Klein-Alfred und seine katholische Herkunft wäre „in die Kirche gehen und studieren“ wohl zu einem größeren Problem geworden.

Im ehemaligen Haus der Bioleks stieß der Buchautor auf ein Heim für sehbehinderte Kinder. Dort reagierte man auf den Namen der deutschen Vorbesitzer allergisch. Es könne jemand da gewesen sein und den Nutzern erklärt haben, dass Biolek das Haus wieder bewohnen wolle, vermutete Schmidingers tschechischer Begleiter.

Das hielt nicht nur der Buchautor schlichtweg für Unsinn. Auch Biolek kam in der Biografie zu dem Ergebnis, dass sein Aufstieg und großer beruflicher Erfolg ganz eng mit seiner neuen Heimat in Deutschland verbunden war. Deshalb blieb ihm das „Lamento der Vertriebenen-Verbände“ über Verlorenes durch die Vertreibung stets unverständlich, wie er anmerkte.

Veit Schmidinger fasste seine Eindrücke in Fryštát knapp zusammen: „Mir vorzustellen, ich wäre Ende der fünfziger Jahre bei Familie Biolek in Schwaben zu Gast, fällt mir leichter.“ Dort, nämlich in Waiblingen, fanden die Bioleks nach der Vertreibung eine neue Heimat.

Im Jahr 1991 wurde Biolek in einer Talkshow zu seinem Entsetzen als Homosexueller geoutet. Woraus er nie ein großes Geheimnis machte, dies allerdings auch nie offensiv bekannte. Ob Biolek auch in seiner alten Heimat mit einem Mann hätte zusammenleben können, wollte der Biograf vor Ort erfahren. Er wolle nicht sagen, dass es so etwas früher nicht gegeben habe, antwortete der freundliche Ortsbewohner, der viele Türen öffnete: „Aber man hielt es wohl geheim. Eigentlich ist das bis heute so.“

Die Heimleiterin interessierte, ob Alfred Biolek ein Nazi gewesen sei. Gerade so als ob Heimatvertriebene ihr Eigentum zurückfordern könnten, wenn sie politisch unbelastet seien. „Die Familie war nicht nationalsozialistisch, dazu war sie viel zu katholisch“, bekam sie zur Antwort.

Alfred Biolek mit Anke Engelke in der Musikshow >Bio's Bahnhof< (1980)  | © WDR Fernsehen
Alfred Biolek mit Anke Engelke in der Musikshow >Bio’s Bahnhof< (1980) | © WDR Fernsehen

Im Grunde seines Herzens sei sein Vater „ein sehr konservativer Mann“ gewesen, ließ Biolek im Buch 2008 notieren. Im Archiv von Fryštát fand Autor Schmidinger eine Bekanntmachung vom 7. November 1923, wonach Bioleks Vater für eine „cechische, deutsche und koministsche“ Liste in den Gemeinderat von Freistadt gewählt wurde. Von Bioleks Bruder Joseph erfuhr er, dass der Vater auch fließend Tschechisch und Polnisch sprach und deshalb viele Klienten hatte.

Selbst fühlte er sich als Deutschösterreicher, wie nicht wenige Deutschsprachige im schlesischen Grenzgebiet. Und er war laut Sohn Joseph lediglich Mitglied in einer von den Nazis verbotenen Studentenverbindung. Sie habe als christliche Familie auf einer „schwarzen Liste“ der Nazi gestanden. Zudem sei er Ortsvorsitzender einer „deutschen christlich-sozialen Partei in der Tschechoslowakei“ gewesen und habe in der neuen Heimat für die CDU in einem schwäbischen Kreistag gesessen.

„Mein Vater glaubte nicht, dass die Tschechen ihm etwas vorwerfen könnten“, erzählte Joseph Biolek 2008. Auch Bruder Alfred charakterisierte ihn als einen gütigen Mann, der für alles Neue offen gewesen sei und von Landwirten für seine Arbeit als Anwalt oft kein Honorar nahm – weshalb die Familie immer genug zu essen hatte.

Das Familienoberhaupt stellte Alfred Biolek daher auch in den Mittelpunkt seines Rückblicks, den er für das 1995 erschienene und von Florian Langenscheidt herausgegebene Buch „Bei uns zu Hause“ beisteuerte. Darin berichtete der Fernsehstar neben anderen Prominenten von seiner Kindheit und Jugend.

