Finsteres Mittelalter?
Über die multikulturellen Neigungen von Karl IV.
27. 4. 2016 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: APZ
Die Herrschergestalt Karls IV. wird in seinem Jubiläumsjahr – er wurde vor 700 Jahren in Prag geboren – von allen Seiten erneut beleuchtet und zum Glänzen gebracht. Vor allem Tschechien richtet eine praktisch zwölf Monate dauernde Geburtstagsfeier für den „Vater des Vaterlandes“ und den nach einer Umfrage von 2005 „größten Tschechen“ aus. Ob man sich dabei daran erinnern wird, dass Karl IV. durchaus auch multikulturelle Neigungen pflegte?
Wie sein großer Vorgänger auf dem römisch-deutschen Kaiserthron Friedrich II. war auch er ein Verehrer des heiligen Mauritius, also eines nordafrikanischen Märtyrers, der als Maure gewöhnlich mit dunkler Hautfarbe dargestellt wurde. Zudem breiteten sich zur Zeit Karls IV. multiethnische Epiphaniedarstellungen aus – Abbildungen der Heiligen Drei Könige als Repräsentanten der drei damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika. Der jüngste der drei, Caspar, wurde dabei meist mit dunklerer Hautfarbe wiedergegeben. Noch bedeutsamer erscheint, dass Karl IV. auf einer heute nicht mehr vorhandenen Wandmalerei in der Burg Karlstein den Luxemburger Stammbaum mit Ham, einem der drei Söhne Noahs, als Stammvater abbilden ließ. Nach der biblischen Überlieferung und den sich daran anschließenden Legenden galt Ham als mythischer Ahnherr der Schwarzen. Karl IV. scheint demnach seine kaiserliche Herrschaft in einen die ganze damals bekannte Welt umspannenden Rahmen gestellt zu haben. Erst mit der Kolumbianischen Wende und der anschließenden Kolonialzeit formte sich eine eurozentrische, dann auch von imperialem Rassismus geprägte Anthropologie; die alttestamentarische Verfluchung Hams durch seinen Vater Noah diente den Amerikanern sogar zur christlichen Rechtfertigung der Versklavung der Schwarzafrikaner.
Vor dem Hintergrund heutiger Diskussionen wäre es gewiss nicht abwegig, sich auch diese Offenheit Karls IV. gegenüber der Welt und dem Fremden ins Gedächtnis zu rufen. Gemäß der offiziellen Ankündigung der geplanten großen Ausstellung über Karl IV. (Eröffnung am 15. Mai in Prag, einen Tag nach Karls rundem „Geburtstag“) war „eines der unverwechselbaren Charakteristika seines Herrschaftsverständnisses die programmatische Nutzung der bildenden Kunst und der Architektur zur Propagierung der kaiserlichen Majestät“. Heute könnte man auch sagen, Karl sei ein Meister in Public Relations zur Legitimierung der eigenen Herrschaft und Erhöhung der eigenen Person gewesen.
Die wohl auch aus mittelalterlicher Sicht legendenhafte Inanspruchnahme der biblischen Stammväter zur Darlegung eines geradezu ökumenischen Herrschaftsanspruchs in der künstlerischen Gestaltung der Burg ist ein deutlicher Beleg für die erwähnte „programmatische Nutzung der bildenden Kunst“. Und wer um die zentrale Bedeutung der Burg Karlstein für Karl und um dessen persönliche Überwachung der künstlerischen Ausgestaltung weiß sowie das heute noch erhaltene Bildprogramm der Wandmalereien kennt, wird nicht verfehlen, auch in der Berufung auf den „Stammvater Ham“ die von Karl intendierte Bedeutung zu lesen.
In der Ausstellung – ab 20. Oktober ist sie auch in Nürnberg zu sehen – soll Karls historische Persönlichkeit ausdrücklich nicht nur mit ihren hellen, sondern auch mit ihren dunklen Seiten dargestellt werden. Man darf gespannt darauf sein, zu welcher Seite das heutige offizielle Tschechien diese, man möchte fast sagen: multikulturelle Neigung Karls IV. schlagen wird – wenn es sie denn überhaupt thematisiert.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?