Gedemütigt und ohne Schuhe

Gedemütigt und ohne Schuhe

Ombudsfrau Šabatová und ein Vertreter des Europarats kritisieren die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft in Bělá-Jezová

21. 10. 2015 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Stanislav Biler

Die Menschen wissen nicht, warum und wie lange sie festgehalten werden, für Kinder fehlen die Windeln und von der Außenwelt trennt sie ein meterhoher Stacheldrahtzaun: Wer als Flüchtling in Tschechien aufgegriffen wird, den bringt die Polizei in eine Einrichtung, die einer Haftanstalt gleicht. Bislang ist die Kritik an den Zuständen verhallt. Doch sie wird lauter – und kommt nun auch aus dem Ausland.

Tschechiens Ombudsfrau Anna Šabatová hat die Einrichtung für Flüchtlinge in Bělá-Jezová schon mehrfach besucht. Am Dienstag vergangener Woche sagte sie nach einer weiteren Kontrolle, die Verhältnisse, in denen die Menschen dort untergebracht sind, seien sehr schlecht; den Kindern ergehe es schlimmer als Häftlingen in tschechischen Gefängnissen. Bei ihrem Besuch hatte Šabatová „ganz grundlegende Mängel“ festgestellt. Eltern würden vor den Augen ihrer Kinder gedemütigt und in Handschellen abgeführt, beklagte die Ombudsfrau. Für Jungen und Mädchen fehle es an warmer Kleidung und Winterschuhen. Ähnlich schildern die Zustände freiwillige Helfer, die regelmäßig auf das Gelände fahren. Journalisten haben bisher kaum Zugang.

Nachdruck verlieh der Kritik in der vergangenen Woche der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muižnieks. Er rief die tschechischen Behörden auf, die Bedingungen in Bělá-Jezová „schnell und entschieden“ zu verbessern: „Jegliche Beleidigungen und herabsetzende Behandlungen von Familien und Kindern müssen umgehend bestraft werden, damit sie sich nicht wiederholen“, so der Kommissar. Tschechien müsse sich an europäische und internationale Menschenrechtsstandards halten, die es nicht erlaubten, Migranten zu kriminalisieren und wie Gefangene zu halten. Auch sei es „nicht im Einklang mit internationalen und europäischen Standards“, die angeblichen Kosten für die Festsetzung aus den Taschen der Flüchtlinge zu zahlen. „Die tschechischen Behörden sollten bestehende Alternativen zur Haft vollständig nutzen, die Würde der Migranten vollkommen respektieren und sie vor jeder groben Behandlung wirksam schützen“, mahnte Muižnieks, der sich auf den Bericht der Ombudsfrau bezog.

„Geeignete Maßnahmen“
Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) reagierte am Montag mit einem Brief auf die Aussagen Šabatovás. Seine Behörde hatte die Kritik zuvor als „nur zum Teil berechtigt“ bezeichnet. Die Bedingungen entsprächen den Vorschriften, behauptete der Minister. Die Flüchtlinge hätten Zugang zu Kleidung, Essen und medizinischer Versorgung. Der Sozialdemokrat ist außerdem der Ansicht, dass man keinen Unterschied zwischen Flüchtlingen mit und ohne Kinder machen könne. „Allein die Gegenwart eines Kindes kann kein Grund dafür sein, dass ein Ausländer nicht festgesetzt werden kann“, erklärte der Minister. Seiner Meinung nach würden Kinder nicht wie Gefangene behandelt. „Wir ergreifen bereits geeignete Maßnahmen, die für Ausländer mit Kindern komfortablere Bedingungen schaffen und werden das auch weiterhin machen“, so Chovanec. Dazu zähle zum Beispiel, dass für Kinder ein Spielzimmer oder ein Spielplatz zur Verfügung steht. Für ausreichend warme Kleidung sorge das Ministerium in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. Auch die Zahl der Pädagogen und Sozialarbeiter sei erhöht worden. Verbesserungs­bedarf räumte der Minister bei der Verfügbarkeit von Übersetzern und Dolmetschern ein, die zum Beispiel bei ärztlichen Untersuchungen gebraucht würden.

Für Verbesserungen will auch Justizminister Robert Pelikán (parteilos für ANO) sorgen. Innerhalb der Regierung ist er der lauteste Kritiker der tschechischen Flüchtlingspolitik. Vor kurzem hatte er erklärt, man müsse damit rechnen, dass der Staat von Menschen verklagt werde, wenn er sie widerrechtlich festhalte. Zugleich hatte er angeboten, Mitarbeiter der Gefängnisse für die Unterkünfte bereitzustellen. Von November an sollen 70 Wärter vorübergehend Flüchtlinge statt Gefangene bewachen.

Weniger einsichtig reagierte dagegen am Samstag Präsident Miloš Zeman auf Šabatovás Bericht. „Die Lebensbedingungen für Flüchtlinge sind schon deutlich besser als die Umstände, unter denen sie in ihren Ländern gelebt haben, und ich denke, das ist ausreichend“, sagte das Staatsoberhaupt, das bereits früher erklärt hatte, wer unzufrieden sei, solle doch wieder nach Hause gehen.

In Tschechien gibt es drei Einrichtungen für festgenommene Flüchtlinge mit insgesamt 1.392 Plätzen. Derzeit sind davon 521 belegt. Die Polizei führte in den vergangenen Monaten verstärkt Kontrollen durch und griff von Januar bis September 7.201 Flüchtlinge auf. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es nicht einmal halb so viele. Zudem wurden 2015 bisher 150 Schleuser festgesetzt, in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres waren es 102. Das gab die Ausländerpolizei am Freitag vergangener Woche bekannt. Die Zahl der Asylanträge stieg nach Angaben des Innenministeriums um 301 auf 1.115. Fast die Hälfte aller Asylanträge stellten ukrainische Staatsangehörige. Bisher haben dieses Jahr 46 Flüchtlinge Asyl in Tschechien erhalten. Weitere 330 Menschen wurden als subsidiäre Schutzbedürftige anerkannt, 649 wurden abgelehnt, fast 573 Anträge werden noch bearbeitet.