„Mit Stil leben oder untergehen“ sei die Devise seines Vaters gewesen. Als erste Bewohner der Stadt verfügten die Bioleks über Volksempfänger und Schmalfilmkamera. Da ihm seine Eltern keine Vorschriften machten, habe er nicht darauf geachtet, „was sie sagten, sondern was sie mir vorlebten.“ Der Vater wurde stellvertretender Leiter des Wehrbezirkskommandos und rekrutierte Soldaten. „Trotz des Krieges mussten wir daheim keinen Mangel leiden“, erinnerte sich Alfred Biolek. Die Familie lebte „wie von den Wirren der Zeit fast völlig abgeschottet.“ Kanonenlärm oder Sirenen störten zwischen 1939 und 1945 nie „unsere mährische Stille“. Erst der Vormarsch der Roten Armee veränderte Bioleks Leben abrupt. Vater und Bruder kamen an die Front, er war mit zehn der einzige „Mann im Haus.“

Die Familie mauerte Silberbesteck, Leuchter und andere Wertgegenstände ein. Edelsteine und ein goldener Maria-Theresia-Taler wurden in Schulterpolster eingenäht. Auf einem Pferdewagen flüchtete die Familie zunächst 60 Kilometer nach Westen, kehrte aber nochmals nach Freistadt zurück. Obwohl sich sein Vater „nie politisch betätigt hatte“ – so Alfred Biolek 1995 – „wurde er sofort verhaftet und eingesperrt.“ Gleichwohl seien „die Inhaftierungsmaßnahmen der tschechischen Kommunisten mit den Nazi-Kerkern in keiner Weise vergleichbar“ gewesen, bilanzierte Biolek.

Der junge Alfred kam zunächst zu einem Onkel aufs Land, dessen Familie ausschließlich Tschechisch sprach. Was Biolek alsbald verstand. „Leider kann ich heute kein einziges Wort mehr“, erläuterte er in dem Buch, „dafür rolle ich das R immer noch so perfekt wie damals.“

Schließlich jagten Milizionäre die Familie fort. „Ich erschrak so sehr, dass ich mir die Hosen nass machte“, erinnerte er sich. Neun Monate lang blieb er in einem Gefangenenlager. Und wieder zog er Vergleiche. Es sei „kein Konzentrationslager“ gewesen, sondern ein Internierungslager. „Erholungsheim allerdings auch nicht.“ Was ihm passierte, ereignete sich für viele. „Doch Millionen anderer Menschen traf es schlimmer“, schrieb Biolek und dachte dabei an „Juden, Zigeuner, Homosexuelle.“

Schließlich wurde die Familie in Viehwaggons nach Westen, Richtung Deutschland, abgeschoben, wie die allermeisten Deutschstämmigen. „Bei aller Dramatik“ sei sein Schicksal trotzdem „nicht vergleichbar mit den Repressalien und der Gewalt, die die Nazis Millionen Menschen aus ganz Europa angetan haben“, befand Alfred Biolek punktgenau. Zwar habe die Familie darunter gelitten, so viel verloren zu haben. „Aber es war uns klar, dass wir das Wichtigste behalten hatten: unser Leben.“

Sein Vater stieß über Österreich zur Familie. Er hatte sich zunächst in fließendem Tschechisch als von den Deutschen verschleppter tschechischer Gastarbeiter ausgegeben und beaufsichtigte daraufhin deutsche Kriegsgefangene, kam wieder nach Freistadt, wurde verhaftet und Freigänger im Gefängnis, bevor er nach Wien türmte. Im Knast sei ihm von vielen Tschechen und Polen geholfen worden, erinnerte sich Biolek. Dies gab ihm den Eindruck, dass „mein Vater offensichtlich viel Gutes getan hatte.“

Die ARD-Dokumentation von Sandra Maischberger ging 2014 auch der Vergangenheit des Vaters nach. Und sie kam zu dem Ergebnis, dass er für die Nazi-treue Sudetendeutsche Partei kandidiert hatte, wie der „Tagesspiegel“ notierte. Zudem war er Zweiter Bürgermeister in Freistadt, wie verschiedene deutsche Medien heute noch vermerken.

Tatsächlich habe Familie Biolek die deutsche Besatzung der Sudetengebiete „zunächst als Befreiung“ begriffen, berichtete Alfreds Bruder Joseph in der Biografie von Schmidinger. Doch schon bald habe „diese Befreiung ihr wahres Gesicht gezeigt“, wurden Tschechen und Polen interniert und Juden verfolgt. Darüber wurde bei Familie Biolek durchaus „viel gestritten“, so Joseph Biolek. Denn „ein Teil der Familie unserer Mutter war durchaus nationalistisch eingestellt“, resümierte er.

