Gegen die Ignoranz

Gegen die Ignoranz

Gedenken in Lidice: Senatspräsident widerspricht bayerischer Ministerin

18. 6. 2014 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: ČTK/DPA/Wolfgang Kumm

Lidice und Ležáky stehen in Tschechien für die Gräueltaten der deutschen Besatzer und eines der dunkelsten Kapitel der tschechisch-deutschen Geschichte. Aus Rache für das Attentat auf Reinhard Heydrich verübten die Nationalsozialisten dort im Juni 1942 ein brutales Massaker, die männlichen Bewohner wurden erschossen, Frauen und Kinder deportiert.

Die von „Deutschland ausgehenden Schrecken“ hätten auch in Tschechien „tiefe Wunden hinterlassen“, schrieb Bundespräsident Joachim Gauck zum 70. Jahrestag in einem persönlichen Brief an seinen damaligen Amtskollegen Václav Klaus. Die „menschenverachtenden Terrorakte“ in den beiden Dörfern würden bei ihm „tiefe Betroffenheit und Scham“ hervorrufen, die Heydrich-Attentäter bezeichnete Gauck in seinem Schreiben als Vorbilder. Das deutsche Staatsoberhaupt hatte – auch mit seiner späteren Rede in der Gedenkstätte Lidice – den richtigen Ton getroffen, viel Lob und Anerkennung geerntet, für positive Impulse im nachbarschaftlichen Verhältnis gesorgt.

Im Juni 2014 fühlt sich mancher um Jahrzehnte zurückgeworfen. Zwei Jahre nach der Rede des Bundespräsidenten tauchte in der Gedenkstätte wieder der Apfel der tschechisch-deutschen Zwietracht auf: die Beneš-Dekrete. Das Thema, das die Beziehungen beider Staaten lange vergiftet hatte, brachte Tschechiens Senatspräsident Milan Štěch (ČSSD) zur Sprache. Konkret reagierte er in seiner Rede auf eine Aussage der bayerischen Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Auf dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen hatte sie behauptet, die Beneš-Dekrete – „die ungerecht waren und ungerecht bleiben“ – gehörten nicht in einen europäischen Rechtsstaat. „Das ist ein Irrtum, Frau Ministerin!“, entgegnete Štěch, „sie gehören dorthin und werden es auch in Zukunft.“

Dass Štěch überhaupt darauf einging, begründete er damit, dass „Gleichgültigkeit der erste Schritt auf dem Weg in die Hölle“ sei. „Und deswegen ist es auch falsch, nicht auf die jüngsten Aussagen der bayerischen Ministerin zu reagieren“, sagte der Vorsitzende der oberen Parlamentskammer vor hunderten Gästen, darunter auch zahlreiche Minister, ehemalige Widerstandskämpfer und Kriegsveteranen.

Regierungschef Bohuslav Sobotka (ČSSD) verweist stets auf die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997. Darin hatten beide Seiten erklärt, dass „ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.“ Auch die bei der Gedenkfeier anwesenden Politiker wollten sich nicht weiter zu den Beneš-Dekreten äußern, sondern vielmehr das Bild zurechtrücken, das Bundespräsident Gauck gezeichnet hatte. Menschenrechtsminister Jiří Dienstbier (ČSSD) sieht das Staatsoberhaupt „an der Spitze vieler deutscher Politiker, die einen ganz eindeutigen Standpunkt zur Vergangenheit vertreten und der mit unserem übereinstimmt.“

In seinem Brief hatte Gauck in Bezug auf die NS-Verbrechen geschrieben, er hege die Hoffnung, „dass uns das gemeinsame Erinnern an die Ereignisse vor 70 Jahren noch weiter zusammenführt.“ Die Hoffnung einiger Sudetendeutscher, er würde sich auch dem sensiblen Thema der Vertreibung annehmen, hat sich bislang nicht erfüllt.