„Von all diesen Dingen blieb Alfred verschont“, bestätigte sein Bruder. Auch, dass er vom Krieg so gut wie nichts mitbekam – obwohl er schon zwölf Jahre alt war, als die Familie 1946 aus der Tschechoslowakei ausgewiesen wurde. In den letzten Monaten musste Alfred noch eine Armbinde mit einem „N“ für Němec (Deutscher) tragen, besuchte eine tschechische Schule und konnte dort „viel besser Tschechisch lesen als die meisten tschechischen Kinder.“

Aus ihm wäre womöglich „ein richtiger Tscheche geworden“, mutmaßte Joseph Biolek, wenn er nicht in das erwähnte Lager nach Orlau (Orlová) gebracht worden wäre. Daran knüpfte Alfred Biolek selbst in seinem Rückblick im Jahr 1995 an. Man habe sich „wieder den Traditionen einer böhmischen Familie“ hingegeben, nachdem 1950 die Lebensmittelrationierungen aufgehoben wurden: „Essen, Trinken, Reden.“

Wladimir Putin und Gerhard Schröder in Bioleks Talkshow >Boulevard Bio< im April 2002  | © kremlin.ru, CC BY 4.0
Wladimir Putin und Gerhard Schröder bei >Boulevard Bio< (2002) | © kremlin.ru, CC BY 4.0

Oft betone Biolek, im Heute zu leben, schrieb sein Biograf Schmidinger. Über Vergangenes erzähle er nur, „wenn er sie für eine gute Geschichte hält und unterhalten möchte.“ Oder wenn sie ihn bis heute präge. Vielleicht sei ihm „seit seiner Vertreibung eine gewisse Heimatlosigkeit zu eigen“, analysierte der Autor, der zudem „ein fast rastloses Umherreisen“ von Biolek registrierte – was Alfred Biolek selbst freilich nur als Reiselust und Neugier bezeichnete.

Dass er durch die Vertreibung ein Paradies verloren habe, betonte Biolek mehrfach. So reiste er für die ARD-Dokumentation „eher unwillig nach Tschechien“, wie die „Stuttgarter Zeitung“ dazu im Juni 2014 schrieb. Erstmals nach fast 70 Jahren besuchte Biolek damals wieder das heutige Fryštát, wirkte bei dieser Spurensuche aber spürbar verunsichert, ja geradezu unbeteiligt. Bis zu dem Moment, als er ganz vorsichtig sein Elternhaus betrat, das heutige Kinderheim. Und in seinem alten Zimmer ein Dutzend Kinder auf einer Matratzenlandschaft sah, die ein Mittagsschläfchen hielten. „Schön“, stellte er in dem Film mit einem Lächeln fest, ebenso überrascht wie zufrieden von diesem Anblick, „jetzt freue ich mich sogar, dass ich das besucht habe.“

Alfred Biolek, eigentlich promovierter Jurist, schuf mit „Bio’s Bahnhof“ einen Klassiker der deutschen Fernsehunterhaltung, setzte mit „Boulevard Bio“ einen Meilenstein für gepflegte Talk-Shows und wurde mit „alfredissimo“ zu einem Vorreiter für unzählige TV-Kochsendungen.

„Seinen wohlverdienten Ruhestand genießen“, wie uns Ritchie schrieb, fällt ihm heute jedoch nicht leicht. Fast alles, was sein Leben ausgemacht habe, könne er nicht mehr machen, erzählte Biolek vor einem Jahr gegenüber „Spiegel online“. Auch nicht mehr kochen, seine große Leidenschaft. „Ich kann schon noch Kartoffeln oder Karotten schnippeln, aber für mehr reicht es nicht.“ Unmöglich zudem, noch einmal schnell mit dem Flugzeug in sein geliebtes New York zu fliegen. Dafür erfreue er sich an kleineren Dingen: den Park, die Natur, gedeihende Blumen.

Biolek lebt zurückgezogen in Köln, unterstützt von seinem Adoptivsohn. Zwar erhoffe er sich noch ein paar Lebensjahre, aber mit Ende 80, Anfang 90 könne es seinetwegen auch zu Ende gehen. Schließlich sei er alt genug, urteilte Alfred Biolek einmal, „den Tod finde ich nicht unangenehm“.

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